Nachhaltiges Unternehmertum Insekten bekämpfen – und retten
Herr Reckhaus, Sie werden am 27. Mai am EcoOst St. Gallen Symposium als Podiumsgast auftreten. Die Veranstaltung, welche die IHK St. Gallen-Appenzell zusammen mit der IHK Thurgau und dem St. Gallen Symposium durchführt, widmet sich dem Thema «Capital for Purpose». Was verstehen Sie unter diesem doch ziemlich abstrakten Konzept?
Hans-Dietrich Reckhaus: Für mich ist das kein Konzept, sondern die Aufforderung, nachhaltig zu wirtschaften. Als Familienbetrieb tun wir das schon seit über 60 Jahren. Wir sind getrieben von langfristigen Partnerschaften, einem anspruchsvollen Qualitätsdenken und dem Streben, ökologische, soziale und ökonomische Aspekte in Einklang zu bringen.
Gibt es in Ihrem Unternehmen die bewusste Auseinandersetzung mit verschiedenen Kapitalformen? Wie fällen Sie Investitionsentscheide?
Wir denken nicht in Kapital. Wir denken in Kundenbeziehungen und Produktqualitäten. Kapital hat für uns lediglich eine unterstützende Funktion.
Sie bekämpfen Insekten und schaffen an anderen Orten Ausgleichsflächen. So garantieren Sie gleich selbst, dass Ihnen die Arbeit nicht ausgeht. Sind Sie ein Paradebeispiel für nachhaltiges Unternehmertum?
Insekten sind wichtig und dramatisch bedroht. Für uns ist die Kompensation nur das letzte Mittel. Vielmehr muss es um die Reduzierung und Ökologisierung der Insektenbekämpfung gehen. Hier wollen wir unseren aktiven Beitrag zur Nachhaltigkeit erbringen. In Zukunft wollen wir unser Geld nur noch mit der Insektenförderung verdienen. Wir entwickeln Lebendfangfallen und legen insektenfreundliche Lebensräume an.
Ihre Vision, Insektenretter anstatt -bekämpfer zu sein, wurde teilweise belächelt. Was entgegnen Sie diesen Leuten?
Unsere Produkte töten Insekten. Deswegen haben wir die Pflicht, für diesen ökologischen Schaden Verantwortung zu übernehmen. Unser Einsatz für Insekten ist nicht paradox, sondern vielmehr die logische und aufrichtige Konsequenz unserer Vergangenheit. Unsere Aktivitäten sind wissenschaftlich fundiert und werden durch Dritte zertifiziert.
Sie haben bereits zahlreiche Auszeichnungen für dieses Umdenken sowie für Insect Respect gewonnen und nehmen eine Vorbildfunktion ein. Wie kam es dazu?
Meine Inspiration und mein Umdenken ist ausschliesslich durch die beiden Künstler Frank und Patrik Riklin möglich geworden. Die beiden haben mich aktiv aufgefordert, mein Geschäftsmodell zu hinterfragen. Sie zeigten mir, wie man Insekten retten kann, und ermutigten mich, den Weg der Transformation zu gehen.
In welcher Phase auf diesem Weg der Transformation befinden Sie sich heute? Wie hat sich die Akzeptanz in Ihrem Umfeld über die Zeit verändert?
Zurzeit erleben wir einen grossen Aufwind, weil sich deutsche Grossverteiler für Insect Respect entscheiden. Dennoch sind wir erst am Anfang. Zu Beginn haben uns alle belächelt, heute entwickelt sich Insect Respect zum Standard in der Insektenbekämpfung sowie in der Insektenförderung.
Mit welchen (zu) kurzfristigen Entscheidungsanreizen haben Sie in Ihrem Unternehmen und Umfeld zu kämpfen? Inwiefern unterscheiden sich hier KMU von grossen Unternehmen?
Kurzfristig können wir immer mehr Umsatz machen, wenn wir unseren Kunden Rabatte gewähren. Seit Jahrzehnten tun wir das aber nicht. Der Lohn dafür ist, dass wir sehr langfristige und vertrauensvolle Partnerschaften haben. Grossunternehmen sind hier viel kurzfristiger unterwegs.
Das EcoOst St. Gallen Symposium setzt sich zum Ziel, die Erkenntnisse des St. Gallen Symposiums auf die Ostschweiz herunterzubrechen – ganz nach dem Motto «internationale Worte, regionale Taten». Was braucht es Ihrer Ansicht nach, dass dieser Transfer gelingt?
Unternehmer in der Region benötigen konkrete Beispiele, mit denen sie sich identifizieren können. Grosse Vorträge und Best-Practice-Beispiele aus Asien und der Welt sind nutzlos. Es sollte darum gehen, europäische und Schweizer Unternehmen zu identifizieren, die die tollen Gedanken des Symposiums heute schon umsetzen. Es geht darum, voneinander zu lernen.
Stichwort Transfer: Ein Hauptziel des St. Gallen Symposiums und entsprechend auch des EcoOst St. Gallen Symposiums ist der Generationendialog. Wie erleben Sie den Austausch mit Studierenden und jungen UnternehmerInnen? Was geben Sie diesen mit auf den Weg, was können Sie von der jungen Generation lernen?
Wir haben leider kaum einen Austausch. Den jungen Leuten möchte ich aber Folgendes mit auf den Weg geben: Solide Ausbildung absolvieren, fünf Jahre im Beruf arbeiten und dann nur noch dem Herzen, der eigenen Überzeugung folgen. Nicht aufgeben und der eigenen Vision folgen. Im Gegenzug könnte ich sicherlich ungeheuerlich viel von den Jungen lernen. Es ist immer bereichernd, die Welt aus den Augen einer anderen Generation zu sehen.
Insect Respect
Was ist der Wert eines Insekts? Dr. Hans-Dietrich Reckhaus fordert mit Insect Respect, diese Frage ernst zu nehmen. Das Gütezeichen steht für einen neuen Umgang mit Insekten. Die Sechsbeiner sind nützlich für die Gesellschaft, ihre Bestände gehen aber stark zurück. Insect Respect fördert deshalb Produkte und Projekte, die für Bewusstsein sorgen, und schafft Flächen speziell für Insekten. So sind heute sämtliche Insektenbekämpfungsprodukte der hauseigenen Marke recozit mit dem Warnhinweis «Tötet wertvolle Insekten» sowie Tipps zur Prävention vor Insektenbefall versehen. Zu den Handelspartnern, welche Produkte mit dem Insect-Respect-Gütezeichen führen, gehören unter anderem namhafte Detailhandelsketten in Deutschland. Für seinen unkonventionellen Ansatz, aktiv vor den negativen Auswirkungen seiner eigenen Produkte zu warnen, wurde Dr. Hans-Dietrich Reckhaus mehrfach ausgezeichnet.
www.insect-respect.org
EcoOst St. Gallen Symposium
Montag, 27. Mai 2019
WBZ Holzweid, St. Gallen