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Wo will der Kanton St. Gallen 2028 stehen?

St. Gallen: Kantonsrats- und Regierungswahlen Wo will der Kanton St. Gallen 2028 stehen?

Markus Bänziger, IHK-Direktor

Am 8. März finden im Kanton St. Gallen die Kantonsrats- und Regierungsratswahlen statt. In der Regierung kommt es zu grösseren personellen Wechseln. Sie muss die anstehenden Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte angehen. Es gilt also, mit Weitblick die Weichen für die Zukunft St. Gallens und der Ostschweiz zu stellen. Gefordert sind alle: Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Bevölkerung.

Versetzen wir uns für einen Moment acht Jahre in die Zukunft. Wir schreiben das Jahr 2028. Vieles hat sich getan – auf nationaler Ebene, insbesondere aber auch in der Ostschweiz. Die heute bereits vielseitig diskutierten Herausforderungen haben unsere Region eingeholt: 2028 erreichen die Frauen des Jahrgangs 1964 – der geburtenstärkste Jahrgang der Schweiz – das Rentenalter, die Männer stehen ein Jahr davor. Der grösste Teil der Babyboomer-Generation ist bereits pensioniert, im Kanton St. Gallen stehen noch knapp 2,5 Personen im erwerbsfähigen Alter einer pensionierten Person gegenüber. Der Fachkräftemangel hat sich in acht Jahren weiter verschärft; die Sozialwerke AHV und BVG sind noch stärker unter Druck geraten. Gleichzeitig steigen die Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung stetig an. Die Digitalisierung durchdringt sämtliche Lebensbereiche und bedingt ganz andere Fähigkeiten und Kompetenzen in der Arbeitswelt. Die inzwischen beträchtlich gealterte Bevölkerung stellt neue Anforderungen an ein hoch spezialisiertes Gesundheitswesen.

Mehrheiten müssen überzeugt werden

In acht Jahren, 2028, werden zwei Legislaturen in der St. Galler Kantonalpolitik vergangen sein. Im kommenden März bereiten die Wahlen des Kantons- und des Regierungsrats den Weg für die erste dieser beiden Legislaturen. Gerade in der Regierung stehen grosse personelle Wechsel bevor: Drei der bisherigen Regierungsräte stellen sich nicht mehr zur Wiederwahl. Die Annahme, dass die Mehrheit der dieses Jahr gewählten Räte ihr Amt auch noch 2028 bekleiden werden, ist angemessen.
Die Wahlen im März sind daher für die Zukunft des Kantons St. Gallen und somit für die Ostschweiz eine zentrale Weichenstellung: Wenn die oben erwähnten Herausforderungen gemeistert werden sollen, bleibt einiges zu tun. Dabei gilt es nicht nur, laufende Reformen rasch und konsequent umzusetzen. Vielmehr müssen wir nun auch den Mut und die Weitsicht aufbringen, weiter zu denken als nur bis zur nächsten Legislatur. Dies bedingt, auch unpopuläre Themen aufzugreifen – und der Bevölkerung den Handlungsbedarf glaubhaft darzulegen. Das häufig genannte Argument, eine Lösung sei «nicht mehrheitsfähig», soll nicht zur Ausrede verkommen, lediglich den politischen Status quo zu verwalten. Fehlende Mehrheiten müssen durch Überzeugung erarbeitet werden und dürfen bei der Konzeption der Lösungen nicht der dominierende Orientierungspunkt sein. Denn mit den Rezepten der Vergangenheit werden wir kaum in der Lage sein, die Probleme der Zukunft anzugehen.
Gerade der neu gewählten Regierung wird dabei eine Schlüsselrolle zukommen. An ihr wird es liegen, wichtige Impulse auf politischer Ebene zu geben, um die Zukunft proaktiv mitzugestalten. Gewiss, die Lösung einiger der drängenden Probleme fällt in die Hauptverantwortung des Bundes oder gar der internationalen Gemeinschaft. Man denke an die Altersvorsorge, die Beziehungen zur EU oder den Klimawandel. Dies soll uns dennoch nicht davon abhalten, auch auf kantonaler Ebene nach möglichen ­Lösungen oder Handlungsfeldern zu suchen und solche entschieden voranzubringen. Wenn uns dies gelingt, so befinden sich der Kanton St. Gallen und die Ostschweiz auf gutem Weg, die Herausforderungen der Zukunft als Chance zu nutzen.

Wichtige Projekte warten

2028 könnte, wie vorgesehen, die aktuell vorliegende Spitalstrategie planmässig abgeschlossen werden – und die Ostschweiz damit einen grossen Schritt näher an eine zukunftsorientierte Gesundheitsversorgung führen. In acht Jahren kann das Fundament gelegt sein für eine Berufsbildung, die sich an den geänderten Bedürfnissen des Arbeitsmarkts orientiert: Kompetenzorientierte Berufsfachschulen – oder, im Sinne einer internationalen Ausrichtung, Professional Schools – ersetzen die nach regionalen Begebenheiten ausgerichteten Berufsschulen von heute. Die Universität St. Gallen hat ihre Position als eine der führenden europäischen Wirtschaftsuniversitäten durch massgebliche Informatikkompetenzen ausgebaut. Sie agiert im Rahmen eines bezüglich Governance und Compliance modernisierten Universitätsgesetzes, hat aber den unternehmerischen Freiraum von Rektorat und Instituten gar gestärkt. Durch eine gesamtheitliche Ostschweizer Mobilitätsstrategie über die vier Kantone Thurgau, St. Gallen und beide Appenzell sind wesentliche Verkehrs­projekte wie die Engpassbeseitigung St. Gallen oder der Zubringer Appenzellerland weit vorangeschritten oder haben bereits mit dem Bau begonnen. So werden wir den gesteigerten Mobilitätsbedürfnissen gerecht. 2028 erleichtern flexible Arbeitszeiten sowie bedarfsgerechte Betreuungsangebote die Vereinbarkeit von Familie und ­Beruf; die höhere Beteiligung von Eltern am Arbeitsmarkt entschärft den Fachkräftemangel. Und durch eine rundum ambitionierte Standortpolitik befindet sich der Kanton St. Gallen gar auf bestem Weg, vom Nehmer- zum Geberkanton zu werden.

Wir alle sind gefordert

Ob die genannten Projekte in acht Jahren erfolgreich umgesetzt oder zumindest aufgegleist sind, liegt nicht nur an der Regierung: Eine mindestens so wichtige Rolle wird der Kantonsrat einnehmen, der ebenfalls am 8. März neu gewählt wird. Nachhaltige Rezepte für die Entwicklung unserer Region müssen zudem zusammen mit der Wirtschaft, der Bevölkerung und der Zivilgesellschaft erarbeitet werden. Auch die IHK St. Gallen-Appenzell wird ihren Beitrag leisten: Im Rahmen unserer Zukunftsagenda, die als Ziel- und Orientierungsrahmen für die Entwicklung der Kernregion Ostschweiz dient, werden wir die Zukunft unserer Region aktiv mitgestalten.
An uns allen liegt es also, zu erreichen, dass die Ostschweiz in acht Jahren bereit ist für die anstehenden Herausforderungen. Mit den Wahlen im März legen wir das Fundament für eine Politik, die diese Herausforderungen mit Mut und Weitsicht aufgreift – und nicht bloss an die nächsten Wahlen denkt. Nur so können wir die Vision rea­lisieren, die Ostschweiz zum bevorzugten Lebens- und ­Arbeitsraum für Menschen und Wirkungsort für Unternehmen zu entwickeln.

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