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Den Bilateralen droht die Erosion

Verhandlungsabbruch Rahmenabkommen Den Bilateralen droht die Erosion

26. Mai 2021 | Die IHK St.Gallen-Appenzell bedauert den Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU. Der bilaterale Weg und damit ein Wohlstandsgarant drohen damit zu erodieren. Die vom Bundesrat kommunizierten Ziele und Abfederungsmassnahmen sind zu begrüssen, ein klarer Plan fehlt aber.

Der Bundesrat hat heute die Verhandlungen über ein institutionelles Abkommen mit der EU (InstA) offiziell beendet. Zu gross waren offenbar die Differenzen in zentralen Bereichen. Auch die IHK St.Gallen-Appenzell hatte sich zur möglichen horizontalen Wirkung der Beihilferegelungen und zur Nichtausklammerung der Unionsbürgerrichtlinie kritisch geäussert – das InstA unter allen Alternativen aber als den zukunftsfähigsten Weg identifiziert. Dass die langjährigen Verhandlungen nun zu keinem erfolgreichen Abschluss gelangten, ist aus Sicht der Ostschweizer Wirtschaft deshalb äusserst bedauerlich.

Zugang zum EU-Binnenmarkt schwindet

Der Zugang zum EU-Binnenmarkt ist für die Ostschweizer Unternehmen entscheidend. Knapp zwei Drittel der Ostschweizer Exporte gehen in die EU. Bislang sichern die bilateralen Verträge diesen Zugang und damit auch Arbeitsplätze und Wohlstand. Sie werden aber nicht mehr aufdatiert und drohen zu erodieren. Ein Rahmenabkommen hätte den Weg für stabile Verhältnisse definieren sollen.

Vom Verhandlungsabbruch unmittelbar betroffen ist die Medizinalprodukte-Branche: Dem Abkommen über den Abbau technischer Handelshemmnisse (MRA) verweigert die EU die Aufdatierung, für Schweizer Unternehmen sind erhebliche Handelshürden zu erwarten. Dasselbe Schicksal droht weiteren Branchen. Neue sektorielle Abkommen wie beispielsweise im Strombereich oder der öffentlichen Gesundheit bleiben blockiert. Kooperationsabkommen wie Horizon Europe sind ebenfalls gefährdet. Die Auswirkungen für Forschung und Wirtschaft sind auf die lange Frist einschneidend. Der Bundesrat ist sich dieser Konsequenzen bewusst und hat Abfederungsmassnahmen entwickelt. Diese sind zu begrüssen, aber niemals einem Zugang zum Binnenmarkt gleichzustellen.

Ein überzeugender Plan fehlt, grosse Fragen bleiben bestehen

Der Bundesrat möchte deshalb die bilaterale Zusammenarbeit mit der EU richtigerweise fortführen. Hierzu strebt er einen «politischen Dialog für eine gemeinsame Agenda» an. Damit verfolgt er gemäss eigenen Angaben drei Ziele: Das bilaterale Vertragswerk soll erstens gesichert, zweitens wo nötig aktualisiert und drittens in die Zukunft geführt werden.

«Wir begrüssen diese grundsätzliche Stossrichtung, vermissen aber einen konkreten Plan», so IHK-Direktor Markus Bänziger. Die definierten Ziele seien seit Jahren weitgehend unverändert. Wie sie nun ohne einen institutionellen Rahmen erreicht werden sollen, bleibe unklar. «Der Verhandlungsabbruch schafft hier keine grundlegend neue Ausgangslage: Die Schweiz kommt nicht umhin, die grossen Fragen zum Verhältnis mit der EU zu klären», so Bänziger. Dazu gehören mitunter die Bedeutung des Marktzugangs, die Ausgestaltung einer notwendigen institutionalisierten Streitbeilegung, die Form der ohnehin stattfindenden Angleichung des Rechtsbestandes oder die Interpretation der gegenseitigen Personenfreizügigkeit – und damit letztlich die Ausgestaltung und das Mass der formellen gegenüber der faktischen Eigenständigkeit.

Bundesrat und InstA-Gegner in der Pflicht

Die Antworten auf diese Abwägungsfragen sind höchst anspruchsvoll. Es ist deshalb zu begrüssen, dass der Bundesrat seinen Entscheid zum Verhandlungsabbruch erst nach Konsultation der Kantone und den aussenpolitischen Kommissionen fällte. Zu lange hatte er dem wegweisenden Dossier aber die politische Aufmerksamkeit und die sachliche öffentliche Debatte verweigert.

Das Feld besetzten stattdessen laute Stimmen mit einseitigen Argumentationslinien. Diese Kreise haben bisher einzig auf die – unbestritten vorhandenen – Nachteile eines InstA hingewiesen, ohne aber valable Alternativen aufzuzeigen. Sie sind nun gefordert, sich konstruktiv in die Erarbeitung von Lösungen einzubringen, die das Verhältnis mit der EU langfristig sichern.

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