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Wie Firmen ihre Resilienz stärken

Systemisches Management Wie Firmen ihre Resilienz stärken

Roland Waibel

Robustheit, Agilität und Stabilität machen Unternehmen resilient für ausgeprägte Krisen. Welches sind die systemischen Folgerungen für die Unternehmenswelt nach Corona?

Die Corona-Pandemie brach wie eine Naturkatastrophe über uns herein. Kommt der Ursprung aus dem Obersystem Natur, drängt sich die Frage auf: Was lernen wir systemisch von ihr?

Oberstes biologisches Ziel ist, Überleben zu sichern. Seit Darwin wissen wir, dass in der Evolution jene Arten die besten Chancen haben, die sich am besten den Veränderungen der Umwelt anpassen («Survival of the fittest»). Analog kann man von gut angepassten Firmen sprechen, wenn sie mit den vielfältigen Herausforderungen intelligent umgehen, in ausgeprägten Krisen belastbar bleiben und langfristig überlebensfähig sind. Die Wissenschaft umschreibt dies mit dem Fachterminus «Resilienz». Er bezeichnet die Belastbarkeit eines Systems und seine Elastizität gegenüber Störungen. Als dynamische Kompetenz resultiert Resilienz aus der Balance von Robustheit, Agilität und Stabilität.

Eine resiliente Firma ist in der Lage, ihre Widerstandskraft zu erhöhen und das Immunsystem zu stärken, ohne unflexibel zu werden. Sie lässt Wandel zu, ohne die eigene Wertestabilität und Identität zu verlieren.

 

Prinzip der Robustheit: Diversifikation statt Fokussierung

Globalisierung und sich verschärfender Wettbewerb liessen Unternehmen in den letzten Jahrzehnten zunehmend den Weg der strategischen Fokussierung beschreiten. Kostendruck bewog Firmen, sich auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren und andere Glieder der Wertschöpfungskette auszulagern («do what you can do best – outsource the rest»). Die strategische Fokussierung und Spezialisierung erscheint mit Blick auf die Kosten gerechtfertigt. Sie birgt aber Gefahr: Wer sich nur auf unmittelbare Konkurrenz konzentriert und versucht, besser zu sein, verpasst strategische Chancen – sich «anders» und damit variabler aufzustellen. Zudem bedroht die Digitalisierung einzelne Geschäftsfelder und Branchen im zunehmend disruptiven Umfeld viel schneller als früher – mit anderen Technologiesprüngen oder Geschäftsmodellen. So wie in der Natur eine Mischkultur widerstandsfähiger ist als eine Monokultur, erhöht strategische Diversifikation die Resilienz eines Unternehmens – selbst zum Preis verringerter Effizienz. Diversifikation in einer Welt voller Ungewissheit bedingt, strategisch agil zu sein und auch in der grundlegenden Ausrichtung des Unternehmens eine experimentelle Geisteshaltung an den Tag zu legen: also

  • laufend neue Geschäftsmodelle und Chancen prüfen,
  • branchenfremde Entwicklungen verfolgen,
  • strategische Initiativen im Kleinen testen und Folgerungen ziehen,
  • in Varianten denken und strategisch auf mehreren Standbeinen balancieren.

Das impliziert eine offene Lern- und Fehlerkultur, die produktive Misserfolge als notwendige Schritte zum Erfolg begreift. Mantras wie «fail fast» stehen für diese Haltung. Sie fordert von Unternehmen, gleichzeitig effizient und flexibel zu sein, gleichzeitig Bestehendes optimal auszunutzen und Neues auszuprobieren.
 

Prinzip der Agilität: Experimente statt Planung

Heute notwendige Adaptionsfähigkeiten werden oft unter dem Begriff «Agilität» zusammengefasst. Flexible, innovative Unternehmenskulturen fallen aber nicht vom Himmel oder können einfach angeordnet werden: Geschäftsleitungen müssen für ein vitales Klima sorgen, ein fruchtbares Biotop erschaffen, das diese Fähigkeiten fördert – und so Ideen, Konzepte und Innovationen spriessen lässt. Dem Primat der Effizienz folgend ist die vorherrschende Managementlehre oft darauf ausgerichtet, «Redundanzen» und «Ineffizienzen» zu unterdrücken. Angesichts der disruptiven Welt ist es aber überlebenswichtig, adaptive Fähigkeiten zu kultivieren – auch in Firmen, die über Jahrzehnte vor allem mit Analyse- und Planungsinstrumenten führten.

Firmen haben heute weder Zeit noch Kapazitäten, Umweltveränderungen primär via gründliche Analyse und nachfolgende Planung zu begegnen. Stattdessen gilt es, auf Szenarien, Experimente und schnelle Lernprozesse zu bauen. Dies bedingt eine Vertrauenskultur, den Einbezug aller Mitarbeitenden und eine Absage an die top-down bestimmende Managergilde: Selbst wenn in der Geschäftsleitung ausschliesslich Genies einsitzen, ist die kollektive Intelligenz einer hierarchisch geführten Command-and-Control Organisation bescheiden. Ungeahnte Zukunftspotentiale zu erschliessen, gelingt einem Unternehmen dagegen, wenn es

  • die Weisheit der Vielen mittels kluger Personalauswahl anzapft, statt Selbstähnlichkeit sucht («Schmidt sucht Schmidtchen»),
  • so die Diversität der Köpfe und Ideen erhöht und dieses grosse Reservoir an mündigen Impulsgebern durch weitgehende Kompetenzen ermächtigt
  • und in einer offenen Vertrauens- und Fehlerkultur breit experimentieren lässt.

Dies setzt ein Führungsverständnis voraus, das Kontroll- und Machtverlust akzeptiert und stattdessen zutraut und loslässt.
 

Prinzip der Stabilität: Enkelfähigkeit statt kurzfristige Gewinnmaximierung

Insbesondere erfolgreiche Firmen betonen bei aller Notwendigkeit der Agilität auch die Sinnhaftigkeit eines langen Zeithorizonts. Die erfolgreichsten Familienbetriebe finden sich bei den «Hidden Champions», den verborgenen und der breiten Öffentlichkeit eher unbekannten Weltmarktführern. In der Ostschweiz gibt es einige – wie SFS, Bühler, sia Abrasives, Metrohm, Arcolor oder Wyon. Sie stellen die Unternehmenskultur über alles, orientieren sich an Firmenwerten und denken sehr langfristig, über Generationen. Die Mitarbeiterorientierung ist ausgeprägt, was sich in rekordtiefer Fluktuation von weniger als drei Prozent niederschlägt (der Schweizer Durchschnitt liegt bei zehn Prozent). In Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie machen sie alles, um keine Mitarbeitenden zu entlassen. Oft verhalten sie sich bewusst antizyklisch: Während der Finanzkrise 2009 und des Frankenschocks 2015 investierten sie in die Zukunftsfähigkeit und erhöhten Ausgaben für Innovation und Produktentwicklung. Hidden Champions investieren fast doppelt so viel in Forschung und Entwicklung wie Grossunternehmen. Statt auf kurzfristige Gewinne fokussieren sie auf die Steigerung des Unternehmenswerts über Generationen.


Prof. Dr. Roland Waibel dissertierte und habilitierte an der Universität St.Gallen. Seit 2006 ist er Leiter des Instituts für Unternehmensführung und Dozent an der FHS St.Gallen.

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