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Ostschweiz operiert besonders gern stationär

Spitalstrukturen: Kleinspitäler als Kostentreiber Ostschweiz operiert besonders gern stationär

Dr. Frank Bodmer,  Leiter IHK-Research

Kleine Schweizer Regionalspitäler erreichen die minimalen Fallzahlen nicht mehr, um qualifiziertes Personal zu halten und ihre Infrastruktur auszulasten. Regionalpolitische Befindlichkeiten behindern allerdings eine Konzentration unserer Spitallandschaft. Der internationale Vergleich zeigt zudem: Mehr ambulante Behandlungen wären möglich, und der Bedarf an Spitalbetten würde noch weiter sinken. Die Ostschweiz hat besonderen Handlungsbedarf.

Neben einer einheitlichen Finanzierung der stationären Leistungen sollte die 2012 in Kraft getretene «Neue Spitalfinanzierung» auch mehr Wettbewerb bringen – dank einfacherer ausserkantonaler Behandlungen, gleich langer Spiesse für private Spitäler und transparenterer Finanzierung der Spitäler in öffentlicher Hand. Gewisse positive Effekte sind seit 2012 auch zu verzeichnen.1 So stieg der Anteil der ausserkantonalen Patienten deutlich an, und das neu eingeführte SwissDRG-System2 führte zu einer Angleichung bei den Kosten für die einzelnen Operationen. Grössere Anpassungen bei den Spitalstrukturen fanden aber nicht statt, sieht man von einzelnen interkantonalen Kooperationen und den Spitalschliessungen im Kanton Bern ab. Nicht zuletzt die Mehrfachkontrolle der Kantone bleibt problematisch. 

Mehrfachrolle der Kantone

Die Kantone sind nach wie vor Eigentümer der meisten Akutspitäler – sei es direkt als Eigentümer, sei es als Mehrheitsaktionär von Spital-Aktiengesellschaften. Und obwohl die Regeln für die Spitalfinanzierung vereinheitlicht wurden, haben die Kantone weiterhin verschiedene Möglichkeiten zur Begünstigung der eigenen Spitäler.3 So können zinslose Darlehen gewährt oder tiefe Mietzinsen für staatliche Liegenschaften verlangt werden. Gemeinwirtschaftliche Leistungen sind eine weitere Finanzierungsmöglichkeit. Zudem erstellen die Kantone die kantonalen Spitallisten und bestimmen damit, welche Spitäler in den Genuss des Kantonsbeitrags von 55 Prozent für die statio­nären Leistungen kommen. Oft entscheiden die Kantone über die Standorte der Spitäler in kantonalem Besitz, wie das auch in St. Gallen und den beiden Appenzell der Fall ist. Weiter können die Kantone den Wettbewerb bei den ausserkantonalen Behandlungen über tiefe Tarife für ausserkantonale Behandlungen einschränken.

Regionalpolitische Befindlichkeiten

Die Kantone haben nicht nur als Eigentümer der Spitäler einen Anreiz, diese finanziell zu begünstigen. Fast wichtiger dürften in der Praxis regionalpolitische Befindlichkeiten sein. Spitäler sind insbesondere in ländlichen Regionen wichtige Arbeitgeber. Zudem möchte die Bevölkerung gerne ein Spital in der Nähe haben, und sei es nur als mögliche Anlaufstelle in Notfällen. Spitalschliessungen scheitern in der Schweiz deshalb oft am lokalen Widerstand. Bisher haben es nur die Kantone Bern und Zürich geschafft, einen erheblichen Teil ihrer Regionalspitäler zu schliessen. Im Kanton St. Gallen versuchen es Regierung und Verwaltungsrat jetzt schon zum vierten Mal, nach zwei gescheiterten Anläufen in den 1990er-Jahren und einem weiteren zu Beginn des Jahrtausends.

Fehlanreize und Strukturen

Viele kleine Spitäler reduzieren zwar den Anfahrtsweg, können aber mit Abstrichen bei der Qualität und mit höheren Kosten verbunden sein. Um das nötige hochqualifizierte Fachpersonal halten zu können, eine gewisse Routine zu gewährleisten und die Infrastruktur auszulasten, sind minimale jährliche Fallzahlen nötig. Diese können in kleinen Regionalspitälern nicht mehr erreicht werden. Zudem besteht bei Überkapazitäten für die Spitäler ein starker Anreiz, längere und teurere Behandlungen durchzuführen. Wie im Artikel zur Spitalfinanzierung bereits gezeigt, liegen die Entschädigungen für die meisten stationären Operationen deutlich über denjenigen für ambulante Operationen. Bei Überkapazitäten besteht damit ein klarer Anreiz, die Behandlungen stationär durchzuführen. Angesichts der hohen Spitaldichte überrascht es denn auch nicht, dass in der Schweiz relativ oft stationär operiert wird. So waren die Anteile der stationären Operationen bei Leistenbruch oder Krampfadern lange sehr hoch, bis der Bundesrat diese auf die «Ambulant-vor-stationär-Liste» gesetzt hat. Die Gallensteinentfernung bietet ein weiteres Beispiel. Diese Operation kann dank technischem Fortschritt seit Kurzem ambulant durchgeführt werden. 2016 wurden in der Schweiz allerdings immer noch 96 Prozent aller Gallenblasenentfernungen stationär durchgeführt und nur 4 Prozent ambulant (siehe Abbildung). In Dänemark wurden dagegen bereits 55 Prozent dieser Behandlungen ambulant durchgeführt, in Kanada gar 60 Prozent.

Ostschweiz mit Handlungsbedarf

Die Ostschweiz weist im innerschweizerischen Vergleich einen hohen Anteil an stationären Operationen auf. Bei den sechs Operationen, die kürzlich vom Bundesrat auf die «Ambulant-vor-stationär-Liste» gesetzt wurden, lag der Anteil der stationären Operationen in St. Gallen zwischen 2013 und 2016 bei rund 60 Prozent, im schweizerischen Mittel nur bei rund 40 Prozent.4 Die Vermutung liegt nahe, dass dies auch eine Folge der hohen Spitaldichte und der Überkapazitäten ist. Die durchschnittliche Bettenauslastung liegt bei den vier St. Galler Spitalverbunden bei rund 90 Prozent, im Spital Appenzell gar nur bei rund 75. Für den Spitalverbund AR liegen keine Zahlen vor. Die tiefe Auslastung ist ein weiteres Indiz dafür, dass Überkapazitäten bestehen.

 

1 BAG (2019), Evaluation der KVG-Revision im Bereich der Spital­finanzierung, Schlussbericht des BAG an den Bundesrat, Bern, Bundesamt für Gesundheit.

2 SwissDRG (Swiss Diagnosis Related Groups) ist das neue Tarifsystem für stationäre Behandlungen, welches die Vergütung nach Fall­pauschalen schweizweit einheitlich regelt.

3 Stefan Felder, Stefan Meyer und Denis Bieri (2016). Tarif- und Finanzierungsunterschiede zwischen öffentlichen Spitälern und Privatkliniken, Gutachten im Auftrag der Privatkliniken Schweiz, WWZ Universität Basel.

4 Sacha Roth und Sonia Pellegrini (2018). Die Entwicklung der ambulanten Versorgung in den Kantonen. Analyse von sechs Gruppen chirurgischer Leistungen, Obsan-Bulletin 1/2019, Neuchâtel, Schweizerisches Gesundheitsobservatorium.

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