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Wir bekämpfen das Virus, nicht unsere Nachbarn

Replik auf offenen Brief der Parteipräsidien Wir bekämpfen das Virus, nicht unsere Nachbarn

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26. Januar 2021 | In einem offenen Brief an den Bundesrat fordern die Parteipräsidien ein «umfassendes Grenz- und Testregime». Auch die IHK begrüsst Bestrebungen, mit denen Infektionsketten rascher erkannt und unterbrochen werden können. Teile der vorgeschlagenen Massnahmen sind aber unpraktikabel, diskriminierend und berücksichtigen die Gegebenheiten in den Grenzregionen kaum.

Nach der ersten Pandemiewelle war man sich von links bis weit rechts einig: Bilder von Maschendrahtzäunen an den Grenzen dürfen sich nicht wiederholen. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Verflechtungen mit unseren Nachbarn sollen nicht pauschal durchtrennt werden. Der Pandemie ist stattdessen mit zielgerichteten Massnahmen entgegenzuwirken.

Umso befremdlicher ist ein gemeinsames Schreiben der nationalen Parteipräsidien mit dem Titel «Zielführende Corona-Massnahmen für Ein- und Ausreise», das vom 22. Januar 2021 datiert. Darin fordern die sechs grössten Schweizer Parteien geschlossen ein «umfassendes Grenz- und Testregime». Dieses soll helfen, «die Pandemie möglichst gut zu kontrollieren und andererseits möglichst wenige Einschränkungen der Wirtschaft und Gesellschaft» aufzubürden. Was im Grundsatz unterstützenswert klingen mag, erweist sich bei näherer Betrachtung als Affront gegenüber den Grenzregionen und unseren Nachbarn.

Umfassendes, praktikables Testsystem

Insbesondere die Forderung, wonach sich Grenzgängerinnen und Grenzgänger systematisch alle drei Tage testen lassen müssen, zeugt von fehlendem Praxisbezug und wenig Gespür für die Gegebenheiten in Grenzregionen. Eine solche Regelung wäre kaum umzusetzen.

Unbestritten: Infektionsketten müssen rascher erkannt und unterbrochen werden können. Der Weg führt unter anderem über eine umfassendere, praktikable und leistungsfähige Teststrategie. Den Fokus gilt es aber auf Hotspots und Einrichtungen mit besonders gefährdeten Personen zu richten – und nicht auf Grenzübertritte durch Personen mit tiefem Infektionsrisiko. Die Ankündigung des Bundes, künftig auch asymptomatischen Personen einen barrierefreien Zugang zu Tests zu ermöglichen, ist demnach zu begrüssen.

Regionale Betrachtungsweise basierend auf epidemiologischen Daten

Quarantäneregeln für Personen aus Risikogebieten mögen sinnvoll sein, insbesondere im Bereich der vermeidbaren Mobilität. Dass auch (Geschäfts-)Reisende aus Ländern mit wesentlich tieferen Inzidenzen einer Quarantänepflicht unterworfen werden sollen, ist aber aus epidemiologischer Sicht nicht nachvollziehbar. Gar als diskriminierend ist die Testpflicht für Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus Herkunftsländern mit tieferen Fallzahlen einzustufen. Weshalb sollen Arbeitspendler aus einem Kanton mit hohen Inzidenzahlen anders behandelt werden als Arbeitspendler aus dem grenznahen Ausland mit tiefen Inzidenzahlen? Stattdessen muss das Grenzregime regional und basierend auf epidemiologischen Daten betrachtet werden.

Vorgehen international abstimmen

Insbesondere mit den vorgeschlagenen Massnahmen für Grenzgängerinnen und Grenzgänger würde die Schweiz einen Alleingang beschreiten. Ein solcher ist abzulehnen. Vielmehr muss sich die Schweiz international dafür einsetzen, dass die Grenzen für den Personen- und Warenverkehr dank zielgerichteter und diskriminierungsfreier Massnahmen weitestgehend offengehalten werden können. Dazu gehört ein international abgestimmtes Vorgehen der Schweiz mit ihren Nachbarstaaten.

Bundesrat muss Grenzregionen berücksichtigen

Mit ihrem Schreiben suggerieren die Parteipräsidien, die Schweiz könne der Pandemie mit einer «Reduit-Strategie» Herr werden. Das ist zwar kaum so beabsichtigt, wird in den Medien und der Öffentlichkeit aber so wahrgenommen. Den Nachbarstaaten eine Mitschuld für die eigenen Versäumnisse zu geben, greift zu kurz – doch genau dieses Bild des «Virenimports» wird mit dem Schreiben ungewollt vermittelt. Das ist gefährlich. Wir bekämpfen das Virus, nicht unsere Nachbarn.

 

Es bleibt deshalb zu hoffen, dass der Bundesrat den Forderungen nicht blindlings folgt und im Gegensatz zu den nationalen Parteipräsidien auch die Stimmen aus den Grenzregionen berücksichtigt. Die IHK St.Gallen-Appenzell macht sich in einem Schreiben gemeinsam mit weiteren Handelskammern aus dem In- und angrenzenden Ausland gegenüber dem Bundesrat dafür stark.

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