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Den Worten Taten folgen lassen

Schwerpunkt Vertrauen und Verantwortung Den Worten Taten folgen lassen

Markus Bänziger, IHK-Direktor

«Vertrauen bedingt Vertrauenswürdigkeit.» Drei Worte, die auf den ersten Blick selbstverständlich, ja banal klingen. Das einführende Zitat stammt vom britischen Ökonomen Lord Brian Griffiths of Fforestfach, seines Zeichens Vizepräsident der Investmentbank Goldman Sachs, ehemaliger Direktor der Bank of England und regelmässiger Gast und Referent am St.Gallen Symposium. Er äusserte diese Worte im Mai im Rahmen des 50. St.Gallen Symposiums, das sich dem Thema «Trust Matters» widmete – oder sagen wir doch: «Vertrauen entscheidet».

Jede und jeder von uns würde zustimmen, dass «Vertrauen» ein Grundbaustein eines erfolgreichen Miteinanders ist: im beruflichen, im gesellschaftlichen und im ­politischen Umfeld. Aber nur wer verantwortungsvoll, ehrlich, aufrichtig, redlich, verlässlich – also vertrauenswürdig – handelt, kann nachhaltig Vertrauen aufbauen und stärken. Diese Erkenntnis ist insofern relevant, als unser Vertrauen derzeit in mehreren Bereichen besonders herausgefordert wird. Die Pandemie stellt unser Vertrauen in die Politik und in unsere Mitmenschen auf die Probe. Unser Mitei­nander hat sich vor etwas mehr als einem Jahr schlagartig geändert. Symbolisch hierfür steht der Handschlag. Ein jahrhundertealtes Zeichen des Vertrauens kam von einem Tag auf den anderen abhanden.

Die Pandemie wird voraussichtlich demnächst überstanden sein. Weitere tiefgreifende, teils generationenüberspannende Entwicklungen bleiben. Zunehmender Populismus, digitale Transformation, Klimawandel, Altersvorsorge; es sind Herausforderungen, die unser gesellschaftliches Verständnis von Vertrauen nachhaltig prägen.

Die Treiber: Verrechtlichung, Spezialisierung und staatliche Expansion

Unternehmen spielen in der Art und Weise, wie wir diesen Herausforderungen begegnen, eine zentrale Rolle. Aufbau und Pflege von Vertrauen beschränken sich im unternehmerischen Kontext je länger, je weniger auf die Beziehung zwischen Produzent und Konsument oder auf jene zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Stattdessen beschäftigt immer mehr das Vertrauensverhältnis zwischen Gesellschaft und Wirtschaft.

Und dieses Vertrauensverhältnis droht zu erodieren. Es ist en vogue, «die Wirtschaft» undifferenziert als Verursacherin nahezu sämtlicher Probleme anzuprangern. Das breite unternehmerische Wirken zuhanden der Gesellschaft rückt – ungerechtfertigterweise – in den Hintergrund.

Wir identifizieren drei wesentliche Treiber für diese Entwicklung. Erstens: Gesellschaft und Unternehmenslandschaft erfahren eine exponentiell zunehmende Verrechtlichung. Zweitens: Die fortschreitende Spezialisierung und damit Arbeitsteilung rückt Konsument und Produzent zusehends auseinander. Drittens: Die Bedeutung staatsnaher Wirtschaftszweige gegenüber der Industrie und dem verarbeitenden Gewerbe steigt markant.

Kluft zwischen Unternehmen und Gesellschaft

Die inflationäre Verrechtlichung der Gesellschaft und vor allem des unternehmerischen Handelns reduziert die nach aussen wahrgenommene persönliche Verantwortung des Produzenten und überträgt diese auf eine formale Ebene. Mitunter führt die Intensivierung der Regeldichte zur gefährlichen Haltung: Was nicht verboten ist, ist erlaubt.

Die notwendige Spezialisierung, getrieben durch die steigenden Ansprüche der Konsumenten, die ausgebauten Funktionalitäten der Produkte und der Trend zu stets günstigeren Produkten – die Kausalkette kann durchaus auch in anderer Reihenfolge verknüpft werden – verlängern die Lieferketten bezüglich Distanzen und Akteuren zusehends. Unweigerliche Folge ist die abnehmende Nähe von Kunden zum Produzenten. Unternehmen werden gemeinhin distanziert als abstrakte Organisationen gesehen.

Die Expansion des Staates schliesslich äussert sich mitunter am Arbeitsmarkt. Während Anfang der 1990er-Jahre der Stellenanteil der Bereiche Verwaltung, Gesundheitswesen und Bildung bei 18% lag, hat er sich bis Ende 2020 auf 27% erhöht. Industrie und verarbeitendes Gewerbe durchleben – mitunter getrieben durch fortschreitende Automatisierung und Digitalisierung – eine inverse Entwicklung: Von 21% Ende der 1990er-Jahre ist der Stellenanteil auf heute 13% abgesunken. Der Gesellschaftsanteil mit täglichem Bezug zu Güterproduktion und zu realen Wertschöpfungsketten strebt gegen einen Zehntel. Produktion rückt für bald neun von zehn Menschen aus dem Erfahrungsschatz des Realen.

Vorlagen für negative Projektionen

Diese Entwicklungen führen zu einer Anonymisierung der Unternehmen. Pauschale Kritik an der Unternehmenslandschaft ist dann ein Einfaches, weil Unpersönliches. Pressekundige Fälle von einzelnen negativ konnotierten Grossunternehmen dienen als vorzügliche Vorlage für Projektionen. Wenige prominente Unternehmensverantwortliche, die kaufmännische Tugenden wie Zurückhaltung, Anstand und Bescheidenheit vermissen lassen, dienen als Sinnbild «realitätsentrückter Wirtschaftsbosse». Es genügen dann einzelne, aber scharfe Lohn- und Boni-Exzesse oder Verfehlungen beispielsweise durch ungenügende Kenntnis von Prozessen, Abläufen und Methoden in entfernt geglaubten Produktionsstätten oder Zuliefer­betrieben. Diese wenigen Exzesse und Verfehlungen ­Verursachenden mutieren dann durch leserfreundlich auf­bereitete und plakativ visualisierte Berichte zu Misstrauens-Superspreadern. Die erzielte Wirkung auf die breite Bevölkerung ist dann überwältigend, der Aufschrei in der Gesellschaft laut.

Den Worten Taten folgen lassen

Unternehmerinnen und Unternehmer, Kader und Mitarbeitende müssen wieder vermehrt aufzeigen, dass sie Verantwortung wahrnehmen. Dass sie verantwortungs- und vertrauensvoll handeln. Frei von staatlichem Zwang. Tagtäglich. Wir müssen unseren Worten Taten folgen lassen. Dazu trägt die IHK ihren Teil bei. Nach dem uns das krisengebeutelte Jahr 2020 die Wichtigkeit von Vertrauen und Verantwortung wieder verstärkt vor Augen geführt hat, widmet sich die IHK im Rahmen verschiedenster Anlässe und Publikationen dem Thema während des gesamten Jahres 2021.

Den Startpunkt markierten die diesjährigen digitalen Jahresauftaktansprachen des IHK-Präsidenten Roland Ledergerber und IHK-Direktor Markus Bänziger, in welchen sie daran appellierten, Entscheidungen von grosser Tragweite mit Respekt vor künftigen Generationen zu treffen. Auszüge aus den beiden Reden finden Sie am Ende des Artikels. 

Mit der Mitte Mai im engen Korsett der noch herrschenden Covid-Schutzbestimmungen durchgeführten Veranstaltung EcoOst St.Gallen Symposium haben wir das «Vertrauen in Zeiten der Unsicherheit» zwischen Unternehmerpersönlichkeiten und Studierenden debattieren lassen. Lesen Sie hier mehr zu diesem Generationendialog.

Die vorliegende Ausgabe des «IHKfacts» porträtiert vier Ostschweizer Unternehmer, die von ihrem Verständnis und Umgang mit Unternehmensverantwortung erzählen. Die Berichterstattungen fallen zwar unterschiedlich aus, die Pfeiler sind jedoch dieselben. Vertrauenswürdiges sowie verantwortungsvolles Handeln muss im unternehmerischen Alltag gelebt werden, sonst bleibt das Versprechen eine Worthülse.

Damit auch Vertreterinnen und Vertreter der Unternehmenslandschaft, der jungen Generation und der Gesellschaft in die Diskussion zum Thema Vertrauen und Verantwortung eingebunden werden können, ist für den September eine Workshop-Reihe angesetzt. Im Rahmen dieser Workshops werden Fragen rund um Vertrauen und Verantwortung im beruflichen, betrieblichen und unternehmerischen Alltag erörtert. Wo beginnt die unternehmerische Verantwortung, wo diejenige der einzelnen Mitarbeitenden? Was erwartet die nachrückende, junge Generation von Ihnen als Unternehmerin, Chef oder Kader? Seien auch Sie dabei an einem unserer Workshops und übernehmen Sie Verantwortung indem Sie sich einbringen und darüber sprechen.

Hier geht es zur Anmeldung für die Workshops zum Thema Vertrauen und Verantwortung. 

Auszug aus der Rede von Roland Ledergerber anlässlich des Jahresauftakts 2021 zu «Verantwortung»

Verantwortung tragen wir als Unternehmen, als Führungskräfte, als Mitarbeitende für unsere Produkte, deren Qualität, unseren Service und die Leistungsversprechen. Aber auch für die Mitarbeitenden, die Zusammenarbeitsqualität, für das Risikokapital, die Reputation und letztlich für das langfristige Überleben des Unternehmens. Gerade die glücklicherweise noch unzähligen Ostschweizer Fami­lienunternehmen – ob Klein-, Mittel- oder Grossunternehmen – denken weniger an den nächsten Quartalsbericht! Sie haben das Geschäftsjahr vor Augen, vielmehr aber noch das nächste Jahrzehnt, ja gar die nächste Generation. Entscheidungen von grosser Tragweite werden mit Respekt vor den künftigen Generationen von Kunden, Eigentümern und Mitarbeitenden gefällt. Langfristige Entwicklungen werden antizipiert und mit mutigen Entscheidungen wird das Unternehmen darauf vorbereitet.

Als schweizerische Gesellschaft schieben wir seit Jahren ein uns allen bekanntes, sich akzentuierendes Problem ohne Lösung vor uns her: die Altersvorsorge – ob nun in der 1. oder der 2. Säule. Es braucht eine umfassende Problemlösung. Es geht um unsere Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen. Während wir vor einem Jahr noch vage waren, fordern wir im «IHKfacts 3/2020» eine Erhöhung und eine dynamisierte Angleichung des Rentenalters an die Altersentwicklung. Es ist die einzige langfristig tragbare Lösung. Wenn wir nicht die heute junge, sehr junge Generation mit einer fast untragbaren Hypothek noch mehr belasten wollen. Unsere eige­ne Freiheit hört dort auf, wo die Freiheit der nächsten Generation Schaden nimmt. Tragen wir nicht nur unserer Freiheit Sorge. Tragen wir auch der Freiheit der nachfolgenden Generationen Sorge.

Freiheit und Verantwortung sind die Kehrseiten der gleichen Medaille. Es ist unsere Aufgabe, uns dafür zu engagieren. Im Unternehmen und in der Gesellschaft.

Auszug aus der Rede von Markus Bänziger anlässlich des Jahresauftakts 2021 zu «Vertrauen»

Als Unternehmerinnen und Unternehmer wissen wir, dass ohne Vertrauen langfristiger, nachhaltiger Erfolg nicht möglich ist. Es braucht das Vertrauen der Kunden, der Lieferanten, der Geschäftspartner und ganz besonders auch das Vertrauen der Mitarbeitenden. Weil wir das wissen, investieren wir viel in den Aufbau dieses Vertrauens und tragen ihm tagtäglich Sorge. Trotzdem hat die Wirtschaft, haben die Unternehmen im Stimmvolk an Vertrauen verloren. Die Auseinandersetzung um die Konzernverantwortungsinitiative hat uns das mit ­aller Deutlichkeit gezeigt.

[…]

Die positiven Aspekte gehen jedoch zusehends vergessen – Unternehmen werden stattdessen für alle negativen Begleiterscheinungen verantwortlich gemacht. Es gilt deshalb, das erodierende Vertrauen ernst zu nehmen. Wie eingangs erwähnt, ist das Vertrauen die Basis für jegliches erfolgreiche Geschäft. Dieses Vertrauen muss man sich erarbeiten und verdienen. Es wird nicht geschenkt.

Was für ein Unternehmen in seinen Märkten gilt, gilt auch für die Wirtschaft in der direkten Demokratie. Unternehmer müssen dazu wieder vermehrt Gehör in der Gesellschaft finden – und sich auch Gehör verschaffen. Wir alle, die Verantwortung in den Unternehmen tragen, müssen uns stärker in der öffentlichen Diskussion engagieren. Dazu braucht es Mut. Vielen Dank an alle, die diesen Mut aufbringen.