Sie sind hier

Wie viel Staat in der Kinderbetreuung?

Familien- und schulergänzende Kinderbetreuung Wie viel Staat in der Kinderbetreuung?

Michael Götte Leiter kantonale Politik IHK

Der zunehmende Fachkräftemangel ist eine zentrale Herausforderung für die Wirtschaft. Die verstärkte Erwerbsbeteiligung von Frauen ist eine mögliche Lösung dieses Problems. Dabei stellt sich die Frage, wie weit der Staat zusammen mit der Wirtschaft diese gezielt fördern soll. Grundlegende liberale Werte stehen auf dem Spiel.

Aufgrund eines Berichts zum Fachkräftemangel im Kanton St. Gallen erteilte der Kantonsrat im Jahr 2016 der Regierung den Auftrag, die Situation der vorschulischen und schulischen Kinderbetreuung zu untersuchen.
Ein besseres und günstigeres Angebot in diesem Bereich fördere die Erwerbstätigkeit von Frauen und könne somit den Fachkräftemangel entschärfen. Mit dem Bericht «Familien- und schulergänzende Kinderbetreuung
im Kanton St. Gallen» zeigte der Kanton 2018 auf, dass aktuell ein unterdurchschnittlicher Versorgungsgrad besteht und die Eltern im Vergleich mit anderen Kantonen einen grossen Anteil der Kosten tragen.

Bündelung der politischen Massnahmen

Im Jahr 2018 kam zudem die Initiative «Familien stärken und finanziell entlasten» zustande. Sie forderte, dass die Kinder- und Ausbildungszulagen im Kanton St. Gallen 50 Franken über den bundesrechtlichen ­Minimalansätzen liegen sollen. Die Regierung sprach sich gegen diese Forderung aus und machte dem Kantonsrat den Gegenvorschlag, eine Beteiligung der Arbeitgebenden an den Kosten der familien- und schulergänzenden Betreuungsangebote einzuführen. Das kantonale Parlament entschied sich für ein Paketgeschäft, das zugleich auch die sozialen Ausgleichsmassnahmen zur aktuellen Steuervorlage regelt. Es enthält unter anderem eine Erhöhung der Kinder- und Ausbildungszulagen um 30 Franken. Das Geschäft fand im Parlament eine klare Mehrheit, wodurch es im folgenden November zur Volksabstimmung kommt. Bei einer entsprechenden Annahme wird es ab 2021 eine kantonale Beteiligung von fünf Millionen Franken an familien- und schulergänzenden Massnahmen geben.

Beitrag der Wirtschaft

Für eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind die politischen Massnahmen nur die Rahmenbedingungen. Die effektiven Lösungen müssen Unternehmen zusammen mit den Betroffenen entwickeln. Beispielsweise bei der Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse. Teilzeitarbeit und eine individuellere Einteilung der Arbeitszeit erhöhen den Spielraum für familiäre Pflichten. Auch die Möglichkeit von Homeoffice bietet eine bessere Vereinbarkeit von beruflichen und familiären Verpflichtungen. Auch die IHK St. Gallen-­Appenzell hat sich im vergangenen Jahr intensiv mit dieser Thematik auseinander­gesetzt.

Staatliche Verpflichtung

Für die Gemeinde besteht bis heute keine Pflicht, ein Angebot für den familien- und schulergänzenden Bereich bereitzustellen oder zu finanzieren. In der Regel sind Kindertagesstätten im Kanton St. Gallen daher private Einrichtungen, die von Vereinen oder Unternehmen getragen und von den Gemeinden finanziell unterstützt werden. Die Eltern tragen knapp zwei Drittel der Kosten, die Gemeinden etwas weniger als einen Drittel. Diese Situation könnte sich bald ändern. Mit einem gutgeheissenen parlamentarischen Vorstoss wurde die Regierung anfangs Jahr beauftragt, ein Gesetz mit einer Angebotspflicht der Schulträger für eine schulergänzende Betreuung ab dem Eintritt in den Kindergarten vorzulegen. Wann und in welcher Form dieses Gesetz für den Kanton St. Gallen debattiert wird, ist noch nicht bestimmt.

Es liegt an Politik und Wirtschaft, mit diesen gesellschaftlichen Veränderungen Chancen zu nutzen und die Zukunft aktiv zu gestalten.

 

weitere Artikel finden Sie hier

Diese Beiträge könnten
Sie ebenfalls interessieren: