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Unternehmen in der Ukraine – vor, im und nach dem Krieg

IHKtalk@HSG Unternehmen in der Ukraine – vor, im und nach dem Krieg

Silan Künzle, Projektmitarbeiter

6. Oktober 2022 | Wie haben Schweizer Unternehmen mit Standort in der Ukraine den Kriegsanfang erlebt? Wie haben sie darauf reagiert und wie sieht ihre Zukunft aus? Diese Fragen diskutiert IHK-Direktor Markus Bänziger in der Oktober-Ausgabe des IHKtalk@HSG mit Prof. Dr. Ulrich Schmid und Franziska Tschudi.

Prof. Dr. Ulrich Schmid ist Prorektor an der Universität St.Gallen und Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands. Franziska Tschudi ist CEO und Mitinhaberin der Rapperswiler Weidmann Holding AG. Das Unternehmen stellt unteranderem Isolationslösungen für Elektrotechnik her und betreibt ein Produktionswerk mit 650 Mitarbeitenden in Malyn mit Vertriebsstandort in Kiew.

Auf dem richtigen Weg

Franziska Tschudi stiess 1995 zur Weidmann Holding AG. Als Projektleiterin bestand ihre erste Aufgabe darin, ein ukrainisches Unternehmen anzubinden und dessen Produkte auf den europäischen Markt zu bringen. Hätte sie heute die gleichen Bedingungen, sie würden es wieder tun. Das sehr arme Land hat sich seither stark wirtschaftlich entwickelt und sei auf dem richtigen Weg gewesen. Doch bereits vor dem Krieg drängte sich die Ukraine als Wirtschaftsstandort nicht gerade auf, merkt IHK-Direktor Bänziger an. Im Korruptionsranking 2021 von Transparency International belegt die Ukraine Platz 122 von 180. Dennoch habe sich die Situation gegenüber 1995 stark verbessert, sagt Tschudi. Die Löhne seien aber weiterhin so tief, dass die Verwaltung anfällig sei für Korruption. Prof. Dr. Ulrich Schmid bestätigt, dass es institutionelle Verbesserung gegeben habe, die aber weiterhin Luft nach oben hätten.

Die Bodentruppen gingen nur knapp an Malyn vorbei

Die Invasion war schwer zu ertragen für Franziska Tschudi. All der Fortschritt, den sie miterlebt hatte, wird nun wieder zerstört. Als der Krieg näherkam und erste Raketen über das Gelände flogen, schloss die Weidmann Holding AG das Werk vollständig. Die Bodentruppen gingen nur knapp an Malyn vorbei. Danach habe man insbesondere versucht die Übersicht zu wahren und sie habe täglich – auch am Wochenende – um 5 Uhr morgens nach Malyn telefoniert. Um ihren Leuten vor Ort Mut zu geben, schickte Tschudi Videos und Fotos mit Zeichen der Unterstützung aus der Schweiz. 30 Personen wurden eingezogen, wobei bereits in den vergangenen Jahren Mitarbeitende für die Kämpfe im Donbass eingezogen wurden. Einer gilt seit dem Fall von Mariupol als vermisst.

Arbeitsplätze geben Sicherheit und eine Zukunft

Ende April 2022 wurde der Betrieb wieder hochgefahren. Das Umfeld sei aber hoch anspruchsvoll. Westliche Kunden bestellen aufgrund der Unsicherheiten nicht aus der Ukraine. Das Rohmaterial – ursprünglich Zellulose aus Russland – muss neu beschafft werden. Zudem hat die Verkehrsinfrastruktur stark gelitten und erschwert die Logistik. Dabei sei es gerade in der aktuellen Situation wichtig Aufträge zu erhalten und Arbeitsplätze zu sichern. Die Jobs geben den Leuten Sicherheit und eine Zukunft. Für Personen im Kriegsgebiet gibt es zwar bescheidene Sozialleistungen, das Kriegsgebiet wird aber immer neu definiert. Viele leben von ihrem Ersparten.

Abwanderung westlicher Unternehmen verhindern.

Tschudi und Schmid sind zuversichtlich, dass die Ukraine nach dem Krieg den Turnaround schaffen könnte. Tschudi ist insbesondere von den Digitalisierungsbestrebungen in der Ukraine beeindruckt auch das Schulsystem sei insbesondere im technischen Bereich sehr gut. Jedoch müsse insbesondere die Verkehrsinfrastruktur wiederhergestellt werden. Angesprochen auf einen anfälligen Braindrain richtig Europa gibt sich Schmid zuversichtlich. In der Ukraine sei ein grosser Patriotismus spürbar und er sehe eine reelle Chance, dass auch die Geflüchteten wieder zurückkommen werden. Tschudi pflichtet ihm aus eigener Erfahrung bei, ihre Mitarbeitenden seien mittlerweile fast vollständig in ihr Zuhause zurückgekehrt. Man müsse jedoch jetzt dringend dafür sorgen, dass keine Arbeitsplätze in der Ukraine verloren gehen und westliche Industrie abwandert. Jetzt brauchen Sie einen Arbeitsplatz und ein gesichertes Einkommen.

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