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Taktstundenplan: einheitliche Öffnungszeiten an Schulen?

IHK-Positionen im Dialog – mit Schulleitungen Taktstundenplan: einheitliche Öffnungszeiten an Schulen?

Markus Bänziger, IHK-Direktor

Stundenpläne variieren je nach Schulstufe, Schulgemeinde und Kanton. Die Präsenzzeiten für Schulkinder ändern von Jahr zu Jahr, von Stufe zu Stufe – mit hohem Planungs- und Koordinationsaufwand für erwerbstätige Eltern. Für Arbeitgeber sind sie zeitlich nur begrenzt verfügbar. Die IHK St.Gallen-Appenzell fordert nun den Taktstundenplan: verlässliche, klare «Öffnungszeiten» an Ostschweizer Schulen. Markus Bänziger diskutierte die Idee mit Schulleitungen.

 

Janine Haltiner und Samuel Bernet, was halten Sie ganz allgemein von der Fremdbetreuung von Kindern im Schul- oder Vorschulalter? 

Samuel Bernet: Die Ausgestaltung der Kinderbetreuung ist eine Glaubensfrage. Es gibt kein «richtig oder falsch», ob bei Kinderbetreuung durch Familienmitglieder oder Externe – die Gesellschaft muss darauf Antworten finden. Heisst sie Fremd­betreuung, müssen entsprechende Angebote geschaffen werden – von den Gemeinden und der Wirtschaft. Sie ist auf qualifizierte Leute angewiesen und will dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Das gibt es nicht zum Nulltarif, und der Staat kann es nicht alleine tragen. Letztlich ist auch die Politik gefordert.

Janine Haltiner: Wichtig ist, die Betreuung durch Eltern nicht gegen Fremdbetreuung auszuspielen. Man kann nicht pauschal sagen, welches Angebot in welchem Umfang sinnvoll ist: Je nach Kind und Familiensituation ist ein gutes Verhältnis von Eigen- und Fremdbetreuung anders. Frühe Fremdbetreuung kann Sinn machen, wenn zu Hause keine Landessprache gesprochen wird. Das kann die Integration unterstützen.
 

Die IHK fordert den Taktstundenplan an Schulen. Die Idee: einheitliche Stundenpläne im funktionalen Raum Ostschweiz.

Samuel Bernet: Auf den ersten Blick wirkt das reizvoll. Für erwerbstätige Eltern wäre es eine Entlastung. Aus Sicht der Schule könnte man die Idee diskutieren: Der Unterricht begänne um halb neun, der Mittag wird gestrafft, und dann wird etwas später in den Nachmittag hinein unterrichtet. Kompaktstundenpläne, wie sie andere Länder bereits kennen, liegen im Trend. Die Frage ist: Wie schnell entwickelt er sich? Greift unsere Gesellschaft ihn auf? Eine Tendenz in Richtung Ganztagesschule ist bereits erkennbar.

Janine Haltiner: Ein harmonisierter Stunden­plan hätte seine Vorteile. Bereits heute kennen viele Kantone verbindliche Blockzeiten am Vormittag, normalerweise von acht Uhr bis ungefähr mittags. Deren Einführung ging aber ein langer politischer Prozess voraus.
 

Es bedürfte grosser Änderungen, um Unterrichtszeiten in unserem förderalistischen Schulsystem weiter zu harmonisieren.

Samuel Bernet: Der Kanton St. Gallen überlässt den Gemeinden relativ viel Kompetenzen bei Schulen. Das ist sinnvoll, da grosse Städte andere Anforderungen ans Bildungssystem haben als kleine ländliche Gemeinden. Eine Harmonisierung, nur schon der Unterrichtszeiten, wird so aber erschwert. Man denke an Frei- und Wahlfächer oder individuelle Schwerpunkte an Oberstufen.
 

Zudem haben die Schulstufen unterschiedliche Unterrichtszeiten.

Janine Haltiner: Genau! Die Zahl der Unterrichtslektionen variiert je nach Stufe. In den ersten beiden Schuljahren wird in der Regel nur an zwei Nachmittagen unterrichtet. Später steigt die Anzahl Lektionen, und die Unterrichtszeit erhöht sich. Würde man verbindliche Anwesenheitszeiten festlegen, müsste man berücksichtigen, dass die Klassen unterschiedliche Unterrichtszeiten haben.
 

Auch die Gesellschaft müsste umdenken.

Samuel Bernet: Mit historischem Blick aufs Schweizer Schul­system wäre diese Veränderung eine kleine Bildungsrevolution. Es bräuchte Anpassungen in vielen Lebensbereichen, wenn die Kinder über Mittag in der Schule blieben und abends später nach Hause kämen. Ausserschulische Aktivitäten wie Sport, Musik oder andere Freizeitbeschäftigungen müssten komplett umorganisiert werden – sie finden heute oft am frühen Abend statt. Eine weitere Heraus­forderung bildeten die zwölf Wochen Schulferien; die meisten Arbeitnehmenden haben vier Wochen Ferien. Wie könnte während Schulferien ein bedarfsgerechtes Angebot gewährleistet werden?
 

Es muss also noch viel getan werden für einen ganzheitlichen Taktstundenplan. Wo sehen Sie Anknüpfungspunkte für Harmonisierungen?

Janine Haltiner: Denkbar wäre, in einem ersten Schritt jene Nachmittage zu vereinheitlichen, an denen alle Kinder Schule haben – also zwei Nachmittage pro Woche. Das brächte bereits eine wesentliche Entlastung erwerbstätiger Eltern. Auch Tagesschulen wären möglich, also die ganzheitliche Kinderbetreuung während der Schul- und Mittagszeit. In der Stadt Zürich bestehen bereits Pilotprojekte: Bis 2025 sollen dort alle als Tagesschulen geführt werden. Dabei wird die Teilnahme grundsätzlich erwartet, die Eltern können ihre Kinder aber abmelden. In der Ostschweiz könnten die Schulen beispielsweise an bestimmten Wochentagen als «Tagesschulen» geführt werden.

 

Janine Haltiner ist Schulleiterin des Primarschulkreises Niederteufen. Samuel Bernet leitet die Oberstufenschule Steig in Rorschacherberg. Beide sind zudem erwerbstätige Eltern. 

Der Taktstundenplan

Der Taktstundenplan sichert in der Kernregion Ostschweiz einheitliche Unterrichts-, Betreuungs- und Präsenzzeiten an der Volksschule – vom Kindergarten bis zur Sekundarstufe I. Der Taktstundenplan umfasst ein Zeitfenster von sieben Stunden, von 8.30 bis 15.30 Uhr. In diesem Zeitfenster finden die Unterrichtsblöcke, Pausen, Mittagspausen sowie schulergänzende Angebote wie Musik- und Nachhilfeunterricht, Talentförderung sowie Vereinssport statt. Schulkreise können Schul- und Angebotszeiten ausdehnen, die Taktstunden sind aber unterbruchsfrei sicherzustellen. Regelschulbeginn ist mit 8.30 Uhr später, was aus neuro­biologischer Sicht insbesondere in der Sekundarstufe I für Jugendliche in der Pubertät entlastend sein kann. Mittagspausen sind kürzer. Erwerbstätige Erziehungsberechtigte können sich während sieben Arbeitsstunden auf eine vollständige Kinderobhut aller Altersgruppen zwischen 5 und 15 Jahren verlassen – und so eine langfristig ausgerichtete Erwerbs­tätigkeit annehmen. Unternehmen der Kernregion Ostschweiz können für die grosse Mehrzahl der Angestellten mit dem Privatleben kompatible Standardarbeitsmodelle anbieten.

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