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Herausforderung Kinderbetreuung

Megatrend gesellschaftlicher Wandel Herausforderung Kinderbetreuung

Michael Götte, Leiter kant. Politik IHK

Eine fundamentale Herausforderung der nächsten Jahrzehnte ist die Alterung der Gesellschaft. Diese wird dem Arbeitsmarkt Fachkräfte entziehen, welche irgendwie ersetzt werden müssen. Eine Möglichkeit wäre die verstärkte Erwerbsbeteiligung von Frauen. Dabei stellt sich die Frage, ob der Staat diese gezielt fördern soll. Damit greift er natürlich auch in grundlegende Entscheidungen ein, welche in einem liberalen Staat eigentlich Private treffen sollten.

Die gesellschaftliche Entwicklung geht klar in die Richtung vermehrter Erwerbstätigkeit von Frauen. Heute gehen knapp 80 Prozent der Frauen im Alter von 15 bis 64 einer Erwerbstätigkeit nach. Viele arbeiten allerdings in einem Teilzeitpensum, was die effektive Arbeitszeit senkt. Wird die Arbeitszeit berücksichtigt, so sinkt die Erwerbsquote (in Voll­zeitäquivalenten) auf etwa 60 Prozent (Ab­bildung 1). Dies sind aber etwa 10 Prozentpunkte mehr als noch zu Beginn der 1990er-Jahre. Die erhöhte Erwerbstätigkeit betraf dabei alle Altersgruppen ausser die­jenige der ganz jungen Frauen. Bei diesen reduzierte die längere Ausbildungsdauer die effektive Erwerbsbeteiligung. Die Reduktion der effektiven Arbeitszeit ist vor allem bei Frauen mit kleinen Kindern sehr ausgeprägt.¹

Teilzeitarbeit mit Nachteilen verbunden

Die Teilzeitarbeit oder die zeitweise Absenz vom Arbeitsmarkt hat eine Reihe von negativen Auswirkungen. Neben den direkten Effekten auf das Einkommen der Familien, in denen Frauen die Betreuung der Kinder übernehmen, stellen vor allem die indirekten Effekte auf die Karrieremöglichkeiten dieser Frauen ein Problem dar. Typische Karrieren in Unternehmen oder beim Staat basieren nach wie vor auf einer hohen zeitlichen Präsenz. Teilzeitstellen weisen dagegen in der Regel weniger Verantwortung und damit einen tieferen Lohn und schlechtere Karrieremöglichkeiten auf. Die Betreuung von Kindern zu Hause wird sich deshalb auf den gesamten Karriere- und Lohnverlauf dieser Frauen auswirken.

Handlungsbedarf für die Politik?

Es stellt sich die Frage, ob und wie die Politik in dieser Frage eingreifen soll. Allein aus Sicht des gesamtwirtschaftlichen Wachstums wäre eine weitgehende Fremdbetreuung von Kindern vorzuziehen. Die Mütter könnten so weiterhin ihrer Arbeit nachgehen, und zusätzlich entstünde aus der externen Kinderbetreuung Einkommen, welches ebenfalls im Bruttoinlandprodukt Eingang findet. Angesichts der Alterung der Gesellschaft wäre dies sicherlich zu begrüssen. Es würde auch ermöglichen, dass diese in der Regel sehr gut ausgebildeten Frauen eine Aufgabe wahrnehmen, welche ihr Potenzial ausschöpft. Diese rein wirtschaftliche Sicht greift aber zu kurz. Die Betreuung von Kindern in der Familie hat gegenüber der Fremdbetreuung viele Vorteile. Zudem wünschen viele Eltern eine Betreuung der Kinder zu Hause. Es gilt deshalb, zwischen diesen beiden Perspektiven eine Balance zu finden.

Betreuungsangebote im Kanton St. Gallen

Das externe Betreuungsangebot ist im Kanton St. Gallen relativ beschränkt. Eine Analyse des Forschungsbüros INFRAS im Auftrag des Amtes für Soziales vom März 2017 dokumentiert diesen Rückstand. Im Jahr 2016 standen für 65 000 Kinder im Alter bis zwölf Jahre insgesamt 3 800 Betreuungsplätze zur Verfügung. Es handelt sich dabei sowohl um den gesamten familienergänzenden Bereich mit Kinder­tagesstätten und Tagesfamilien als auch um den schulergänzenden Bereich, mit Hort, schulischer Tagesbetreuung und Mittagstisch. Die übrigen privaten Betreuungen wie Nannys oder Grosseltern können nicht quantifiziert werden und sind bei diesen Zahlen nicht berücksichtigt. Der Kanton St. Gallen weist damit einen Versorgungsgrad von sechs Prozent aus: Pro hundert Kinder im Kanton St. Gallen gibt es gerade mal sechs Vollzeitplätze. Dies liegt deutlich unter dem schweizerischen Durchschnitt von zehn Prozent. Während das Angebot vor allem in den städtischen Zentren gut bis sehr gut ausgebaut ist, liegt der Versorgungsgrad in einem Drittel der Gemeinden – meist sind dies kleine, ländliche Gemeinden – bei unter einem Prozent.

Steuerliche Abzüge

Ein entscheidender Punkt ist die Finanzierung der externen Betreuungsangebote. Soll die Entscheidung zwischen familieninterner und externer Kinderbetreuung nicht vom Staat beeinflusst werden, so wäre eine Gleichbehandlung nötig. Die Konsequenz wären allerdings dieselben steuerlichen Abzüge für beide Möglichkeiten und keine staatlichen Zuschüsse für die externe Betreuung. In der Praxis hat sich die Politik für eine Förderung der externen Angebote entschieden, dies nicht zuletzt mit Blick auf die gesamtwirtschaftlichen Effekte. So wurde mit der letzten Steuergesetzrevision eine Erhöhung des steuerlichen Abzugs für die Kinderdrittbetreuungskosten von CHF 7 500 auf CHF 25 000 pro Kind beschlossen. Dies entspricht dem durch den Bund vorgesehenen Maximum und bedeutet faktisch, dass die Drittbetreuungskosten vollständig von den Steuern abgezogen werden können.

Finanzierung der Kinderbetreuung

Auch bei der direkten Finanzierung der Kinderbetreuung fördert der Staat die externen Angebote. In der INFRAS-Studie aus dem Jahr 2017 wurden die privaten Kitas und Horte zur ihrer Finanzierungsstruktur befragt. Es zeigt sich, dass die Eltern mit etwa 60% zwar den überwiegenden Teil der Finanzierung übernehmen (Abbildung 2). Die Gemeinden leisten aber ebenfalls einen namhaften Beitrag. Die Beiträge von Bund, Kanton und anderen Akteuren sind dagegen sehr klein. Es fragt sich, ob und wie dieser Finanzierungsschlüssel geändert werden soll. Gefordert wird unter anderem eine stärkere Beteiligung von Firmen über obligatorische, durch Lohnprozente finanzierte Beiträge. Westschweizer Kantone kennen bereits heute solche Beiträge. Zwar ist es sicherlich so, dass auch Unternehmen von zusätzlichen Betreuungsangeboten profitieren. Allerdings leisten die Unternehmen über die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Abführung von Steuern bereits jetzt einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung des Staates. Und es droht eine zusätzliche Erhöhung der Steuer- und Abgabelast.

Die Debatte im Kanton St. Gallen

Der Kantonsrat des Kantons St. Gallen erteilte der Regierung im Jahr 2016 den Auftrag, Massnahmen zur Entschärfung des Fachkräftemangels und zur Förderung der Erwerbs­tätigkeit von Frauen vorzuschlagen. Dabei wurde auch gefordert, konkrete Massnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf aufzuzeigen. Dieser Bericht ist nun in der parlamentarischen Debatte. Der Kantonsrat wird über acht Handlungsempfehlungen diskutieren, welche von der Regierung vorgeschlagen werden. Dabei wird vor allem die vorgeschlagene Erhöhung der Subventionierung des Angebots zu reden geben. Der Kanton will bei der Gutheissung des Handlungsfelds die Einführung einer Verpflichtung für die Arbeitgeber prüfen, einen direkten Beitrag an die Finanzierung des Betreuungsangebotes zu leisten. Bereits jetzt ­finanzieren die Unternehmen die Familien­zulagen. Diese kommen aber allen Familien zugute und tragen damit nicht zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei.

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