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Von Risiken und Nebenwirkungen

Ausbau des öffentlichen Verkehrs Von Risiken und Nebenwirkungen

Dr. Kurt Weigelt, IHK-Direktor

Der öffentliche Verkehr ist bei der Bewältigung grosser Verkehrsaufkommen unschlagbar. Problematisch ist aber die Tatsache, dass Investitionen nicht kritisch hinterfragt werden dürfen. Denn der Ausbau des subventionierten öV-Angebotes hat letztlich zur Zersiedelung der Schweiz beigetragen: Dichtestress ist eine direkte Folge der Eisenbahnpolitik der jüngeren Vergangenheit. Es ist Zeit, die Diskussionen rund um den öffentlichen Verkehr vom ideologischen Ballast der jüngeren Vergangenheit zu befreien. Die technologische Entwicklung wird unsere Mobilität ohnehin grundlegend verändern.

Lang, lang ists her. Anfangs der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts erschütterten Schreckensmeldungen über sterbende Wälder die Öffentlichkeit. Ein grossflächiges Waldsterben mit katastrophalen Folgen wurde pro-gnostiziert, vor allem im Alpengebiet. Das Gegenteil ist eingetroffen. Sorge bereiten nicht mehr sterbende Bäume, sondern die zunehmende Verwaldung der Alpweiden. Geblieben sind jedoch die umweltpolitischen, industriepolitischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Waldsterbedebatte. Dazu gehört das Comeback der Eisenbahn.

Goldenes Kalb

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich lege beruflich deutlich mehr Kilometer mit der Eisenbahn zurück als mit meinem Auto. Auch bin ich überzeugt, dass der öffentliche Verkehr in der Bewältigung grosser Verkehrsaufkommen unschlagbar ist.
Nachdenklich stimmt jedoch die Tatsache, dass im Zusammenhang mit Investitionen in den öffentlichen Verkehr keine kritischen Diskussionen mehr möglich sind. Die politischen Auseinandersetzungen rund um die Eisenbahn, das Postauto und den Trolleybus erinnern mehr an den Tanz um das Goldene Kalb als an einen ernsthaften Diskurs zum verantwortungsvollen Umgang mit öffentlichen Geldern. Beim Bahnausbau 2035 interessiert lediglich die Frage, ob 11,5 Milliarden oder 13 Milliarden Franken ausgegeben werden sollen. Jede neue Schiene ist per se eine gute Schiene.

Nebenwirkungen

Wesentlich beeinflusst wird die öffentliche Diskussion rund um den öffentlichen Verkehr durch den Umstand, dass dieser nur zu einem kleinen Teil von den Nutzniessern selbst bezahlt werden muss. Die Schweizer Bahnen werden zu rund 60% mit öffentlichen Geldern und nicht von den Kunden finanziert. Ein Arbeitnehmer, der in Bern wohnt und in Zürich arbeitet, bezahlt als Inhaber eines Generalabos für die tägliche Hin- und Rückfahrt rund 16 Franken. Weniger als für ein Mittagessen. Kein Wunder, dass bei diesen staatlich subventionierten Dumpingpreisen die Nachfrage stärker wächst als das Angebot. Und ebenso wenig überrascht die damit verbundene Zersiedelung der Schweiz. Die Nähe zu einer S-Bahn-Station ist zu einer entscheidenden Frage bei der Wahl des Wohn- und Arbeitsortes geworden. Der vielbeschworene Dichtestress ist eine direkte Folge der Eisenbahnpolitik der jüngeren Vergangenheit.

Gesamtheitliche Betrachtungsweise

Zu den negativen Nebenwirkungen der aktuellen Verkehrspolitik gehört auch die Benachteiligung peripherer Standorte. Raumkonzepte, die sich bei den wirtschaftlichen Entwicklungsgebieten am bestehenden Eisenbahnnetz und damit an einer Infrastruktur aus dem 19. Jahrhundert orientieren, sind untauglich. Problematisch sind aber auch die siedlungsinneren Konsequenzen. Dies zeigt sich beispielhaft in der Stadt St. Gallen. Die zentrale Achse Bahnhofplatz–Marktplatz–Bohl ist bald nur noch ein überdimensionierter Busbahnhof. Dies mit durchaus viel Bewegung während der Stosszeiten, jedoch gähnender Leere, sobald die Pendler den Weg nach Hause gefunden haben. Eine Verkehrsinfrastruktur, die mit Blick auf einige wenige Spitzenzeiten ausgebaut wird, beeinträchtigt unseren Lebensraum. Dies gilt für den öffentlichen Verkehr und den Strassenbau.

Zurück zum gesunden Menschenverstand

Es ist an der Zeit, dass wir die Diskussionen rund um den öffentlichen Verkehr vom ideologischen Ballast der jüngeren Vergangenheit befreien. Der technologische Wandel wird auch die individuelle Mobilität grundlegend verändern. Wenn man die Entwicklung verfolgt, gibt es viele gute Gründe anzunehmen, dass sich der Strassenverkehr in ein selbstregulierendes System mit hoher Effizienz verwandeln wird. Die Gefahr ist gross, dass wir im Bereich des traditionellen öffentlichen Verkehrs bald einmal vor Investitionsruinen stehen. Vergleichbar mit den Fehlinvestitionen der Elektrizitätswirtschaft wie den Pumpspeicherwerken in unseren Bergen. Auch beim öffentlichen Verkehr ist daher jedes einzelne Ausbauvorhaben auf seinen mittelfristigen Nutzen zu überprüfen. Dies gilt insbesondere für die langfristigen Unterhaltskosten. Neubauprojekte machen nur dann Sinn, wenn diese der individuellen Mobilität auch aus Kundensicht überlegen sind. Umerziehung funktioniert nicht. Weiter geht es um Tarifsysteme, die sich der Kostenwahrheit annähern. Jede staatliche Umverteilung führt zu einer Übernutzung und einer Unterfinanzierung. In erster Linie aber braucht es mehr gesunden Menschenverstand. Die Eisenbahn, das Postauto und der Trolleybus sind wichtige Elemente unserer Infrastruktur. Nicht mehr und auch nicht weniger.

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