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Digitalisierung als Chance für die Schiene

Zukunft beim Personentransport Digitalisierung als Chance für die Schiene

Dr. Frank Bodmer Leiter IHK-Research

Um die Schadstoffemissionen zu reduzieren, setzte die Politik bisher stark auf die Förderung des öffentlichen Verkehrs. Die Resultate waren bescheiden. Die Nachfrage nach Verkehrsleistungen nimmt weiterhin stark zu, und ein Grossteil des Wachstums findet in der Luft und auf der Strasse statt. Eine Trendumkehr könnte aber mithilfe der Digitalisierung gelingen. Im Verkehrssystem der Zukunft könnte zwischen autonomen Fahrzeugen und Schienenverkehr ein enges Zusammenspiel entstehen, welches den Schienenverkehr auch in weniger dicht besiedelten Gebieten attraktiv macht.

Trotz grossen Mitteleinsatzes für den öffentlichen Verkehr fand die von der Politik gewünschte Verschiebung der Verkehrsströme auf die Schiene bisher nicht statt. Im Gegenteil, der Anteil des mit fossilen Treibstoffen betriebenen Verkehrs stieg in der Schweiz in den letzten Jahren stark an, getrieben durch ein hohes Wachstum beim Flugverkehr.

Hohes Wachstum beim Flugverkehr

Zwischen 2010 und 2015 wuchs die Zahl der pro Person in einem Jahr zurückgelegten Wege um rund 4000 Kilometer oder 20% (siehe Abbildung). Davon gingen rund 3700 Kilometer auf den Flugverkehr zurück, 420 Kilometer auf den motorisierten Individualverkehr (MIV) und nur 270 Kilometer auf den Schienenverkehr. Der Flugverkehr zeichnet damit inzwischen für rund 35% der gesamten von der Schweizer Bevölkerung zurückgelegten Kilometer verantwortlich.

Schienenverkehr stagniert

Der Anteil der Schiene liegt aktuell bei knapp 15%. Auch im inländischen Verkehr und im Vergleich zur Strasse konnte die Schiene ihren Anteil nur leicht erhöhen. Die Bedeutung der Schiene für die Beförderung von Personen ist in der Schweiz damit begrenzt. Dabei fehlt es sicherlich nicht am Einsatz von öffentlichen Mitteln. Der Schienenverkehr weist vor allem dann grundlegende Vorteile auf, wenn viele Personen gleichzeitig und mit hoher Geschwindigkeit transportiert werden können. Das ist in dicht besiedelten Agglomerationen der Fall, mit S-Bahnen und Metro, sowie im Verkehr zwischen Städten über mittlere Distanzen. Die Bedeutung von grossen städtischen Zentren ist in der Schweiz aber relativ klein, die Besiedlung dezentral. Damit bleibt auch das Potenzial der Schiene in der Schweiz limitiert. Weltweit sieht es dagegen anders aus. Sowohl in den Megastädten als auch im Fernverkehr für Güter und Personen findet aktuell ein starker Ausbau statt.

Dominanz der Strasse

Trotz eines Verlustes an Marktanteil bleibt der motorisierte Strassenverkehr nach wie vor das dominante Verkehrsmittel der Schweizer Bevölkerung, mit einem Anteil von 43%. Die von der Politik angepeilte Verschiebung von der Strasse auf die Schiene hat damit nicht stattgefunden und erscheint auch für die nahe Zukunft als illusorisch. Dafür sind nicht zuletzt die bereits erwähnten Grenzen des Schienenverkehrs in der dezentral besiedelten Schweiz verantwortlich. Die besten Aussichten für eine signifikante Reduktion des Schadstoffausstosses dürften damit bei neuen Technologien liegen. Das sind einerseits die Elek­trifizierung des Strassenverkehrs, andererseits das Car­sharing.

Elektrifizierung

Mit der Elektrifizierung des Strassenverkehrs lässt sich der direkte Schadstoffausstoss des Strassenverkehrs reduzieren, solange der Strom emissionsarm produziert wird. Dazu braucht es allerdings neben einem Ausbau der Flotte der Elektroautos auch einen massiven Ausbau der Stromproduktion aus nachhaltigen Quellen und einen Ausbau bei den Stromnetzen. In allen drei Bereichen bestehen ­eigene Ressourcengrenzen, sei es bei der für Sonnenkollektoren, Windanlagen oder Leitungen zur Verfügung stehenden Fläche, sei es bei den für Batterien benötigten Rohstoffen. Dazu kommen die hohen finanziellen Kosten des Umbaus der Infrastruktur. Es ist damit fraglich, ob die Nachhaltigkeit des Verkehrs alleine über eine Elektrifizierung des motorisierten Individualverkehrs erreicht werden kann.

Digitalisierung

Ein zweiter grundlegender Trend beim Verkehr ist die ­Digitalisierung. An fahrerlosen Autos wird intensiv ­geforscht. Autonomes Fahren allein wird aber den motorisierten Strassenverkehr noch attraktiver machen, da der Aufwand für die Fahraktivität sinkt. Grösseres Potenzial für einen reduzierten Rohstoffverbrauch besteht beim Carsharing, welches durch die Digitalisierung ebenfalls ­revolutioniert werden dürfte. Das Zusammenführen der exakten Ortsbestimmung von Autos und potenziellen Mitfahrern sowie deren Fahrwünsche werden das Potenzial des Carsharings deutlich erhöhen.

Konvergenz der Systeme

Dank der Digitalisierung werden sich auch die Unterschiede zwischen Strasse und Schiene reduzieren. Bereits heute gibt es Busse, welche autonom auf festgelegten Routen verkehren. Der Unterschied zu einem Zug, welcher die gleiche Route auf Schienen zurücklegt, wird kleiner. Ein verstärkter Einsatz des Carsharings könnte zudem die Attraktivität des Schienenverkehrs erhöhen. Aktuell verringert der zeitliche Aufwand für den Weg zum und vom Bahnhof die Attraktivität des Schienenverkehrs deutlich. Das Carsharing wird diese Endverteilung vereinfachen und dürfte damit auch für den Schienenverkehr neue Wachstumsimpulse ergeben. McKinsey & Company and Bloomberg New Energy Finance, An Integrated Perspective on the Future of Mobility, Oct 2016.

Reduktion der Mobilität?

Sollen die Klimaziele eingehalten werden und sollte es nicht möglich sein, die Emissionen des Verkehrs zu reduzieren, bliebe nur die drastische Reduktion der Mobilität als Alternative. Grundsätzlich ist eine Reduktion der Ferienflüge oder der Autofahrten in der Freizeit zwar vorstellbar. Der Freizeitverkehr macht nämlich etwa 45% der zurückgelegten Kilometer aus. Bei den Fahrten zur Arbeit sieht es dagegen anders aus. Nicht nur die Wohnorte, sondern auch viele Arbeitsplätze befinden sich in kleinen Städten oder Dörfern. Eine Rückkehr zum Modell des Fabrikdorfes ist genauso wenig vorstellbar wie eine Konzentration von Wohn- und Arbeitsorten in den grossen Zentren. Würde die Mobilität per se eingeschränkt, wäre das dezentrale Modell der Schweiz grundlegend in Frage gestellt.

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