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Chronik eines traumatischen Leidenswegs

Geschichte der St. Galler Spitalpolitik Chronik eines traumatischen Leidenswegs

Michael Götte, Leiter kantonale Politik

Seit den 1990er-Jahren versucht die St. Galler Politik auf die Heraus­forderungen in der Spitallandschaft zu reagieren. Ein verheerendes Wahlversprechen, Investitionsmoratorien, regionalpolitischer Widerstand und neue nationale Rahmenbedingungen verunmöglichten bisher eine nachhaltige Lösung. Sie wird immer dringender und kostspieliger.

Die grundlegende Problematik und Herausforderung der vielen und teilweise sehr kleinen Spitäler wurde schon in den 1990er-Jahren erkannt. In der Spitalplanung 1995 wollte die Regierung mittelfristig die Spitäler Wattwil, Flawil und Altstätten schliessen. DIe Pläne wurden aufgrund starken regionalen Widerstands aufgegeben. Das gleiche Schicksal ereilte im November 1997 die Pläne zur Schliessung der Regionalspitäler Wil und Rorschach. 

Wahlschlappe mit Folgen

Mit der Neuorganisation «Quadriga II» wurden 2003 aus den neuen Spitälern vier Spital­unternehmen geschaffen, ohne die bestehenden Standorte anzutasten. Diese sollten in einer Netzwerkstrategie stärker zusammenarbeiten. Der damals neue Verwaltungsrat der Spitalverbunde plante dann, die Regio­nalspitäler Altstätten, Flawil und Wattwil zu schliessen. Gesundheitsdirektor Regierungsrat Anton Grüninger (CVP) unterstützte diese Vorschläge. Er trat 2004 aber nach einem schlechten Resultat im ersten Wahlgang der Regierungswahlen zurück. Seinen Platz in der St. Galler Regierung sicherte sich Heidi Hanselmann (SP). Sie wurde mit dem Wahlslogan «Ich schliesse keine Spitäler» gewählt. In der Folge blieben grössere Investitionsvorhaben aus.
Bis zur Klärung der langfristigen Strategie galt ein Moratorium für Investitionen bei Spitalbauten. Somit durften nur dringliche Erneuerungen vorgenommen werden, was zu einem eigentlichen Investitionsstau führte.

IHK legt visionär vor

Die bürgerlichen Parteien bemühten sich seit 2010 um eine neutrale Beurteilung der geplanten Bauvorlage – mit ihr war im Jahr 2013 zu rechnen. Noch bevor jedoch die Regierung ihre Bauvorhaben vorlegte, präsentierte die IHK St. Gallen-Appenzell mit «HFutura» im August 2013 eine eigene Strategie. Diese sah noch fünf Akutspitäler vor, bei einer Umwandlung von Altstätten, Flawil, Rorschach und Walenstadt in ambulante Gesundheitszen­tren. Im Rheintal sollte ein neues Rheintaler «Schwerpunktspital» auf der grünen Wiese gebaut werden, das bessere Betriebsabläufe, eine bessere Verkehrsanbindung und die Vermeidung von Störungen für den laufenden Betrieb gebracht hätte.

Die 800-Millionen-Bauchlandung

Im Oktober 2013 präsentierte die Regierung dann ihre Spitalvorlage als «Kantonsrats­beschlüsse über die Investitionen in die Infrastruktur der öffentlichen Spitäler». Sie umfasste fünf Investitionsvorhaben für die Spitäler St. Gallen, Altstätten, Grabs, Uznach und Wattwil und ein Investitionsvolumen von 805 Millionen Franken. Es war der erste Teil eines Erneuerungsprogramms – noch ohne Flawil, Rorschach, Walenstadt und Wil. Nach anfänglich kritischer Haltung aller bürger­lichen Parteien war schliesslich nur noch die SVP öffentlich gegen einzelne Bauvorlagen. Die fünf Vorhaben wurden 2014 vom Stimmvolk mit Ja-Anteilen zwischen 73 und 90 Prozent angenommen. In der Folge wurden die Neu- und Erweiterungsbauten in St. Gallen, Uznach und Wattwil in Angriff genommen.

Neue Ausgangslage

Ab 2012 änderten sich die Rahmenbedingungen aufgrund der neuen nationalen Spital­finanzierung: Der Verwaltungsrat der Spitalverbunde beschloss sodann einen vorläufigen Stopp für das durch Einsprachen verzögerte Vorhaben in Altstätten und für die zweite Phase von Wattwil. Er legte eine Neubeurteilung der Strategie vor. Der Bericht «Grobkonzept: Leistungs- und Strukturentwicklung der Spitalverbunde des Kantons St. Gallen» stellte im Mai 2018 die neue Ausgangslage vor und drei Varianten für die Weiterentwicklung der Spitalverbunde zur Diskussion – mit einem, zwei oder vier Standorten für die stationäre Leistungserbringung. In der favorisierten Vier-Standort-Strategie (Variante 3) würde die stationäre Leistungserbringung in St. Gallen (Endversorger), Grabs, Uznach und Wil konzentriert. Für Altstätten, Walenstadt, Wattwil, Flawil und Rorschach waren ambulante Gesundheitszentren vorgesehen. Die Regierung setzte einen Lenkungsausschuss ein – bestehend aus drei Regierungsräten und zwei Mitgliedern des Verwaltungsrats. Dieser erarbeitete in der Folge ein Detailkonzept als Grundlage für eine Vernehmlassungsvorlage. Das Detailkonzept entspricht weitgehend Variante 3 des Grobkonzepts – mit einzelnen Korrekturen und Ergänzungen.

Neue Botschaft bis Mai 2020

Bis Ende November 2019 beteiligten sich nebst den grossen Verbänden (darunter auch die IHK) und Parteien vor allem die regionalpolitischen Organisationen an der Vernehmlassung zur besagten Variante. Die Regierung ist aktuell dabei, die Vernehmlassungsantworten zu verarbeiten und wird in den nächsten Wochen eine finale Botschaft zuhanden des kantonalen Parlaments präsentieren. Eine bereits definierte Kantonsratskommission wird sich dann mit der Botschaft auseinandersetzen. Das Parlament wird diese Botschaft in einer ersten Lesung im April und anlässlich einer Sondersession im Mai in zweiter Lesung verabschieden.

Volksabstimmungen im Herbst

Das Stimmvolk wird aus heutiger Sicht im Herbst 2020 bei mindestens zwei Vorlagen vorerst das letzte Wort haben, nämlich bei folgenden Kantonsrats­beschlüssen:

  • Erhöhung des Eigenkapitals der Spitalregion Fürstenland-Toggenburg in Form einer Bareinlage und einer Umwandlung von Konto­korrentdarlehen über 35,2 Millionen Franken.
  • Gewährung von Beiträgen für regionale Vorhalteleistungen von ­jährlich 9,25 Millionen Franken für die Notfallversorgung

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