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Kreativ reagieren, einander unterstützen

Die Krise als Chance Kreativ reagieren, einander unterstützen

Jan Riss, Wissenschaftlicher Mitarbeiter IHK St.Gallen-Appenzell & Tiziana Ferigutti, Leiterin Wirtschaftspolitik IHK Thurgau 

Drei Viertel der Ostschweizer Unternehmen sehen in der Krise auch Chancen. Das resultiert aus den IHK-Unternehmensumfragen vom März und April. Stellvertretend für diese Zuversicht zeigen fünf Unternehmerpersönlichkeiten aus allen vier Kantonen der Kernregion Ostschweiz, wie sie das Beste aus der Situation machen.

«Wenn Not am Mann ist, sind wir da, helfen einander und erbringen innovative Lösungen»

Viele namhafte Kunden der Weba Weberei Appenzell AG stammen aus Italien. Als sich dort im März das Coronavirus rasant ausbreitete und Schutzmasken an allen Ecken und Enden fehlten, lancierte der Modezulieferer mit Sitz in Appenzell kurzum die Entwicklung eines Spezialgewebes für nicht-medizinische Hygienemasken. «Wir sagten uns: Wenn wir etwas zur Linderung dieser Krise beitragen können, dann tun wir es», erinnert sich CEO Benjamin J. Fuchs.

Aufgrund massiver Auftragsrückgänge konnte die Weba ihre Kapazitäten in den Entwicklungsabteilungen und Werken neu ausrichten. In enger Zusammenarbeit mit dem Schweizer Textilchemie-Unternehmen HeiQ Materials AG entstand so das antivirale und antibakterielle Viroblock-Gewebe.

Die Entwicklung war in nur acht Wochen abgeschlossen, inklusive entsprechender Tests. Seither liefert die Weba das neue Gewebe täglich in die ganze Welt aus. Die Endverarbeitung zu «Community-Masken» erfolgt in verschiedenen Schweizer Konfektionsbetrieben, viele davon sind in der Ostschweiz beheimatet. Benjamin J. Fuchs sieht zahlreiche weitere Einsatzmöglichkeiten für die Viroblock-Technologie: So findet der Stoff bereits auch im eigentlichen Geschäft mit Kleidungsstücken Anwendung.

Fuchs kann der Corona-Pandemie auch sonst Positives abgewinnen: «Nach anfänglichen Problemen offenbarten sich die wesentlichen Effizienzvorteile von Videokonferenzen und Homeoffice. Dabei kann viel Reisezeit mit all den ökologischen Nachteilen gespart werden», so der promovierte Jurist und Betriebswirt. Gleichzeitig sei man sich aber auch bewusst geworden, wie wertvoll der persönliche Kontakt sei.

Vor allem aber habe ihn die Krise eines gelehrt: «Wir können sehr schnell grossartige Leistungen vollbringen, wenn wir zusammenstehen und Vollgas geben. Das ist, so glaube ich, eine schweizerische Eigenschaft: Wenn Not am Mann ist, sind wir da, helfen einander und erbringen innovative Lösungen.»

Dr. Benjamin J. Fuchs – CEO Weba Weberei Appenzell AG, Appenzell 

Benjamin J. Fuchs führt die Appenzeller Alba-Gruppe, zu der die Weba Weberei Appenzell AG gehört, seit viereinhalb Jahren als CEO. In «normalen» Zeiten produzieren die rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Weba Stoffe für den Premium- und Luxus-Hemdenmarkt. Das Unternehmen hat sich vor allem mit innovativen Geweben mit Zusatznutzen wie Knitterfestigkeit oder Fleckenresistenz erfolgreich im Markt positioniert.

«Wir reagierten sehr schnell auf die Situation und erweiterten unsere Telemedizin-App um Corona-Funktionen»

Mit wenigen Klicks auf dem Handy Symptome checken und Corona-Tests bestellen? Das ermöglicht die Telemedizin-App von Misanto. Obwohl sie erst im Winter 2019 online gegangen war, nahm sie in der Corona Krise rasch eine wichtige Rolle ein.

Ärzte entwickelten die App mithilfe eines Schweizer ITUnternehmens, das bereits Lösungen für die SBB, Schweizer Grossbanken und Spitäler erbrachte. Eine Besonderheit der App ist ein kostenloser «Symptomchecker». Ihm liegt ein intelligenter Fragebaum zugrunde, mit dem Nutzerinnen und Nutzer rund 600 unterschiedliche Verdachtsdiagnosen abklären können. Bei Bedarf konsultieren sie anschliessend online einen Arzt. In Zeiten des Corona-Lockdowns und des Social Distancings ermöglichte die digitale Arztpraxis die Überwindung räumlicher Distanzen. Dieser Vorteil blieb dem Kanton Thurgau nicht lange unerkannt: Er beauftragte Misanto rasch damit, Verdachtsfälle zu testen.

«Wir reagierten sehr schnell auf die neue, aussergewöhnliche Situation und erweiterten unsere App um eine Corona-Abfrage und Corona-Tests, um unsere Patienten telemedizinisch zu betreuen», sagt Misanto-Betriebsdirektorin Carol Krech. Eine Herausforderung für das Start-up war dabei gerade in den ersten Wochen der Krise die Beschaffung des Testmaterials. Zudem musste ein erhöhter Personalbedarf bewältigt werden. Heute gehört Misanto auf Google Play zu den Top Ten der medizinischen Apps. Das Team arbeitet nun intensiv daran, die App mit zusätzlichen Funktionen weiterzuentwickeln. Die Gründer um die Familie Krech haben ein Ziel: «Wir wollen Taktgeber eines modernen und zugänglichen Gesundheitssystems sein, bei dem der Patient im Mittelpunkt steht.»

Mit der Corona-Krise wurde die Arbeitswelt vernetzter und flexibler. Während die digitale Revolution branchenübergreifend schnell voranschreitet, hinkt das betriebliche Gesundheitsmanagement aber diesem Trend noch nach. Misanto legt daher künftig auch ein Augenmerk darauf, Unternehmen dabei zu unterstützen.

Prof. Dr. Thomas Krech und Carol Krech – Misanto AG, Frauenfeld 

Die Misanto AG ist ein Thurgauer Start-up mit Sitz in Frauenfeld. CEO Thomas Krech gründete das Telemedizin-Unternehmen im Jahr 2016 und führt es gemeinsam mit seinen Töchtern Carol Krech (COO) und Katja Krech (CFO). Heute beschäftigt Misanto zehn Mitarbeitende, aufgeteilt in ein medizinisches und ein IT-Team.

«Zu sehen, wie viele Menschen uns unterstützen, macht so viel Mut und motiviert unheimlich.»

In der Schweiz wird Solidarität in Krisenzeiten grossgeschrieben. Das zeigt sich auch am grossen Zuspruch für 260 KMU auf der Crowdfunding-Plattform lokalhelden.ch: Diese generierte bis Ende Mai bereits über 1,2 Millionen Franken.

Lokalhelden.ch richtet sich an Organisationen und Privatpersonen mit gemeinnützigen oder nicht-kommerziellen Projekten in der Schweiz. Unter dem Hashtag #LocalSupport steht die Plattform seit Mitte März temporär auch Schweizer Unternehmen zur Verfügung, die von der Corona-Krise betroffen sind. KMU können Wertgutscheine anbieten und zusätzliche Spendengelder sammeln. Mithilfe der lokalen Bevölkerung lassen sich damit kurzfristige Liquiditätsprobleme und Umsatzeinbussen teilweise überbrücken.

Für ein KMU hat das eigene Lokalhelden-Projekt drei grosse Vorteile: Erstens generiert das Crowdfunding schnell Liquidität. Die Einnahmen erfolgen rasch, die bezahlte Leistung kann später erbracht werden. Zweitens müssen Unternehmerinnen und Unternehmer mit dieser Lösung keine Schulden aufnehmen, um an flüssige Mittel zu kommen. Und drittens stärkt die Plattform im Sinne der «Hilfe zur Selbsthilfe» die lokale Verankerung der KMU und ihre Beziehung zu den bestehenden und potenziellen Kunden.

Auch Denise Weber, Gründerin des «Kafi Franz» in St.Gallen, ist mit ihrem Unternehmen von der Krise betroffen. Das KMU hat zwar Kurzarbeit für die Mitarbeitenden angemeldet, aber Sozialversicherungen und laufende Kosten müssen trotzdem bezahlt werden. Dafür fehlten die Einnahmequellen, weil der beliebte Gastrobetrieb die Türen schliessen musste.

Dank lokalhelden.ch kam das Café auch während der herausfordernden Zeit zu Liquidität – und konnte mit dem Gutscheinverkauf den Lockdown überbrücken. Denise Weber sagt: «Raiffeisen machte mich auf die Aktion aufmerksam. Ich bin sehr froh, dass ich trotz anfänglicher Corona-Schockstarre dann mitmachte. Zu sehen, wie viele Menschen uns unterstützen, macht so viel Mut und motiviert unheimlich. Lokalhelden.ch zahlt sich nicht nur auf dem Konto aus, sondern auch im Herzen.»

Denise Weber – Kafi Franz, St.Gallen
Das «Franz» steht für frische Zubereitung und eine kreative Saisonküche. Betreiberin Denise Weber, die das Kafi 2013 mitgründete, setzt für ihre Gerichte auf hochwertige Lebensmittel und Zutaten aus der Region – wenn immer möglich in Bio-Qualität. Sie beschäftigt ein Team aus acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, hinzu kommen Wochenendspringer und tatkräftige Unterstützung aus dem familiären Umfeld.

lokalhelden.ch
Die Crowdfunding-Plattform lokalhelden.ch ist eine Initiative von Raiffeisen. Sie wurde 2016 zur Finanzierung von gemeinnützigen und nichtkommerziellen Projekten ins Leben gerufen. Seit Mitte März steht die Plattform temporär auch KMU zur Verfügung, die von der Corona-Krise betroffen sind.

«Wir waren gezwungen, unsere Prozess- und  Organisations- flexibilisierung sowie die Digitalisierung zu beschleunigen – und nehmen dies nun gerne mit.»

Es ist für jedes Unternehmen eine ausserordentliche Herausforderung, die Hälfte der Mitarbeitenden innerhalb nur einer Woche ins Homeoffice zu schicken – besonders in der produzierenden Industrie. Aufgrund der Corona-Pandemie sah sich auch die Metrohm AG dazu veranlasst.

Das Herisauer Traditionsunternehmen stellt Hochpräzisionsinstrumente für die chemische Analytik her. Das Geschäft lebt von qualitativ herausragenden Produkten. Rasch mussten deshalb Wege gefunden werden, den Fortschritt bei Entwicklungsprojekten und den operativen Betrieb bei hoher Produktivität und Qualität aufrechtzuerhalten. Entsprechend erklärte das Top-Management den Schutz der Mitarbeitenden während und über die Pandemiewelle hinaus zur prioritären Direktive seines Krisenmanagements. Nebst der breiten Einführung von Homeoffice hatte dies insbesondere zur Folge, dass der Bereich Operations in zwei Arbeitsschichten aufgeteilt wurde, um so das Infektionsrisiko zu verringern.

Nebst dem Mitarbeiterschutz fokussiert das Krisenmanagement auf die Sicherstellung vor- und nachgelagerter Lieferketten, der Produktion und des Kundenkontakts. In der Beratung und im Service beim Kunden wird der intensive persönliche Kontakt stark gewichtet, das Geschäftsmodell beruht gar massgeblich darauf. CEO Stefan Walther sieht darin eine Chance: «Im Gegensatz zu einigen Mitbewerbern sind wir in allen unseren Märkten operativ und für unsere Kunden da. Das wird sich nun auszahlen.»

Zwar zeichnet sich mittlerweile auch bei der Metrohm ein wesentlicher Auftragsrückgang ab. Doch Walther zeigt sich optimistisch. Die langfristige Strategie, basierend auf einfachen und realen Werten, komme dem Unternehmen nun zugute. «Wir haben tolle Produkte, sind unabhängig, halten Know-how und Fertigungstiefe im eigenen Haus, haben einen Direktvertrieb, sind finanziell solid und produzieren fast ausschliesslich ‹made in Switzerland›». Dies ermögliche es der Metrohm, stärker aus der Krise herauszukommen als einige Mitbewerber. Die positiven Aspekte interner Umstellungen in der Informatik, bei Arbeitsmodellen und der Kommunikation will Metrohm zudem bewahren.

Stefan Walther – Metrohm AG, Herisau
Die Metrohm-Gruppe mit Sitz in Herisau ist einer der weltweit grössten und renommiertesten Hersteller von Hochpräzisionsinstrumenten für die chemische Analytik. Das 1943 gegründete Unternehmen beschäftigt weltweit rund 2600 Mitarbeitende, 550 davon im Stammhaus in Herisau. Stefan Walther führt das Headquarter in Herisau seit 2018 als CEO. Gesundes Wachstum, Investitionen in neue Produkte und Infrastruktur, zeitgerechte Lieferung bei höchster Qualität und zufrierende Mitarbeitende sind die Grundpfeiler seines Handelns.

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