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Ostschweizer Arbeitsmarkt zeigt sich erstaunlich robust

Ein halbes Jahr Corona Ostschweizer Arbeitsmarkt zeigt sich erstaunlich robust

Ein halbes Jahr Corona: Zur Lage auf dem Ostschweizer Arbeitsmarkt
10. September 2020 | Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Arbeitsmarkt sind gross. Doch die Ostschweizer Unternehmen haben bisher Widerstandskraft bewiesen. Die Arbeitslosigkeit ist im nationalen und internationalen Vergleich unterdurchschnittlich stark angestiegen – ausgehend von einem tiefen Niveau. Die Resultate aus der jüngsten IHK-Umfrage zeigen aber: Die Unsicherheit bleibt bestehen, die Situation am Arbeitsmarkt ist fragil.

 

 

Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung des IHK-Research ZOOM

Ein halbes Jahr Corona - Zur Lage auf dem Ostschweizer Arbeitsmarkt

20200910 IHK-Research ZOOM - Ein halbes Jahr Corona - Zur Lage auf dem Ostschweizer Arbeitsmarkt

 


Der Ostschweizer Arbeitsmarkt präsentierte sich vor der Pandemie in einem erfreulichen, widerstandsfähigen Zustand. Die Arbeitslosenquote lag in der Kernregion Ostschweiz im vergangenen Jahr mit durchschnittlich 1.8 Prozent so tief wie letztmals um die Jahrtausendwende.

Anstieg der Arbeitslosenquote, aber keine Entlassungswelle

Mit der Pandemie kam die Kehrtwende. Seit März steigt die Zahl der registrierten Stellensuchenden. Ende Mai lag sie in der Kernregion Ostschweiz um gut 35% höher als im Vorjahr. Seither hat sie sich auf diesem höheren Niveau von ca. 21'000 Personen stabilisiert und steigt nur noch langsam. Die Arbeitslosenquote lag im August über die gesamte Kernregion Ostschweiz betrachtet bei 2.6 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht dies einer Zunahme von 0.9 Prozentpunkten (vgl. Abb. 1).

Abbildung 1: Ostschweizer Arbeitsmarkt robust durch die Krise
Arbeitslosenquote im August 2020 (Einfärbung) und im Vergleich zum Vorjahr (Veränderung in %-Punkten, in Klammern); nach Grossregion (Grafik links) und nach Ostschweizer Kantonen (Grafik rechts)

Ostschweizer Arbeitsmarkt robust durch die Krise

Quelle: SECO, IHK-Research

Diese Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt erscheinen auf den ersten Blick als gross. Doch angesichts der massiven Corona-bedingten Einschränkungen erweist sich der Ostschweizer Arbeitsmarkt als erstaunlich robust. So liegt die Arbeitslosenquote aktuell nicht wesentlich über den durchschnittlichen August-Werten des vergangenen Jahrzehnts. Auch fiel die Zunahme im schweizweiten Vergleich eher gering aus. Die Arbeitslosenquote ist zudem nach wie vor tiefer als der Schweizer Durchschnitt von 3.3 Prozent – wobei die Schweiz im internationalen Vergleich dank der Widerstandskraft der Unternehmen, einem liberalen Arbeitsmarkt, rasch und effektiv wirkender Kurzarbeitsentschädigung sowie Überbrückungskrediten ohnehin relativ glimpflich davonzukommen scheint.

Situation bleibt fragil

Dennoch bleibt die Situation fragil und hängt massgeblich von der konjunkturellen Entwicklung in den kommenden Monaten ab. Eine Entlassungswelle zeichnet sich vorerst nicht ab. Dies zeigt die jüngste Mitgliederumfrage der beiden Industrie- und Handelskammern St.Gallen-Appenzell und Thurgau von Ende August. Zwar erachtet ein wesentlicher Teil der Unternehmen den Personalbestand weiterhin als Erschwernis. Doch knapp zwei Drittel der Umfrageteilnehmenden gehen davon aus, bis Ende Jahr keine Kündigungen aussprechen zu müssen (vgl. Abb. 2). Das betrifft vor allem mittlere und grössere Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitenden. Auch zeigt sich, dass die weitgehende Aufhebung der Sondermassnahmen im Bereich der Kurzarbeitsentschädigung per September 2020 einen relativ kleinen direkten Effekt auf die Arbeitslosigkeit haben dürfte: Eines von fünfzig Unternehmen erwartet aus diesem Grund Kündigungen bis Ende Jahr. Wie unsicher die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist, widerspiegelt jedoch der Anteil an Unternehmen, die Kündigungen zum aktuellen Zeitpunkt nicht ausschliessen können: jedes vierte Unternehmen.

Abbildung 2: Keine Kündigungswelle zu erwarten, doch Situation bleibt fragil
Perimeter Kernregion Ostschweiz (SG, AR, AI, TG); n=457
Abbildung links: Anteil der Unternehmen mit einem zu hohen Personalbestand
Abbildung rechts: Anteil der Unternehmen, die bis Ende Jahr mit Kündigungen rechnen

Keine Kündigungswelle zu erwarten, doch Situation bleibt fragil

Quelle: IHK-Research, Unternehmensumfrage von Ende August 2020

Bei diesem Ausblick gilt es zu beachten, dass die Stimmung je nach Branche sehr unterschiedlich ist. Besonders fragil präsentiert sich die Situation in der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM-Industrie), die von starken Auftragseinbrüchen – insbesondere aufgrund der hohen Abhängigkeit von der Weltwirtschaft – und weiterhin mit Problemen bei den Lieferketten betroffen ist.

Von Aufbruchstimmung in der Breite kann nicht die Rede sein. Zu unsicher und fragil präsentiert sich die Gesamtsituation. Doch es gibt positive Anzeichen. Seit Beendigung des Lockdowns hat sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt einigermassen stabilisiert. Und zuletzt ist die Anzahl der offenen Stellen wieder etwas angestiegen. Dies schafft doch immerhin etwas Zuversicht – eine grundlegende Voraussetzung für eine rasche und erfolgreiche Rückkehr in eine neue Normalität.

Überkantonaler Wirtschaftsgipfel

Die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt waren auch Thema des überkantonalen Wirtschaftsgipfels, zu dem die IHK St.Gallen-Appenzell die Volkswirtschaftsdirektoren sowie die Leitungen der kantonalen Arbeits- und Wirtschaftsämter aus ihrem Kammergebiet am vergangenen Dienstag einlud. Diskutiert wurde dabei auch die Lehrstellensituation. Zwar kann auch bei der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen ein Anstieg der Arbeitslosenquote festgestellt werden, allerdings ausgehend von einem tiefen Niveau. Auch gibt es keine Anzeichen, dass spezifische Berufs- oder Altersgruppen speziell betroffen wären – die Effekte sind in der Breite zu beobachten. Die Entwicklung sollte also nicht überinterpretiert werden. Gleichwohl appelliert IHK-Direktor Markus Bänziger an die Unternehmen, auch auf nächsten Sommer hin wenn immer möglich Ausbildungsplätze anzubieten: «Für eine langfristige Erholung braucht die Ostschweizer Wirtschaft bestens ausgebildete, motivierte junge Arbeitskräfte. Der Übertritt von der Schule in die Arbeitswelt sowie von der Berufslehre in die erste Berufsanstellung sind hierfür entscheidend.»