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Lösung für das Verkehrsdilemma?

Sharing Economy und andere Modelle für die Mobilität der Zukunft Lösung für das Verkehrsdilemma?

Simon Scherrer

Die Digitalisierung hat viele Aktivitäten gewandelt, mit denen Schweizerinnen und Schweizer einen grossen Teil ihres Alltags verbringen. So hat die Omnipräsenz von Bits und Bytes etwa verändert, wie wir arbeiten, uns informieren oder miteinander kommunizieren. Seltsam unbeeindruckt von der Digitalisierung erscheint jedoch eine andere Tätigkeit, auf die wir im Durchschnitt über 80 Minuten¹ täglich verwenden: die Mobilität. Doch Innovatoren im In- und Ausland wollen das verändern – mit Mitteln, die von eher herkömmlichen Konzepten wie Carsharing bis zu entfernt klingender Zukunftsmusik wie Flotten aus selbstfahrenden Taxis reichen.

So unterschiedlich sie sind, versuchen alle innovativen Stossrichtungen im Bereich Mobilität das gewichtigste Dilemma der Verkehrspolitik zu lösen, nämlich jenes zwischen Flexibilität und Auslastung. Ein Privatauto ist zu beliebigen Zeiten und für beliebige Strecken verwendbar, ist allerdings zu durchschnittlich 96% der Zeit unbenutzt²; der öffentliche Verkehr erlöst vom Besitz eines nur spärlich benutzten Gefährts, ist allerdings durch seine Fixierung auf Linien und Fahrplan dem Individualverkehr in puncto Flexibilität unterlegen. Innovationen im Bereich Mobilität stehen darum vor der Herausforderung, die Flexibilität des Individualverkehrs mit der höheren Auslastung des öffentlichen Verkehrs zusammenzuführen. Das Rezept dafür lautet, Personenwagen dynamisch zu teilen – oder neudeutsch: Sharing Economy.

Vom stationsbasierten Carsharing ...

Eine konventionelle Variante der Sharing Economy ist Carsharing. Die herkömmlichste Art ist stationsbasiertes Carsharing, wie es etwa von Mobility angeboten wird. Mobility-Mitglieder können auf ein Auto an einer Mobility-Station zugreifen, ihre Fahrt absolvieren und das Auto dann am selben Ort wieder abstellen. Ein Spezialfall von sta-tionsbasiertem Carsharing sind Peer-to-Peer-Sharing-Angebote, wie etwa Sharoo. Bei Sharoo werden die zu mietenden Autos nicht vom Sharing-Anbieter bereitgestellt, sondern von anderen Mitgliedern.
Untersuchungen zeigen, dass solche Carsharing-Angebote tatsächlich den Autobesitz reduzieren³ und zu effi-zienterem Autogebrauch anregen4. Doch stationsbasiertes Carsharing ist alles andere als ein Allheilmittel: Nachweislich werden Carsharing-Angebote von einem sehr begrenzten Milieu genutzt, das jung, gut ausgebildet und urban ist und zudem in Gebieten mit gut ausgebautem öffentlichen Verkehr lebt5. Der Grund: Stationsbasiertes Carsharing ist für jene bequem, die einfach zur Station kommen. Das ist für autolose Personen nur bei gut ausgebautem öffentlichen Verkehr der Fall. Umgekehrt zeigte eine Schweizer Umfrage aus dem Jahr 2012, dass der Transfer zur Carsharing-Station von vielen Personen als mühsam empfunden wird6.

... zum stationsunabhängigen Carsharing

Eine breitere Adaption erhofft man sich deshalb von stationsunabhängigem Carsharing. Die Idee: Benutzer können die zu mietenden Autos mit einer Smartphone-App auffinden, entsperren und auf einem öffentlichen Parkplatz am Zielort wieder abstellen. Mit dem Angebot «Catch-a-Car» von Mobility existieren solche Angebote seit 2014 auch in der Schweiz, allerdings nur in Basel und Genf. Tatsächlich zeigte eine ETH-Studie aus dem Jahr 2017, dass die Catch-a-Car-Autos besonders dort benutzt werden, wo öffentliche Verkehrsangebote nur spärlich vorhanden sind7. Aber dennoch: Dieselbe Studie stellte fest, dass das Benutzermilieu von Catch-a-Car sehr begrenzt bleibt. Ausserdem senkte das Catch-a-Car-Angebot den Autobesitz in Basel, allerdings nur um 363 Autos. Dies entspricht 0,6% des Personenwagenbestands in Basel-Stadt8. Eine Revolution sieht anders aus.

Autonomes Fahren dank Lasertechnologie

Revolutionärer erscheinen dahingegen die Pläne von mehreren Silicon-Valley-Giganten, selbstfahrende Fahrzeuge zu entwickeln. Clevere Software assistiert zwar heute bereits beim Einparken oder warnt, wenn der Abstand zum vorangehenden Auto unter eine bestimmte Schwelle fällt. Doch Firmen wie der Elektromobilitätspionier Tesla, die Google-Tochter Waymo oder der Taxivermittler Uber wollen bedeutend weiter gehen: Mittels Laser- und Radartechnologie sollen Fahrzeuge ihr Umfeld in Echtzeit modellieren, dadurch Risiken erkennen und sich völlig autonom durch beliebige Verkehrssituationen bewegen. Würden Fahrer dadurch überflüssig, könnten ganze Taxiflotten zu enorm tiefen Kosten betrieben werden und Carsharing-Modelle erhielten eine ganz andere Qualität. So könnte sich in Zukunft jeder per App ein selbstfahrendes Auto rufen, sich über eine gewünschte Strecke chauffieren lassen und im Vergleich zu einem Privatauto sogar noch Geld sparen, so die Verheissung der kalifornischen Innovationspropheten.

Selbstfahrende Autos noch nicht morgen

Dabei ist jedoch umstritten, wie weit entfernt und wie realistisch solche Zukunftsszenarien sind. Um Konsumenten und Regulatoren von der Sicherheit selbstfahrender Autos zu überzeugen, werden Entwickler mit einer gewaltigen Anzahl von Testkilometern beweisen müssen, dass ihre Gefährte mindestens so sicher sind wie von Menschen gefahrene Autos. In der Schweiz kommt es nur alle 683 Millionen Personenkilometer zu einem Todesfall mit Personenwagen9. Um zulässige statistische Vergleiche zu ziehen, sind also Testkilometer in der gleichen Grössen- ordnung notwendig. Ende 2017 meldete die Firma Waymo, die über das reifste Produkt verfügt, jedoch erst sechs Millionen gefahrene Testkilometer.
Ausserdem: Selbst wenn die Sicherheit bewiesen ist, lassen sich Konsumenten davon nicht unbedingt überzeugen. Selbst in voll automatisierten Zügen, wo die Automatisierung heute bereits wesentlich weiter gediehen ist, sitzen heute oft noch «falsche» Fahrer, und zwar auf Wunsch der Passagiere. In einer Studie aus dem Jahr 2015 gaben 93% aller befragten Frauen und 72% aller befragten Männer an, dass sie sich nach wie vor Fahrer im Zug wünschen, selbst wenn diese nicht fähig wären, den Zug zu steuern10.

Selbstfahrende Taxiflotten

Selbst wenn autonome Autos einmal marktreif und akzeptiert sind, ist nicht geklärt, inwiefern sie autonomen Taxiflotten zum Durchbruch verhelfen würden. Eine vom Nationalfonds finanzierte, detaillierte Kostenanalyse versuchte diese Frage im Kontext der Schweiz zu klären11. Klare Antworten sucht man in der Studie jedoch vergebens.
Automatisierung beeinflusst die Preise pro Personenkilometer über zahlreiche, nicht immer offensichtliche und letztlich auch spekulative Kanäle. Beispielsweise ist es wahrscheinlich, dass autonome Fahrzeuge zu tieferen Treibstoff- und Versicherungskosten führen, da sie effi-zienter und sicherer fahren als Menschen. Umgekehrt dürften autonome Fahrzeuge in der Anschaffung etwas teurer sein als konventionelle. Den grössten Einfluss dürfte die Automatisierung tatsächlich auf die Kosten eines Personenkilometers im Taxi haben: Da die Fahrerlöhne den grössten Teil jener Kosten ausmachen und durch Auto-matisierung komplett wegfallen, prognostizieren die Autoren ein drastisches Sinken der Taxikosten, nämlich von 2.72 Franken auf 41 Rappen pro Personenkilometer. Der Grund, warum die Kosten nicht noch weiter sinken, sind die Reinigungskosten, für welche die Autoren eine fünffache Steigerung im Vergleich zu herkömmlichen Taxis erwarten.
Im Vergleich dazu ermitteln die Autoren Kosten von 50 Rappen pro Personenkilometer für ein autonomes Privatauto und 29 Rappen pro Personenkilometer für einen automatisierten Stadtbus. Klar ist also, dass die Konkurrenz zwischen Privatautos, automatisierten Taxis und öV intensiver werden wird. Wie sich die Konsumenten allerdings unter Zunahme von weiteren Präferenzen wie Fahrzeit, Privatsphäre und Fahrgefühl entscheiden werden, wird nur der Markt selbst zeigen können.


1    Bundesamt für Statistik, Tagesdistanz, Tagesunterwegszeit und Anzahl Etappen nach Verkehrsmittelklasse und Zweck – Schweiz, 16.05.2017
2    The Economist, The long, winding road for driverless cars. 25.05.2017
3    Martin, E., Shaheen, S. and Lidicker, J., 2010. Impact of carsharing on household vehicle holdings: Results from North American shared-use vehicle survey. Transportation Research Record: Journal of the Transportation Research Board, (2143), pp. 150-158.
4    Leclerc, B., Trépanier, M. and Morency, C., 2013. Unraveling the travel behavior of carsharing members from global positioning system traces. Transportation Research Record: Journal of the Transportation Research Board, (2359), pp. 59-67.
5     Burkhardt, J. and Millard-Ball, A., 2006. Who is attracted to car-sharing?. Transportation Research Record: Journal of the Transportation Research Board, (1986), pp. 98-105. 
6     Ciari, F. and Axhausen, K.W., 2012, January. Choosing carpooling or carsharing as a mode: Swiss stated choice experiments. In 91st Annual Meeting of the Transportation Research Board, Washington, DC.
7     Becker, H., Ciari, F. and Axhausen, K.W., 2017. Modelling free-floating car-sharing use in Switzerland: A spatial regression and conditional logit approach.
8     Statistisches Amt des Kantons Basel-Stadt, T11.1.01 – Fahrzeug-bestand seit 1950
9     Bundesamt für Statistik, Verkehrsunfälle. 
10    Fraszczyk, A., Brown, P. and Duan, S., 2015. Public perception of driverless trains. Urban Rail Transit, 1(2), pp. 78-86.
11    Bösch, P.M., Becker, F., Becker, H. and Axhausen, K.W., 2017. Cost-based Analysis of Autonomous Mobility Services. Arbeitsberichte Verkehrs- und Raumplanung, 1225.

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