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Gutes kann noch besser werden

Umfrage bei Berufsbildungs-Spezialisten Gutes kann noch besser werden

Robert Stadler, Stv. Direktor / Leiter Kommunikation IHK

Ausbildner, Unternehmer und Berufsbildungsexperten nehmen Stellung zu den Vorschlägen der IHK St. Gallen-­Appenzell für kompetenzorientierte Berufsfachschulen. Das duale Berufsbildungssystem ist nach wie vor ein Erfolgsmodell, wird aber von der hohen Veränderungsgeschwindigkeit und der Digitalisierung stark herausgefordert. Deshalb stellten wir die Frage: Ist in der Berufsbildung alles Gold, was glänzt? Oder besteht Verbesserungspotenzial?

Guido Frei, Personalverantwortlicher Abacus Research AG, Wittenbach

Die IHK-Vorschläge für kompetenzorientierte Berufsschulen können wir als IT-Unternehmen voll und ganz unterstützen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen den Berufsschulen und den Unternehmen wäre sehr wünschenswert. In der heutigen digitalisierten Welt ist alles viel schneller und auch die Berufe, für die ausgebildet werden soll, sind diesem Wandel ausgesetzt. Daher ist es wichtig, dass die Berufsfachlehrer ein hohes Fachwissen aufweisen und auch gewillt sind, ihr Wissen ständig zu aktualisieren. Gerade in der Informatik müssen den Berufsschulen immer die neusten Technologien zur Verfügung stehen, damit den aktuellen Trends auch in der Ausbildung adäquat entsprochen werden kann. Mit einer kompetenzorientierten Berufsschule können genau diese Themen angegangen werden. Motivierte und gut ausgebildete Lernende wünscht sich jedes Unternehmen und sie sind auch die besten Botschafter für das duale Berufsbildungssystem.

Rolf Fuhrer, Leiter Personal, St. Galler Kantonalbank, St. Gallen

Die duale Berufsbildung in der Schweiz ist ein Erfolgsmodell. Wie sonst hätte die Schweizer Delegation an der diesjährigen Berufsweltmeisterschaft zwanzig Medaillen, davon elf goldene, holen können? Wollen wir bei der nächsten Meisterschaft mindestens genauso gut sein, dann dürfen wir uns nicht auf diesen Lorbeeren ausruhen.
Die Digitalisierung ist in vielen Bereichen auf dem Vormarsch und verändert ganze Tätigkeitsbereiche nachhaltig – auch die von Bankkaufleuten. Bestehende Berufsbilder müssen überarbeitet und angepasst werden. Neue Berufsbilder werden geschaffen und bieten durchaus auch Chancen. Durch den immer schneller werdenden digitalen Veränderungsprozess sind neben den klassischen kaufmännischen Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen neue Kompetenzen und Qualitätsanforderungen gewünscht; beispielsweise die Medienkompetenz. Sich sicher und adäquat multimedial bewegen und informieren zu können, ist eine immer wichtigere Eigenschaft. Zudem beeinflussen und verändern Medienkompetenzen die klassischen Kompetenzen und müssen inskünftig in die Lehrpläne der Bankbranche einfliessen. Verbände, Bildungsinstitutionen und Organisationen tun gut daran, sich tiefgreifender und komplexer mit den Veränderungen auseinanderzusetzen und sich entsprechend neu zu organisieren. Wollen wir auch in Zukunft exzellent ausgebildete Fachkräfte haben, müssen neue Ausbildungsinhalte vermittelt werden, die fit für 4.0. machen.

René Graf, Ausbildungsleiter, Coop Region Ostschweiz-Ticino, Gossau

Das generelle Tempo der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen ist enorm und stellt hohe Ansprüche und Anforderungen an alle Beteiligten im Bildungswesen. Im Detailhandel ist aktuell eine Reform der Grundbildung auf nationaler Ebene im Gang. Nebst den fachlichen Inhalten müssen wir uns vor allem auch mit dem Tempo der Veränderungen auseinandersetzen. Es muss uns gelingen, Neues viel schneller als heute und in top Qualität umzusetzen. Nebst den Betrieben sind vor allem auch die Berufsfachschulen und Verantwortlichen der überbetrieblichen Kurse gefordert. Fragen wie

  • sind die Lehrpersonen auf dem neuesten und aktuellsten Stand?
  • ​​​wie bleiben die Lehrpersonen fachlich fit?
  • sind alle Lehrpersonen kompetent und haben sie genügend Praxisbezug?
  • wie erwerben Lehrpersonen den Blick in die Zukunft?

müssen gestellt und Antworten gefunden werden. Aber auch auf überkantonaler, organisatorischer Ebene braucht es Antworten auf Fragen wie:

  • wie viele Berufsfachschulen braucht es?
  • ist weniger nicht gleich mehr?
  • können geforderte Kompetenzen der Lehrpersonen nicht in weniger, aber grösseren Gebilden besser sichergestellt werden?

Wenn wir alle mit dem gleichen Ziel die nötigen Reformen angehen, werden wir gemeinsam zukunftsträchtige Lösungen finden.
Die grosse Herausforderung lautet auf den ersten Blick «Tempo versus Qualität». Besser gesagt: Wir brauchen Tempo und Qualität. Nur Lernende, die aktuelle und kompetente Inhalte vermittelt bekommen, werden den zukünftigen Herausforderungen genügen.

Cornelia Grill, Leiterin Berufsbildung, Sefar AG, Heiden

Das Schlagwort «Digitalisierung» ist in aller Munde. Dies ist mitunter eine der schwierigsten Veränderungen, der wir in der dualen Berufsbildung gegenüberstehen. Aus meiner Sicht sind wir für diesen bevorstehenden Wandel noch nicht ganz bereit. Zudem sehe ich die Herausforderung darin, den Spagat zwischen einer für die Jugendlichen attraktiv gestalteten Berufsbildung und den Anforderungen der Wirtschaft zu meistern.
Die IHK greift unter dem Titel «Berufsbildung 4.0» das Thema von Berufsfachschulen als Kompetenzzentren auf. Persönlich finde ich diesen Gedankengang sehr interessant. In Nischenberufen finden wir dies bereits heute.
Mit Kompetenzzentren erhoffe ich mir eine gestärkte und engere Zusammenarbeit zwischen den Ausbildungsbetrieben, den Berufsfachschulen und den Lernenden. Der von der IHK dazu gemachten Aussage «Wir müssen uns gemeinsam den Herausforderungen der Zukunft stellen» kann ich voll zustimmen: Nur gemeinsam sind wir stark.

Dr. Andreas Hartmann, Präsident Kantonaler Gewerbeverband St. Gallen, Rorschach

Das duale Berufsbildungssystem der Schweiz ist eine Erfolgsgeschichte. Direktes Lernen in der Praxis verknüpft mit schulischer Bildung sorgt für kompetente Fachkräfte, die in der Wirtschaft gefragt sind. Diese Erfolgsgeschichte muss aus Sicht des Kantonalen Gewerbeverbandes St. Gallen (KGV) weiterentwickelt und gestärkt werden, damit die Berufslehre auch in Zukunft Bestand hat.
Die Idee der IHK St. Gallen-Appenzell, die Berufsschulen im Kanton St. Gallen nach Kompetenzen zu führen bzw. zu bündeln, ist prüfenswert – Vor- und Nachteile sind aber genau abzuwägen. Die Fachkommissionen mit direktem Bezug zur Wirtschaft sind beizubehalten, da sie die Anforderungen der Wirtschaft optimal einbringen. Nicht zu vergessen ist ferner der Umstand, dass unsere Berufsverbände erfolgreich und engagiert die Organisation der überbetrieblichen Kurse wahrnehmen. Diese Aufgabe und Zuständigkeit gilt es ebenfalls zu bewahren. Die allfällige Umsetzung einer neuen Organisationsstruktur für die Berufsschulen in Kompetenzzentren müsste in Teilschritten erfolgen. Die angepassten Führungsstrukturen der Berufsfachschulen bieten dazu bereits jetzt die notwendigen Voraussetzungen.

Patrick Berhalter, CEO und VR-Präsident, Berhalter AG, Widnau

Die Voraussetzung für eine Berufsbildung 4.0 sind eine stärkere Ausprägung der Bildungspolitik in den MINT-Fächern und moderne modulare Systeme, um agil auf die ständig wachsenden Anforderungen einzugehen.
Nach wie vor bildet die duale respektive triale Ausbildung (Unternehmen, Berufsschule und überbetriebliche Kurse) einen hervorragenden Grundstock. Doch die Anforderungen mit Industrie 4.0, Internet der Dinge, Digitalisierungs-Welt sowie Cyber-Physical-Systeme fordern die Unternehmen. Das bedeutet, dass ein Unternehmen heute ein wenig wie ein Start-up-Unternehmen funktionieren muss, sich im Sinne der Denkweise von Google entwickelt und doch werthaltige Kultur-und Werte und Traditionen pflegt. Partnerschaftliche Zusammenarbeit und ein ausgeprägtes Innovations-Denken sind sozusagen Pflicht.
Veränderung oder eben «Change» gilt nicht nur für die Unternehmen und ihre Mitarbeitenden, sondern auch für die Berufsschulen und die überbetrieblichen Kurse. Wünschenswert wäre zudem, auch im 9. Grundschuljahr mehr Praxisbezug von den Schulen zu den Berufen, mit Einbindung der Industrie, zu bekommen.
Es braucht neue Kompetenzen für die Industrie 4.0. Die Entwicklung von IT-Kenntnissen reicht da nicht aus. Wir benötigen eine Kompetenzorientierung in den Berufsschulen. Natürlich brauchen wir mehr IT-Technologien, diese sind jedoch mit Berufen wie Polymechaniker, Automatiker, Konstrukteur zu vernetzen. Denn so einfach es ist, ein App zu gestalten, so muss es durch Systematik und mit Kompetenzen der verschiedenen Berufsgattungen vernetzt und ergänzt werden. Als Beispiel: In unserem Unternehmen fördern wir die Lernenden bereits mit Projekten über die Berufsgruppen hinaus.
Wahrscheinlich dürfen wir in Zukunft nicht mehr nur regional denken, wenn wir von Ausbildung sprechen. Die Berufsbildung muss sich auf Schwerpunkte konzentrieren und dezentrale Stärken mit anderen Instituten vernetzen. Ich erwarte, dass modulares Wissen vermittelt wird, damit auch Ergänzungsthemen vernetzt werden.
Was die weitere Entwicklung angeht: Gesamtwirtschaftlich sehe ich dies unter dem Motto: «Survival of the fittest» – und das ist uns in der Schweiz auch immer wieder gelungen. Wir sind jedoch gefordert, auch systematisch an der Weiterentwicklung der Schulsysteme zu arbeiten, um weiter exzellent zu bleiben.

Christian Fiechter, Präsident Hans Huber Stiftung, Heerbrugg

Die Schweizer Wirtschaft ist nach wie vor auf die duale Berufsbildung angewiesen. Sie sichert die Fachkräfte von Morgen. Dies insbesondere in den MINT-Berufen. Es ist sehr wichtig, dass sich die Bildungsprogramme den sich immer wieder veränderten Praxisbedingungen anpassen.
So sollte die Anzahl der Ausbildungsberufe reduziert werden. Ähnliche Berufe sind zu bündeln. Eine Spezialisierung sollte nicht schon während der Ausbildung erfolgen. Dafür sollten die Lehrpläne und Lehrmittel schneller an die sich ändernden Bedingungen angepasst werden. Die heutige Digitalisierung erleichtert dies, da Lehrmittel in Papierform nicht mehr zeitgemäss sind.
Kompetenzorientierte Berufsschulen sind zu begrüssen. Allerdings ist darauf zu achten, dass die Wege vom Lehrort zur Berufsschule nicht allzu gross werden. Dies könnte mit kantonsübergreifenden Schulen erreicht werden. Die Frage sei erlaubt, ob dies in Grenzregionen sogar länderübergreifend möglich wäre. Zusammenfassend muss die Berufslehre so attraktiv gestaltet werden, dass sie für alle Schulabgänger als eine echte Alternative zur Mittelschule erkannt wird. Dazu müssen auch die Eltern einbezogen werden. Dies gilt insbesondere bei Zugezogenen aus Ländern, die die Berufslehre in ihren Herkunftsländern nicht kennen.

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