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Die wirtschaftliche Erholung setzt sich fort, die Zuversicht steigt

Konjunktur Kernregion Ostschweiz Die wirtschaftliche Erholung setzt sich fort, die Zuversicht steigt

Alessandro Sgro, Chefökonom IHK

Die wirtschaftliche Erholung nimmt weiter Fahrt auf. Die Geschäftslage der Ostschweizer Unternehmen hat sich erneut deutlich verbessert und wird sowohl in der Kernregion Ostschweiz als auch in der Gesamtschweiz seit Mitte 2018 nicht mehr so gut eingeschätzt. Gleichzeitig haben sich die Aussichten aufgehellt und es wird erwartet, dass sich die Geschäftslage weiter verbessert. Die steigenden Einkaufspreise und die anhaltenden Erschwernisse bei den Lieferketten könnten das Geschäftsergebnis aber belasten.

Sinnbildlich für die aktuelle wirtschaftliche Erholung steht der Geschäftslageindikator in der Kernregion Ostschweiz. Seit dem Tiefststand im Juni 2020 hat sich der Geschäftslageindikator um mehr als 60 Prozentpunkte verbessert. Dabei ist in allen Branchen, aber insbesondere im Detailhandel und der Industrie, eine deutliche Erholung sichtbar. Die lokalen Detailhandelsbetriebe profitierten zuletzt von den Öffnungsschritten und den damit einhergehenden Nachholeffekten. Zudem wirkten die bis vor Kurzem geschlossenen Grenzen unterstützend. In der Industrie trugen der höhere Auftragsbestand und die anziehenden Bestellungseingänge zu einer verbesserten Geschäftslage bei. Bemerkenswert ist auch, dass das verarbeitende Gewerbe in der Region St.Gallen-Appenzell den Bestand an Auslandaufträgen das erste Mal seit der Finanzkrise als «gross» beurteilt. Die Geschäftslage im Baugewerbe hat sich dank saisonaler Effekte und einer über den Erwartungen liegenden Ertragslage weiter verbessert (siehe Infografik Branchenanalyse).

Wirtschaft bleibt zuversichtlich

Erfreulich ist zudem, dass die Weichen weiterhin auf Wachstum gestellt sind. Dies zeigt sich beispielsweise im Stimmungsbarometer, welches die Stimmung der privaten Haushalte und der Unternehmen misst und zuletzt wieder leicht zulegen konnte. Die gesamtwirtschaftliche Erholung hängt aber wesentlich von Impffortschritt und -wirksamkeit sowie der Entwicklung der Weltwirtschaft ab. Gerade Letzteres ist für die stark exportorientierte Industrie in der Kernregion Ostschweiz von grosser Relevanz. Die konjunkturelle Erholung in Europa und Nordamerika und die gut laufende Wirtschaft in Asien stimmen jedoch zuversichtlich. Der IHS-Markit-Einkaufsmanagerindex für die Industrie in der Eurozone erreichte in den letzten drei Monaten gar drei neue Rekordwerte. Die anhaltenden Erschwernisse bei den internationalen Lieferketten und weit verbreitete Engpässe bei den Vorprodukten führen aber dazu, dass Unternehmen nicht die gesamte Nachfrage befriedigen können und die Erholung etwas ausgebremst wird. Gemäss der aktuellsten IHK-Unternehmensumfrage sind 67,9 % der Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe von Lieferengpässen betroffen. Bei 39,0 % ist mindestens eine Lieferkette ganz unterbrochen. Kurzfristig werden viele Unternehmen deshalb versuchen, ihr Lager aufzubauen. Dadurch könnten sich die Erschwernisse am Beschaffungsmarkt akzentuieren und weiter steigende Einkaufspreise könnten die Folge sein. Kurzfristig dürfte dies die Geschäftsergebnisse belasten.

Keine anhaltende Inflation erwartet

Die Entwicklung bezüglich der Einkaufspreise von den Unternehmen dürfte sich mittelfristig auch auf die Preisentwicklung einzelner Konsumgüter niederschlagen. Bei ­einigen Produkten ist der Preisanstieg bereits sichtbar. Deutliche Preisanstiege sind beispielweise bei Treib­stoffen (YTD: +15,6 %; YOY: +15,3 %), beim Heizöl (YTD: +14,4 %; YOY: +20,6 %), aber auch bei Gartenmöbeln (YTD: +10,0 %; YOY: +8,9 %) oder Kosmetik­artikeln (YTD: +5,2 %; YOY: +1,1 %) zu verzeichnen. Wir erwarten jedoch keine markante und anhaltende Inflation. Den aktuellen Preisanstieg interpretieren wir als Basiseffekt. Die aktuelle Teuerung fällt relativ hoch aus, da wir uns zuvor auf einem eher tiefen Niveau befanden.

Entspannung am Arbeitsmarkt

Die Verbesserung der Geschäftslage und die steigenden Auftragsbestände führten just auch zu einer Entspannung am Arbeitsmarkt. Deutlich weniger Unternehmen in der Kernregion Ostschweiz erachten ihren Personalbestand als hoch. Der Anteil der Betriebe in der Industrie und im Detailhandel mit einem zu hohen Personalbestand ist aber im schweizweiten Vergleich weiterhin leicht höher (siehe Infografik Branchenanalyse). Gleichzeitig akzentuiert sich der Fachkräftemangel. Bereits jetzt ist der Anteil der Unternehmen in der Industrie und im Baugewerbe, die von ­einem Fachkräftemangel betroffen sind, nur leicht unter dem Vorkrisenniveau. Trotzdem gilt zu beachten, dass nach wie vor verhältnismässig viele Arbeitnehmende von Kurzarbeit betroffen sind und dass ohne die Verlängerung der Maximalbezugsdauer von Kurzarbeitsentschädigungen die Situation am Arbeitsmarkt wahrscheinlich schlechter ausfallen würde. In diesem Kontext ist es deshalb umso erfreulicher, dass knapp 90 % der Unternehmen in der aktuellen IHK-Unternehmensumfrage angaben, dass gleich viele oder mehr Lehrabsolventinnen und Lehrabsolventen wie in den Vorjahren weiterbeschäftigt werden. Denn eine hohe Jugendarbeitslosigkeit hat nicht nur unmittelbare Konsequenzen für die finanzielle Lage und das psychische Befinden der Betroffenen, sondern zieht erhebliche Folgewirkungen im weiteren Berufsleben nach sich. So belegt die empirische Evidenz, dass Jugendarbeitslosigkeit zu einem persistenten Einkommensverlust führt, die Karrierechancen verringern kann und das Risiko von Arbeitslosigkeit in der Haupterwerbsphase erhöht.

Konjunkturindizes für die Kernregion Ostschweiz

Um auf schnelle, aber präzise Art und Weise ein systematisches Bild über die Verfassung der Ostschweizer Wirtschaft zu erhalten, sind gesamtwirtschaftliche Konjunkturindizes zentral. Zu diesem Zweck berechnet das Konjunkturboard Ostschweiz seit Januar 2021 zwei neue Indizes: Geschäftslageindikator und Stimmungsbarometer.

Der Geschäftslageindikator basiert auf monatlichen oder quartalsweisen Unternehmensbefragungen der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich zur aktuellen Einschätzung der Geschäftslage. Dabei geben die befragten Unternehmen ihre Einschätzung mit «gut», «befriedigend» oder «schlecht» an. Der Saldowert zwischen «gut» und «schlecht» – also die Differenz der Prozentanteile – widerspiegelt die aktuelle Geschäftslage. Je höher dieser ist, desto besser schätzen die Unternehmen die aktuelle Geschäftslage ein. Die Aggregation der branchenspezifischen Beurteilung der Geschäftslage ergibt den Geschäftslageindikator.

Das Stimmungsbarometer ist ein breit angelegter Indikator, der die Stimmung in Unternehmen und privaten Haushalten misst, und dient dazu, das BIP-Wachstum zu verfolgen. Ein Wert über 100 deutet auf eine überdurchschnittliche wirtschaftliche Einschätzung hin, während Werte unter 100 eine unterdurchschnittliche Einschätzung signalisieren. Das Stimmungsbarometer ist so standardisiert, dass es meistens zwischen 90 und 110 Punkten liegt.

Pandemie verursacht einen deutlichen Einbruch, Exportwirtschaft ist aber zuversichtlich

Die Kernregion Ostschweiz exportierte im Jahr 2020 Güter im Wert von rund CHF 14,9 Mrd. Dies entspricht einem Rückgang von rund 5,0 % gegenüber dem Vorjahr. In der MEM-Industrie, welche mit rund 70 % aller Exporte die wichtigste Exportbranche der Kernregion darstellt, war der Rückgang etwas weniger ausgeprägt (–3,9 %). Das bessere Abschneiden der MEM-Industrie ist dabei auf die Ausfuhren von Geräten der Sensorik, Elektronik und Datenverarbeitung zurückzuführen, welche im Jahr 2020 um CHF 217,0 Mio. (+13,9 %) auf CHF 1,8 Mrd. zulegen konnten. Andere Branchen wie der Maschinenbau (–7,1 %) oder die Metallerzeugung und -bearbeitung (–11,6 %) erlitten einen deutlichen Einbruch bei der Auslandnachfrage.

Für das Jahr 2021 wird wieder mit steigenden Exporten gerechnet. Mit Ausfuhren von knapp CHF 20 Mrd. pro Monat sind die Schweizer Exporte wieder über dem Vorkrisenniveau. Dabei ist die Erholung über alle Branchen hinweg sichtbar. Dass die Entwicklung in der Kernregion Ostschweiz ähnlich ausfallen dürfte, bestätigen unsere Konjunkturumfragen. Die befragten Unternehmen verzeichnen ein deutliches Wachstum bei den Auslandaufträgen und erwarten, dass sie in den kommenden Monaten mehr exportieren werden.

Die detaillierte Analyse zum Aussenhandel in der Kernregion Ostschweiz finden Sie unter www.ihk.ch/aussenhandel.

Die detaillierten Ergebnisse der aktuellen IHK-Unternehmensumfrage «Coronavirus und Ostschweizer Wirtschaft» finden sie hier