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Offenheit ist Teil der Ostschweizer Identität

Megatrend Globalisierung Offenheit ist Teil der Ostschweizer Identität

Dr. Frank Bodmer, Leiter IHK-Research

Traditionelle Ostschweizer Branchen wie die Maschinenindustrie haben an Boden ver­loren, während sich Metalle oder Fahrzeuge gut halten konnten. Allerdings werden auch auf den internationalen Märkten Dienstleistungen immer wichtiger. Lizenzeinnahmen, Geschäftsdienste und Dienstleistungen im Bereich Informatik und Kommunikation überflügeln inzwischen die Maschinenindustrie deutlich. Die Ostschweiz darf in diesen boomenden Branchen den Anschluss nicht verlieren.

Aussenhandel und wirtschaftliche Offenheit stellen seit über 500 Jahren eine zentrale Basis für den wirtschaftlichen Erfolg der Ostschweiz dar. Anbau, Verarbeitung und Vertrieb von Leinenprodukten standen am Anfang. Nachdem die englische Baumwolle das Leinwandgewerbe verdrängt hat, erlebte die Ostschweizer Textilindustrie im 19. Jahrhundert dank der Stickerei eine zweite Blütephase. Diese ging mit dem Ersten Weltkrieg, endgültig aber mit den amerikanischen Schutzzöllen der 1930er-Jahre zu Ende. Andere Produkte sprangen in die Lücke. Bereits im 19. Jahrhundert und dann vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg waren es Maschinen, Elektronik und Metalle, welche für Dynamik sorgten. Dieser Boom hielt letztlich bis 2007 an; seither mussten Maschinen und Elektronik einen deutlichen Rückgang bei den Exporten verzeichnen. Dagegen konnten sich die Ostschweizer Metallexporte gut halten.

Anhaltender Strukturwandel

Der Bedeutungsverlust der MEM-Branchen zeigt sich auch bei den gesamtschweizerischen Zahlen (siehe Abbildung). Deren Anteil am Bruttoinlandprodukt (BIP) stieg zwischen 1990 und 2008 zwar noch leicht auf 10% an, fiel bis 2017 aber auf knapp 7%. Im Gegenzug erlebten die Exporte von Pharma und Chemie einen eigentlichen Boom und stiegen, mit einem Wachstum von 5%, auf knapp 15%. Zwar erlebte mit der Uhrenindustrie ebenfalls eine traditionelle Fertigungsbranche einen Aufschwung. Insgesamt muss aber ein relativer Bedeutungsverlust der traditionellen Industriefertigung verzeichnet werden. Bei der Pharmaindustrie wird zwar das physische Produkt in der Schweiz produziert und exportiert. Wichtiger als die Fertigung sind aber Forschung und Entwicklung – beides Wissensaktivitäten. Auch bei der Fertigungsindustrie spielen Forschung und Entwicklung beim schweizerischen Teil der Aktivitäten eine immer wichtigere Rolle, während die Produktion vermehrt im Ausland stattfindet.

Dienstleistungen werden immer wichtiger

Die Warenexporte konnten ihre Bedeutung dank Pharma und Uhren erhöhen. Noch stärker wuchsen allerdings die Dienstleistungsexporte – der nicht-materielle Teil der Exporte. Diese weisen inzwischen einen Anteil am BIP von 18% aus, im Vergleich zu einem Anteil der Warenexporte von 35%. Auch innerhalb der Dienstleistungsexporte sind Verschiebungen festzustellen. Die Nachfrage von Ausländern nach Schweizer Tourismusdienstleistungen stagnierte bei leicht über 2% am BIP, diejenige von Transportleistungen bei leicht unter 2%. Die Finanzdienstleistungen, das heisst vor allem Dienstleistungen von Banken und Versicherungen für ausländische Kunden, verdoppelten sich bis 2008 zwar von 3,6 auf 7,2%, mussten mit der Finanzkrise aber einen jähen Rückgang verzeichnen, von dem sie sich nicht erholten. Vor allem die Bankbranche musste Federn lassen, während sich die Versicherungsbranche halten konnte. Sehr stark haben sich dagegen die übrigen Dienstleistungsexporte entwickelt, welche inzwischen auf einen Anteil am BIP von über 9% kommen und damit zum Beispiel die MEM-Exporte deutlich überflügelt haben. Der Charakter der Globalisierung hat sich in den letzten Jahren damit deutlich verändert. Während traditio­nell vor allem Güter gehandelt wurden, sind es mehr und mehr Dienstleistungen, welche über die Landesgrenzen hinaus angeboten werden.

Lizenzen, Geschäftsdienste und KTI

Die Lizenzeinnahmen aus dem Ausland machen inzwischen etwa 3,5% des BIP aus. Es handelt sich um Einnahmen aus geistigem Eigentum von in der Schweiz ansässigen Unternehmen. Inländische und ausländische Lizenzeinnahmen sollen im Zuge der Unternehmenssteuerreform über die Patentbox steuerlich begünstigt werden. Bei den Geschäftsdiensten, mit einem Anteil am BIP von 2,4%, handelt es sich um eine heterogene Gruppe, welche neben Consultingeinnahmen auch die Erträge der Rohstoffbroker und damit einen erheblichen Teil der Dienstleistungserträge aus dem Rohstoffhandel umfasst. Ein weiterer schnell wachsender Bereich sind die Erträge aus Kommunikation, Technologie und Informatik (KTI). Darunter fallen Dienste wie Cloud Services, Supportdienste oder Medienarbeit. Die KTI-Dienste aus dem Ausland haben inzwischen ebenfalls 2% des BIP erreicht und erzeugen damit gleich hohe Einnahmen wie der Tourismus.

Rückstand der Ostschweiz bei Diensten

Über die regionale Verteilung der Dienstleistungsexporte ist wenig bekannt. Allerdings liegen Schätzungen für den Kanton Zürich vor, welche den Anteil von Zürich bei den Finanzdienstleistungen bei etwa 40% sehen, bei KTI bei 35%, bei Beratungsdiensten bei knapp 30% und bei den Lizenzgebühren bei etwa 20%.¹ Es ist zu erwarten, dass die Kantone Basel, Genf, Waadt und Zug den überwiegenden Teil der restlichen Einnahmen unter sich aufteilen, mit Ausnahme von Tourismus und Transportdiensten, welche regional gleichmässiger verteilt sein sollten. Die Ostschweiz dürfte bei den boomenden Dienstleistungen damit klar untervertreten sein. Ein ausschliesslicher Blick auf die Güterexporte übersieht damit diese anderen nicht-materiellen Geschäftsmöglichkeiten, welche in Zukunft immer wichtiger werden dürften. Bemühungen im Bereich Informatikausbildung könnten helfen, die Einnahmen im Bereich KTI zu verbessern. Bei Beratungsdienstleistungen war St. Gallen bis vor einigen Jahren noch ein wichtiges Zentrum, hat aber deutlich an Boden verloren. Und die Ostschweizer Finanzinstitute sind stark binnenorientiert und dürften bei der Dienstleistungsbilanz nur eine kleine Rolle spielen. Es verbleiben Tourismus und Transporte, welche allerdings wenig Potenzial aufweisen.

Offene Märkte und eine offene Haltung

Trotz einer langen Tradition der Offenheit ist die Ostschweiz durch die neuen globalen Entwicklungen stark herausgefordert. Traditionelle Güterexporte haben an Gewicht verloren und werden durch den zunehmenden Protektionismus zusätzlich bedroht. Es gilt damit, neue Geschäftsfelder zu erschliessen. Der Erfolg von amerikanischen und chinesischen Technologiefirmen zeigt, welches Ertragspotenzial die Informatik hat. Die fortschreitende Digitalisierung in Industrie und Dienstleistungen wird dieses Potenzial noch weiter steigern. Auf der Basis eines bereits jetzt starken Informatikclusters sollte es der Ostschweiz gelingen, auch in diesen Geschäftsfeldern zu wachsen. Dazu braucht es vor allem hochqualifizierte Arbeitskräfte. Nicht alle von diesen werden lokal ausgebildet und rekrutiert werden können. Die Offenheit für qualifizierte Zuzüger aus dem Ausland wird für die wirtschaftliche Entwicklung der Ostschweiz deshalb zentral bleiben.


1  Bedeutung der Handelspartner des Kantons Zürich, Grundlagen der Berechnung, Fachstelle Volkswirtschaft, Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich, Juni 2017.

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