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Halbzeit im Bundeshaus

Zwischenfazit zur Legislatur von National- und Ständerat Halbzeit im Bundeshaus

Robert Stadler, Stv. Direktor / Leiter Kommunikation IHK

Das Bundesparlament behandelte in der laufenden Legislatur bereits einige grosse und wichtige Vorlagen. Nebst der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative waren dies vor allem drei Reformprojekte: Unternehmenssteuerreform III, Energiestrategie 2050 und die Altersvorsorge 2020. Zwei dieser drei Reformprojekte scheiterten vor dem Volk. Die Zwischenbilanz fällt dementsprechend ernüchternd aus. Von der erhofften bürgerlichen Zeitenwende ist jedenfalls noch nicht viel zu spüren. Einer der Gründe ist die ungeeinte bürgerliche Mitte.

In der Wintersession 2015 traf sich die Bundesversammlung zum ersten Mal nach den Wahlen in neuer Zusammensetzung. Damit befindet sich die Legislatur in der Halbzeit. Blenden wir zurück: Bei den Nationalratswahlen 2015 wurde die bürgerliche Seite klar gestärkt, die Mitte geschwächt. Die SVP erhielt wieder Auftrieb und belegt seither rund einen Drittel aller Sitze in der grossen Kammer. Auch die FDP legte nach Jahren des Niedergangs wieder zu. Die Mitte hingegen musste Federn lassen: Die CVP setzte ihren Krebsgang weiter fort, und die bei den Wahlen 2011 noch gehypten BDP und GLP mussten ebenfalls kräftige Einbussen einstecken. Auch SP und Grüne verloren Sitze. Vielerorts wurde von einer bürgerlichen Zeitenwende gesprochen. Im Nationalrat sollte in der neuen Legislatur ein wirtschaftsfreundlicherer und staatskritischerer Geist wehen, der zu weniger Bürokratie, mehr Freiheit und notwendigen Reformen führen würde.

Wendepunkt Unternehmenssteuerreform

Die hohen Erwartungen konnten leider nicht erfüllt werden. Insgesamt muss das Zwischenzeugnis sogar enttäuschend ausfallen. Die NZZ schrieb ernüchtert: «Die Politik wandelt auf direktem Weg in eine verlorene Legislatur.» Tatsächlich: Viel hat das Parlament noch nicht zustande gebracht – oder dann hat das Volk ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Zwei grosse Reformvorhaben, die Unternehmenssteuerreform III (USR III) und die Altersvorsorge 2020, erhielten vom Souverän eine Abfuhr. Offensichtlich ist die Fähigkeit zum Schnüren mehrheitsfähiger Kompromisse, die das Volk zu überzeugen vermag, verloren gegangen. Nur das dritte grosse Reformprojekt, die Energiestrategie 2050, überstand (leider) den Test an der Urne. Diese Zwischenbilanz macht deutlich: Ein «bürgerlicher Machtrausch», wie SP-Präsident Christian Levrat den Teufel an die Wand malen wollte, sieht mit Sicherheit anders aus.
Möglicherweise war die für Mitte-Rechts verlorene Abstimmung zur USR III der entscheidende Wendepunkt. Nach dem Nein zur Steuerreform kam im Nationalrat die hauchdünne Mehrheit für die Rentenreform mit dem AHV-Zuschlag von 70 Franken zustande. Die Argumentation der Befürworter der Neurentenerhöhung: Ohne dieses Zückerchen sei die Abstimmung gegen Links nicht zu gewinnen. Die bürgerliche Mitte spaltete sich in der Frage. Die CVP war dafür, die FDP dagegen und die GLP eigentlich ebenfalls gegen die so aufgeladene Reform, stimmte am Schluss dann aber trotzdem zu.
Die Motivanalyse nach der Abstimmung zeigte jedoch: Just diese 70 Franken bedeuteten den entscheidenden Sargnagel für die Vorlage. Denn ohne das giesskannen­artige AHV-Zückerchen für Neurentner wäre die Alters­reform vermutlich angenommen worden.

Zückerchen für die Linke

Auch bei der Neuauflage der USR III – genannt Steuervorlage 17 – könnten wieder dieselben Fehler gemacht werden. Zwar ist positiv, wie schnell eine neue Vorlage zur Diskussion gestellt wurde. Doch das Resultat kann nicht überzeugen. Zum einen wurde mit der Erhöhung der Kinder- und Ausbildungszulagen ein sachfremdes Element in die neue Steuervorlage 17 gepackt. Wie die 70 Franken bei der AHV ist es wieder ein Zückerchen für die Linke, um die Mehrheitsfähigkeit der Vorlage scheinbar zu verbessern. Wie wir mittlerweile wissen, kann dies eine trügerische Einschätzung sein. Abgesehen davon wurden bereits wieder viele Ausnahmen in die Vorlage eingebaut. Diese mögen zwar sachlich richtig sein, lassen aber die Steuervorlage 17 zu einem Aufguss der klar abgelehnten USR III verkommen. Der Souverän dürfte sich mit Recht nicht ernst genommen fühlen.

Bruchlinie zwischen FDP und CVP

Doch wie geht es in der zweiten Legislaturhälfte weiter? Zu hoffen ist, dass sich die bürgerliche Mitte wieder geeinter zeigt. Von Profilierungssorge und Wahlmisserfolgen gebeutelt, passte die CVP unter ihrem neuen Präsidenten Gerhard Pfister ihre Positionierung an. In dieser Legislatur brachen die Christdemokraten häufiger die in der jüngeren Vergangenheit praktizierte Allianz mit der FDP. Bei der Rentenreform stimmte die CVP mit der Linken, bei Ausländerthemen mit der SVP. Zwar erkennen die beiden Ständeratsmitglieder Karin Keller-Sutter (FDP) und Ivo Bischofberger (CVP) darin nichts Ungewöhnliches (siehe Interviews auf den folgenden Seiten). Die Schweizer Politik sei seit jeher geprägt von wechselnden Mehrheiten. Dennoch darf vermutet werden: Dividieren sich bei dringend notwendigen Reformen schon FDP und CVP auseinander, wird es äusserst schwierig, die Mehrheit des Volkes von einer Reform zu überzeugen.

Wahlbarometer

Gemäss dem SRG-Wahlbarometer zur Halbzeit der Legislatur legen FDP (+ 0,7%), Grüne (+ 1,0%) und GLP (+ 0,8%) in der Wählergunst zu. Verluste müssen SVP (– 0,7%), SP (– 1,1%), CVP (– 0,7%) und BDP (– 0,7%) hinnehmen. Insgesamt ergibt die Umfrage aber eine Parteienlandschaft mit wenig Veränderungen gegenüber 2015. So gaben auch 87 Prozent der Antwortenden an, derzeit dieselbe Partei wählen zu wollen wie vor zwei Jahren.

Erneuerung für die Ostschweiz?

Dass der Nationalrat aus Ostschweizer Sicht mit etwas anderen Gesichtern in die zweite Legislaturhälfte starten wird, ist (bis jetzt?) ausschliesslich auf den Thurgau zurückzuführen. Seine Delegation erhielt mit der Wintersession eine Blutauffrischung. Für den Amriswiler Unternehmer Hermann Hess (FDP) rückt der Druckunternehmer und Thurgauer Gewerbepräsident Hansjörg Brunner nach, auf den langjährigen Bauernpräsidenten Hansjörg Walter (SVP) folgt die Romanshorner Unternehmerin Diana Gutjahr.
Gut möglich, dass schon bald ein zusätzlicher Thurgauer im Nationalrat sitzt – nämlich dann, wenn es bei der CVP St.Gallen zu einem Wechsel kommen sollte: Der in Bischofszell aufgewachsene Olma-Direktor Nicolo Paganini ist bei den Christdemokraten erster Ersatz. Bei den anderen bürgerlichen Parteien warten Walter Locher (FDP) und Mike Egger (SVP) als erster Ersatz auf eine Einwechslung.
In Appenzell Ausserrhoden und Innerrhoden dürfte es zu keinen Wechseln kommen.

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