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Die softurbane Ostschweiz entwickelt sich

Aktualisierung der IHK-Zukunftsagenda Die softurbane Ostschweiz entwickelt sich

Markus Bänziger, IHK-Direktor

Seit der Präsentation der IHK-Zukunftsagenda im November 2018 wurden zahlreiche Schlüsselprojekte vorangetrieben und der Dialog mit regionalen Arbeitgeberverbänden sowie politischen Entscheiderinnen und Entscheidern gesucht. Das Resultat ist ein ­aktualisierter «Ziel- und Orientierungsrahmen für die Kernregion Ostschweiz».

Hatte die Schweiz zu Beginn des 19. Jahrhunderts etwas über drei Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, sind es heute 8,5. In der Stadt Zürich lebten vor gut hundert Jahren rund 150 000 Menschen, heute sind es fast dreimal so viel. In der Stadt St.Gallen wuchs die Bevölkerung im selben Zeitruam von 53 000 lediglich auf knapp 80 000. Die Wohnbevölkerung der Kernregion Ostschweiz (Kantone St.Gallen, Thurgau und beide Appenzell) entwickelte sich demgegenüber ähnlich moderat – von rund 430 000 auf knapp 850 000. Auch wenn Eingemeindungen, wie in Zürich, die Aussagekraft der Statistiken trüben, so ändert sich am Gesamtbild wenig: Die Bevölkerungsentwicklung der Ostschweiz hinkt jener der prosperierenden Wirtschaftsräume wie der Zürcher Metropole oder dem Arc Lémanique spürbar hinterher. Bevölkerungswachstum für sich allein ist weder Qualitätsmerkmal noch ein isoliert erstrebenswertes Ziel. Bevölkerungswachstum führt auch notwendigerweise zum kostenintensiven Ausbau der Infrastrukturen für Verkehr, Bildung, Gesundheit oder Alter – im Wohlfahrtsstaat muss die Öffentlichkeit sie bereitstellen. Um nun landesweit oder regional den Wohlstand zu steigern – und damit eng verbunden die Wohlfahrt –, ist Wirtschaftswachstum unabdingbar. Dabei soll nicht einseitig quantitatives Wirtschaftswachstum angestrebt werden, sondern zusehends qualitatives. Dazu braucht es einiges. 

Prosperität durch Attraktivität

Die Kernregion Ostschweiz blickt bezüglich Wirtschaftsstruktur auf erfolgreiche Jahrzehnte zurück: Sie ist breit diversifiziert, die Monokultur und die damit einhergehende Verletzbarkeit der Textilindustrie ist überwunden. Die Ostschweiz verfügt über einen überdurchschnittlich hohen Industrieanteil mit starker Exportorientierung und hoher Beschäftigungsdichte. Dennoch ist die Ostschweiz zur Finanzierung öffentlicher Infrastrukturen auf Mittel aus dem Nationalen Finanzausgleich (NFA) angewiesen – und damit abhängig von Bund und von wirtschaftsstarken Ballungszentren. Die Finanzhaushalte der Ostschweizer Kantone werden pro Einwohner und Jahr mit 775 bis 1006 Franken aus dem NFA gestützt. Der schweizerische Durchschnitt liegt bei 407 Franken. Es darf, ja es muss unsere Ambition sein, die wirtschaftliche Ressourcenbasis zu stärken und so mehr finanzielle Autonomie zu erlangen. Dazu braucht die Ostschweiz eine weitere Stärkung ihrer wirtschaftlichen Basis – ihrer Unternehmenslandschaft.

Softurbane Ostschweiz

Die Balance zwischen Bevölkerungswachstum und wirtschaftlicher Entwicklung mit starker Industriedichte und Exportorientierung machte die Ostschweiz zur einmaligen lebenswerten Region. Dazu gehören ein vielfältiger, intakter Lebensraum und ein äusserst attraktives, breites und modernes Jobangebot. Diese Verbindung zeichnet die Einzigartigkeit unserer Region aus. Eine durch Weltoffenheit, Zukunftsglauben und Veränderungsbereitschaft charakterisierte urbane Haltung und ein Lebensraum, der eine grössere Vielfalt zulässt als die Dichte städtischer Zentren. Die Ostschweiz ist softurban.

Zukunftsagenda als Zielrahmen

Die IHK St. Gallen-Appenzell präsentierte mit der IHK Thurgau im November 2018 eine Zukunftsagenda für die soft­urbane Ostschweiz. Mit Blick auf die vier wegweisenden Megatrends Globalisierung, Digitalisierung, Urbanisierung und gesellschaftlichen Wandel zeichnet die Zukunfts­agenda mit konkreten Schlüsselprojekten den Weg der Ostschweiz, um eine Vision zu verwirklichen: Die Kernregion Ostschweiz ist der bevorzugte Wohn- und Arbeitsort für die Menschen sowie bevorzugter Wirkungsort für Unternehmen.

Neuer Zielkorridor, neue Schlüsselprojekte

Die Vision bleibt mit der aktualisierten Zukunftsagenda unverändert. Die in Zielkorridore gruppierten Schlüsselprojekte hat die IHK aber in den letzten zwölf Monaten gemeinsam mit den regionalen Arbeitgeberverbänden überprüft, wo nötig angepasst, geschärft und neu auch hinsichtlich Entwicklungsstand bewertet.

Als siebter Zielkorridor ergänzte die IHK den Einsatz für eine umweltverträgliche Marktwirtschaft. Er ist seit Jahren in den Statuten verankert – und nun mit drei Schlüsselprojekten konkretisiert:

  • Das internationale Projekt Rhesi ist für den Schutz der leistungsfähigen dichten Industrielandschaft langfristig elementar.
  • Die Energieversorgungssicherheit muss gerade in der Umbauphase der Energieproduktions- und -versorgungslandschaft garantiert werden.
  • Insgesamt gilt es, auf Innovationskraft und marktwirtschaftliche Instrumente zu setzen.

Die Verkehrsinfrastruktur – Grundvoraussetzung für die Güter- und Personenmobilität – ist und bleibt ein zentraler Zielkorridor. Neu darin ist das Projekt S-Bahn FL.A.CH, um die dichten Pendlerströme im wirtschaftsstarken Dreiländereck Liechtenstein-Österreich-Schweiz zu verflüssigen.
Die Mobilitätsbedürfnisse verändern sich, die Dichte auf den Verkehrsachsen nimmt zu. Eine Antwort auf diese ­erhöhten Ansprüche an die Mobilitätskapazitäten geben sichere, unterbruchsfreie Schnellspuren für Fahrräder und E-Bikes: Fahrrad-Schnellwege, um den Pendlerverkehr in und um Wirtschaftszentren zu bewältigen, sind deshalb ein neues zentrales Schlüsselprojekt.
Als Grenzregion mit einem der höchsten Exportanteile der Schweizer Wirtschaft sind für die Ostschweiz gesicherte, möglichst hürdenfreie Marktzugänge lebens- und überlebenswichtig: Der Einsatz für freien Aussenhandel ist als eigentlicher Zweck der IHK deshalb auch ein neues zentrales Schlüsselprojekt auf unserer Zukunfts­agenda.

Konsequentes Verfolgen

Die vierzig Schlüsselprojekte sind in Wirtschaft, Bevölkerung und Politik weitgehend bekannt und initiiert. Der Umsetzungsstand ist jedoch sehr unterschiedlich. Einzelne Projekte sind noch in Konzeption, beispielsweise der Entwicklungsschwerpunkt Wil West. Andere sind in Planung und einige wenige bereits in Umsetzung. Um den Grad der Realisierung aufzuzeigen, sind die Schlüsselprojekte in der aktualisierten Zukunftsagenda in drei Kategorien gewertet:

  • dringender Handlungsbedarf 
  • Handlungsbedarf/entscheidungsreif 
  • in Umsetzung/fortlaufende Anpassung 

Die Vision der Ostschweiz als bevorzugter Wohnort und Arbeitsort für Menschen sowie Wirkungsort für Unternehmen ist nur erreichbar, wenn die grosse Mehrzahl der Schlüsselprojekte qualitativ hochstehend und effizient umgesetzt wird. Dafür braucht es ein konsequentes Verfolgen und Vorantreiben der vierzig Schlüsselprojekte der IHK-Zukunftsagenda – gemeinsam durch Wirtschaft, Politik und Bevölkerung. Der nun auf drei Kategorien ausgelegte Monitor unterstützt dieses Vorantreiben: Wir bleiben dran.

www.zukunftsagenda.ch

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