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Lösung vom traditionellen Familienmodell

Vereinbarkeit von Familie und Beruf – ein Überblick Lösung vom traditionellen Familienmodell

Dr. Frank Bodmer, Leiter IHK-Research

Bei Staat und Wirtschaft ist ein tiefgreifendes Umdenken gefordert: Wollen wir dem Fachkräftemangel und den drohenden Finanzierungslücken der Sozialsysteme ernsthaft entgegentreten, gilt es, das ungenutzte Arbeitskräftepotenzial der Frauen zu aktivieren. Dafür braucht es Anreize für Doppelverdienerhaushalte, einen Ausbau der Kinderbetreuung und flexible Arbeitsmodelle. Die effektive Erwerberbsbeteiligung von Frauen im Berufsalter liegt erst bei 60 Prozent.

Die demografische Entwicklung stellt eine fundamentale wirtschaftliche und gesellschaftliche Herausforderung der nächsten Jahrzehnte dar. Ohne Anpassung des Rentenalters wird das Verhältnis von erwerbsfähiger Bevölkerung zu Rentnern von heute rund drei zu eins bis 2050 auf zwei zu eins sinken – mit einer Verschärfung bei den Finanzierungsproblemen des Sozialsystems und einem möglichen Mangel an Arbeitskräften. Bei den Frauen besteht noch erhebliches ungenutztes Arbeitskräftepotenzial, das einen Beitrag zur Schliessung der Lücke leisten könnte.

Demografische Herausforderung

Der Bund arbeitet für die Prognose der Bevölkerungsentwicklung mit verschiedenen Szenarien, die sich vor allem bei der Zuwanderung unterscheiden. Im tiefen Szenario mit einer nach wie vor positiven – aber deutlich tieferen – Zuwanderung wird die Bevölkerung ab 2035 stagnieren. Aufgrund der Pensionierung der Babyboomer und der tiefen Geburtenraten wird die Zahl der Personen im ewerbsfähigen Alter gar sinken. Auch im Referenzszenario – mit höherer Einwanderung – würde sich das Wachstum der erwerbsfähigen Bevölkerung stark verlangsamen. In den Ostschweizer Kantonen ist das demografische Problem aufgrund der tieferen Einwanderung und des Verlusts von Einwohnern an andere Kantone noch ausgeprägter. Thurgau bildet laut den Szenarien des Bundes die Ausnahme. 

Erwerbstätigkeit Frauen 

Frauen sind immer besser in den Arbeitsmarkt integriert. Inzwischen sind 80 Prozent der Frauen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren erwerbstätig. Der tiefgreifende Wandel zeigt sich auch daran, dass die jüngeren Generationen deutlich besser in den Arbeitsmarkt integriert sich als Frauen über 50. Die veränderte Rolle der Frau in Gesellschaft und Familie und die demografischen Herausforderungen werden diesen Wandel in Zukunft weiter antreiben. Trotzdem bestehen noch erhebliche Hindernisse für die Erwerbstätigkeit von Frauen. Viele arbeiten nur Teilzeit, weshalb die effektive Erwerbsbeteiligung nur etwa bei 60 Prozent liegt (siehe Grafik).

Herausforderung Kinderbetreuung

Gerade für Mütter von kleinen Kindern stellt die Kombination von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit eine grosse Herausforderung dar. In der Schweiz werden Kinder mit sieben Jahren vergleichsweise spät eingeschult. Davor besuchen sie zwar während zweier Jahre den Kindergarten. Die Besuchszeit ist aber relativ kurz, und auch in der Primarschule gibt es grosse Lücken in der Unterrichtszeit. In dieser unterrichtsfreien Zeit benötigen die Kinder eine alternative Betreuung. Fehlen einfache und kostengünstige Alternativen, müssen die Eltern die Betreuung selber übernehmen. Oft fällt diese Rolle der Mutter zu. Eine Erwerbstätigkeit, die über ein tiefes Teilzeitpensum hinausgeht, wird für junge Mütter damit schwierig bis unmöglich.

Staatliche Regeln begünstigen traditionelles Modell

Dass nach wie vor hauptsächlich Mütter die Rolle von Hausarbeit und Kindererziehung übernehmen, hat auch mit finanziellen Anreizen zu tun. Die Heiratsstrafe der direkten Bundessteuer benachteiligt Zweitverdiener mit hoher Grenzbelastung des zusätzlichen Einkommens. Bei der AHV begünstigt die Beitragsbefreiung von nicht erwerbstätigen Ehepartnern ebenfalls das traditionelle Modell. Zudem führen hohe Kosten und einkommens-abhängige Gebühren der externen Kinderbetreuung zu einem Anreiz, die Betreuung familienintern zu organisieren. Für ein Kleinkind betragen die Vollkosten für einen Krippenplatz während fünf ganzer Tage in der Woche rund 20 000 bis 25 000 Franken pro Jahr. Da die Gebühren einkommensabhängig sind, kann sich bei zwei Kindern eine Grenzbelastung des zusätzlichen Einkommens von gegen 100% ergeben, bei drei Kindern gar mehr.

Arbeitsmarkt begünstigt traditionelles Modell ebenfalls

Die vermehrte Teilzeitarbeit von Müttern stellt zwar eine tiefgreifende Veränderung gegenüber dem traditionellen Hausfrauenmodell dar. Allerdings ist man noch weit von einem egalitären Modell entfernt, da allein die Frau ihre Arbeitszeit reduziert. Nach wie vor arbeitet der überwiegende Teil der Männer in Vollzeitpensen. Egalitäre Modelle werden nicht nur durch die staatlich gesetzten Anreize behindert. Auch der Arbeitsmarkt bestraft Teilzeitpensen, da die Karrieremöglichkeiten bei Teilzeit in vielen Firmen eingeschränkt bleiben. Angesichts dieser Karrierestrafe bleiben viele Familien bei der Vollzeitarbeit eines Partners. Aufgrund des höheren Lohnes und der negativen Auswirkungen auf die Karriere ist das oft der Mann.

Schweden als Beispiel? 

Schweden bietet ein Beispiel dafür, wie stark die Politik die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern kann. Das schwedische Modell beruht auf drei Pfeilern. Erstens ist das öffentliche Kinderbetreuungssystem in Schweden sehr gut ausgebaut. Zweitens wird Müttern und Vätern ein einkommensabhängiges Elterngeld gezahlt. Damit sollen auch Väter motiviert werden, eine «Babypause» einzulegen. Die Elternzeit beträgt insgesamt 16 Monate. Davon müssen mindestens zwei von jedem Elternteil genommen werden, um die vollen Leistungen zu erhalten. Drittens wendet Schweden bei den Einkommenssteuern das System der Individual-besteuerung an. Auch auf Seite der Arbeitgeber wird der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein grosses Gewicht beigemessen. Teilzeitmodelle, Karrieremöglichkeiten bei Teilzeit und ein familienfreundliches Umfeld am Arbeitsplatz sind der Normalfall.

Die Schweiz im internationalen Vergleich 

Neben der Erwerbstätigkeit von Frauen gilt es, noch ein zweites Ziel im Auge zu behalten: die Geburtenrate. Für eine stabile Bevölkerung wäre eine durchschnittliche Geburtenrate von 2,1 Kindern pro Frau nötig, aktuell beträgt diese in der Schweiz rund 1,5. Sie befindet sich damit im Vergleich zu anderen Industrieländern relativ weit hinten. Gleiches gilt für diverse Massnahmen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auffallend ist der Rückstand vor allem bei den Massnahmen zur externen Kinderbetreuung wie Kinderkrippen und Tagesschulen und bei der Länge der Elternzeit. Allerdings ist für die Schweiz eine vollständige Anwendung des schwedischen Modells wenig realistisch, dazu unterscheiden sich die politischen Präferenzen zwischen den beiden Ländern zu stark.

Rolle von Staat und Privaten 

Massnahmen zur verbesserten Vereinbarkeit von Familie und Beruf müssen auf die schweizerischen Eigenheiten Rücksicht nehmen. Dazu gehört vor allem die stärkere Rolle von privater Verantwortung gegenüber staatlichen Massnahmen. Wo möglich, sollte deshalb auf private Massnahmen gesetzt werden. Ein Ausbau der Angebote im Bereich externe Kinderbetreuung ist dann angezeigt, wenn ein gutes Nutzen-Kosten-Verhältnis erzielt werden kann. Daneben können auch Arbeitgeber und die Familien selber einiges machen, ohne dazu auf den Staat zurückgreifen zu müssen. Es ist aber klar, dass der Staat die Erwerbstätigkeit nicht mit unnötigen negativen Anreizen oder einer unnötigen Verteuerung der Angebote behindern sollte, wie das heute noch oft der Fall ist.

Neue Familienmodelle

Im egalitären Familienmodell erfolgt die Aufgabenverteilung gleichmässig. Beide Partner arbeiten in ähnlich hohem Pensum und verteilen die häuslichen Pflichten gleichmässig. Für Paare mit sehr hohen Einkommen kann ein Modell attraktiv sein, bei dem beide Partner 100% arbeiten. Die Kinderbetreuung muss dann während fünf Tagen extern organisiert werden. In einem alternativen Modell arbeiten beide Partner 80%, was den externen Betreuungsbedarf im besten Fall auf noch drei Tage reduziert. Für viele junge Eltern dürfte es sich um ein attraktives Modell handeln, das bei entsprechenden Möglichkeiten am Arbeitsmarkt auch gewählt würde. Die Kinder würden nach wie vor mehrheitlich von den Eltern betreut, und es könnte auch auf einen breitflächigen und teuren Ausbau der staatlichen Kinderbetreuungsangebote im Stil der skandinavischen Länder verzichtet werden.

Dieser Text beruht auf der IHK-Research-Studie "Vereinbarkeit von Familie und Beruf: eine Übersicht"

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