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Strukturwandel in der Exportindustrie

Gewichte bei den Exporten haben sich verschoben Strukturwandel in der Exportindustrie

Dr. Frank Bodmer, Leiter IHK-Research

Die exportorientierte Industrie ist nach wie vor von grosser Bedeutung für die Ostschweiz. Mit der Wirtschafts- und Finanzkrise, der Eurokrise und dem Frankenschock musste sie in den letzten zehn Jahren gleich drei schwere Schocks verarbeiten. Das ist ihr gut gelungen. Während es in der Schweiz vor allem Pharmaprodukte und Uhren waren, welche die Exporte stützten, so kam das Wachstum in der Ostschweiz von ­Metallen, Nahrungsmitteln und Fahrzeugen. An Bedeutung verloren hat dagegen die Maschinenindustrie.

Strukturwandel als Konstante

Strukturwandel ist eine Konstante der wirtschaftlichen Entwicklung, auch in der Ostschweiz. In der Zeit zwischen 1850 und 1914 war die Textilindustrie dominierend, nach dem 2. Weltkrieg waren es die Maschinen- und die Metallindustrie. Die Bedeutung der MEM-Branchen erreichte in den frühen 70er-Jahren, kurz vor dem Ende von Bretton Woods und der ersten Ölkrise, ihren Höhepunkt (IHKfacts 2/2016). Vom doppelten Schock der Ölkrise und der ersten starken Aufwertung des Schweizer Frankens konnte sich die Ostschweizer Industrie dank Massnahmen zur ­Erhöhung von Qualität und Produktivität wieder erholen. Nach den schwierigen 1990er-Jahren brachte das neue Jahrtausend einen erneuten Boom, beflügelt von einem starken Wachstum der Weltwirtschaft und einem relativ schwachen Schweizer Franken.

Drei Krisen in kurzer Folge

Die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) publiziert regionale Exportzahlen für relativ breit gefasste Gütergruppen ab 1995. Diese geben einen groben Eindruck von den Veränderungen der letzten 20 Jahre (Abbildung 1). Speziell die Entwicklung der Gütergruppe Maschinen, Apparate und Elektronik ist aufschlussreich. Bis 2007 konnte insgesamt ein erfreuliches Wachstum erzielt werden, wobei es wiederholt zu kürzeren Krisen kam. Die Asienkrise von 1998 ist ebenso sichtbar wie die Rezession zwischen 2001 und 2003. Dramatisch war dann der Einbruch 2009, welcher den Wert der Exporte auf das Niveau Ende der 1990er-Jahre zurückwarf. Zwar konnte 2010 und 2011 eine Erholung verzeichnet werden. Diese wurde aber 2012 von der Eurokrise und 2015 vom Frankenschock gestoppt.

Unterschiede Schweiz und Ostschweiz

Die Ostschweizer Exporte verloren zwischen 2008 und 2017 wertmässig rund 8%, während die Schweizer Exporte um rund 7% zulegen konnten (Abbildung 2). In der Ostschweiz leisteten Nahrungsmittel, Fahrzeuge und Metalle einen positiven Beitrag. Das Schweizer Wachstum stützte sich dagegen vor allem auf Pharma- und Uhren­exporte, während Metalle und Fahrzeuge einen negativen Beitrag leisteten. Unterschiedlich war auch die Entwicklung in der Textil- und Bekleidungsindustrie, wo die Ostschweiz im Gegensatz zur Schweiz einen deutlichen Rückgang verzeichnen musste. Sehr ähnlich verlief die Entwicklung dagegen bei der Maschinenindustrie. Sowohl in der Schweiz als auch in der Ostschweiz zeichnete sie für einen Rückgang der Exporte von rund 6% verantwortlich.

Nahrungsmittel und Fahrzeuge als Stütze

Das starke Wachstum der Ostschweizer Exporte in den Bereichen Nahrungsmittel und Fahrzeuge ist vor allem mit zwei Firmen verbunden. Seit 2004 füllt Rausch in Widnau Red-Bull-Getränkedosen ab, welche vor allem in den Export gehen. Der «Effekt Red Bull» ist in den Exportzahlen klar sichtbar, mit einem starken Anstieg ab 2006 (Abbildung 1). Diese Exporte sind wenig konjunkturabhängig, nach 2014 ist allerdings eine gewisse Stagnation festzustellen. Bei den Fahrzeugen war vor allem Stadler Rail für den Aufschwung verantwortlich. Die Wirtschaftskrise von 2009 führte zu einem deutlichen Rückgang der Fahrzeugexporte, erst 2017 konnte der Spitzenwert von 2007 wieder übertroffen werden. Ansprechend haben sich in der Ostschweiz auch die Exporte von Präzisionsinstrumenten entwickelt, welche wertmässig nur noch leicht unter dem Niveau von 2008 liegen. Stärker gebremst wurden dagegen die Exporte von Chemie und Pharma, welche bis 2008 ebenfalls noch eine sehr positive Entwicklung vorweisen konnten.

Starke Metallexporte

Bis 2012 verlief die Entwicklung der Metallexporte ähnlich wie diejenige der Maschinenexporte, seither konnten sich die Metalle entkoppeln. Geholfen hat dabei die solide wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands. Ein grosser Teil der Metallexporte geht an die deutsche Automobilindustrie, und die Rekordverkäufe der deutschen Automobilbauer haben auch die Ostschweizer Exporte beflügelt. Angesichts möglicher amerikanischer Zölle auf deutschen Autos bestehen im Moment jedoch erhebliche Risiken. Tiefere Verkäufe oder eine Verlagerung der Produktion in die USA würden die Ostschweizer Exporte sicherlich bremsen. Die Metallbauer sind aber auch vermehrt in neuen Märkten tätig, welche die Abhängigkeit vom Automobilgeschäft reduzieren (siehe Interview mit René Wagner, CEO ALUWAG AG).

Rückgang bei Textilien und Bekleidung ...

Bis 2008 konnten sich die Ostschweizer Exporte von Textilien und Bekleidung ungefähr auf dem Niveau von 1995 halten. Seither sind sie um fast die Hälfte zurückgegangen und machen aktuell noch etwa 4% der Ostschweizer Exporte aus (Abbildung 1). Seit 2017 ist wieder ein leichter Aufschwung zu beobachten, welcher für die Schweiz als Ganzes gar noch deutlicher ausfällt. Dieser wird aber nicht von Verkäufen von Schweizer Firmen getrieben, sondern von Rücksendungen an Online-Händler. Dieser sogenannte «Zalando-Effekt» macht laut Angaben der EZV inzwischen etwa 30% der Schweizer Bekleidungsexporte aus.

… sowie bei Maschinen, Apparate und ­Elektronik

Die Gütergruppe Maschinen, Apparate und Elektronik ist nach wie vor dominierend in der Ostschweiz, hat aber ­einen deutlichen Bedeutungsverlust erlitten. 1995 zeichnete sie für 40% der Ostschweizer Exporte verantwortlich, aktuell sind es noch 30%. Zwischen 2008 und 2018 war ein Rückgang von fast 20% zu verkraften. Die Entwicklung einer so breit definierten Gütergruppe ergibt allerdings kein vollständiges Bild. Nach wie vor gibt es in der Maschinenindustrie Erfolgsgeschichten, genannt seien nur Bühler oder VAT, welche in den letzten Jahren sehr erfolgreich waren und für welche die Ostschweiz nach wie vor ein wichtiger Produktionsstandort darstellt.

Strukturwandel: schmerzhaft, aber notwendig

Für den deutschen Ökonomen Josef Schumpeter war der Prozess der «schöpferischen Zerstörung» das zentrale Element der wirtschaftlichen Entwicklung. Das Schaffen von Neuem geht notwendigerweise mit der Zerstörung des Alten einher. Neue Produktionsprozesse machen die alten Prozesse obsolet, neue Ideen ersetzen die überkommenen Vorstellungen. Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen Firmen versuchen, vorne dabeizubleiben und den Wandel mitzugestalten. Der Druck zur Anpassung ist in den sehr kompetitiven globalen Märkten am grössten, die Exporteure sind damit speziell gefordert. Auch die Arbeitnehmenden müssen sich auf die neuen Anforderungen einstellen. Der Prozess ist schmerzhaft, aber notwendig. Ein Ende des Strukturwandels wäre mit wirtschaftlicher Stagnation und einem sinkenden Lebensstandard verbunden.

IHK-Research Zoom

Weitere Vergleiche und ausführlichere Informationen finden sich im neuen IHK-Research Zoom «Strukturwandel bei Ostschweizer Exporten» von Dr. Frank Bodmer. Die Online-Publikation IHK-Research Zoom beleuchtet in unregelmässigen Abständen volkswirtschaftliche ­Zusammenhänge und bietet fundierte und aktuelle ­Fakten.