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Bröckelt das Bündnis zwischen Erwerbstätigen und Pensionierten?

Generationenvertrag Bröckelt das Bündnis zwischen Erwerbstätigen und Pensionierten?

Samira Ciraci Kommunikation IHK

Seit ihrer Einführung basiert die AHV auf dem Umlageverfahren. Faktisch besteht zwischen der arbeitenden und der pensionierten Bevölkerung ein Generationenvertrag. Ein solches System benötigt grosses Vertrauen zwischen den beiden Generationen: Junge Menschen zahlen heute Beiträge ein, im Vertrauen darauf, dass in einigen Jahrzehnten die folgenden Generationen immer noch dasselbe tun.

Aufgrund der tiefgreifenden Probleme in der AHV werden immer mehr Stimmen laut, dass diese Rechnung aufgrund des demografischen Wandels nicht mehr aufgeht. Die Gesellschaft altert, immer weniger Erwerbstätige stehen immer mehr Pensionierten gegenüber. Funktioniert da das altbewährte System, diese Solidarität zwischen Jung und Alt, noch? Haben jüngere Menschen, bei denen die Pensionierung noch in weiter Ferne steht, noch ebenjenes Vertrauen?

Die IHK St. Gallen-Appenzell hat Einwohnerinnen und Einwohner der Kernregion Ostschweiz zur Altersvorsorge befragt. Dabei wollten wir wissen, wie stark sich die Menschen mit dem Thema Altersvorsorge aus­einandersetzen, welcher Wissensstand vorliegt und wie sie den Generationenvertrag beurteilen.

Dominic Germann, 25, Mörschwil

«Die Altersvorsorge liegt in meinem Fall noch in ferner Zukunft. Trotzdem beschäftigt mich das Thema schon heute. So verunsichert mich die Ungewissheit über meine bezahlten und noch zu zahlenden Beiträge sehr. Diese Unsicherheit rührt einerseits daher, dass das Thema Altersvorsorge sowohl an der Kantonsschule als auch an der Universität höchstens oberflächlich thematisiert wird – wir lernen wenig über die Komponenten der Altersvorsorge, die verschiedenen Säulen oder wie ebendiese finanziert werden. Man ist gezwungen, sich die Informationen aus verschiedenen Quellen, wie zum Beispiel der Zeitung, zu beschaffen, um sich so eine Meinung zu dieser komplexen Thematik zu bilden.

Auf der anderen Seite stellt sich die grundsätzliche Frage, ob die heutige Generation von den geleisteten Beiträgen profitieren wird. Der Generationenvertrag hat meiner Meinung nach seine Grenzen erreicht. Es wird bewusst ein System finanziert, welches in seiner heutigen Form zukünftig nicht mehr tragbar sein wird und somit nicht nachhaltig ist. Damit die Altersvorsorge fair bleibt, soll gerade für junge Menschen endlich Transparenz darüber geschaffen werden, wie es in Zukunft mit der AHV weitergeht und in welcher Form diese existieren wird. Ausserdem sehe ich die Notwendigkeit einer Reform der zweiten Säule, da deren Mechanismus mit der aktuellen Umverteilung nicht sinnvoll ist.»

Alena Wick, 28, St. Gallen

«Die Altersvorsorge ist ein sehr wichtiges Thema, über welches sich auch junge Leute schon Gedanken machen sollten. Ich zahle seit einigen Jahren für meine Altersvorsorge in die Säule 3a ein. Zur AHV und Pensionskasse mache ich mir jedoch noch zu wenig Gedanken, da dies noch weit in der Ferne liegt. Trotzdem ist mir eine gute Absicherung im Alter wichtig. So achte ich zum Beispiel darauf, dass ich auf längeren Reisen trotzdem immer das Minimum in die AHV einbezahle, damit ich im Alter keine Nachteile durch eine Lücke habe. Vielen Menschen ist das aber nicht bewusst, was meiner Meinung nach damit zu tun hat, dass das tiefgehende Wissen über die spezifischen Mechanismen der Altersvorsorge in der breiten Bevölkerung relativ begrenzt ist. Daher würde ich es begrüssen, wenn das Thema in der Schule behandelt wird und man schon früh lernt, sich damit auseinanderzusetzen.

Der Generationenvertrag macht mir etwas Sorgen, da man gerade durch die Medien immer öfter hört, dass er nicht mehr haltbar sei, dass das Geld ausgehe. Dies verunsichert und frustriert mich, da ich im Moment Geld einbezahle, ohne jedoch zu wissen, ob ich im Alter selbst davon profitieren kann. Damit es für alle fair bleibt, müsste meiner Meinung nach der viel zu hohe Umwandlungssatz bei den Pensions­kassen angepasst werden.»

Marco Bienz, 24, Schwarzenbach

«Als junger Student muss ich zugeben, dass ich mir noch wenig Gedanken über meine persönliche Altersvorsorge mache, da sich in den nächsten 40 Jahren noch einiges ändern kann und wird. Trotzdem finde ich es wichtig, dass gerade junge Menschen über ein solides Wissen zur Altersvorsorge verfügen. Mein Wissen zum Thema erlangte ich an der Kantonsschule im Schwerpunktfach Wirtschaft sowie an der Universität St. Gallen, wo wir in einigen Fächern Berührungspunkte mit der Altersvorsorge hatten. Ich fände es aber gut, wenn das Thema auch in der breiten Bevölkerung stärker behandelt würde. Gerade Berufs- und Kantonsschüler sollten eine Einführung in das Thema erhalten oder als Alternative einen Flyer mit allen wichtigen Informationen zum 25. Geburtstag.

Die Frage nach der Rechtfertigung des Generationenvertrages ist meiner Meinung nach nicht einfach zu beantworten. Die Bevölkerung in der Schweiz hat sich seit der Einführung der AHV fast verdoppelt und sich demografisch verändert. Ich glaube nicht, dass die AHV in diesem Konzept überhaupt eingeführt worden wäre, wenn 1948 bereits die gleichen Umstände existiert hätten. Ausserdem ist die Altersvorsorge, wie fast jedes andere Thema, bei dem es um Geld geht, politisch heikel. Niemand will mehr zahlen oder weniger erhalten. Fair, aber politisch chancenlos wäre wohl ein bedingungsloses Grundeinkommen in Kombination mit individuellen Ersparnissen. Im jetzigen System könnte zum Beispiel die AHV-Beitragsquote der Vielverdiener erhöht werden, die so solidarisch die Niedrigverdiener unterstützen würden. Bis aber eine politisch mehrheitsfähige Lösung bereit ist, sollte alles darangesetzt werden, die AHV zu sanieren.»

Christine Bolt, 44, Abtwil

«In den Medien verfolge ich die politischen Diskussionen und Massnahmen zum Thema Altersvorsorge und kenne unser System relativ gut. Mir ist es wichtig, mein Wissen zum Thema aktuell zu halten, daher besuche ich auch politische Podiumsdiskussionen oder Events meiner Bank zum Thema. Um die erste Säule mache ich mir grosse Sorgen, meine zweite und dritte Säule pflege ich persönlich gut. Die Idee des Generationenvertrages finde ich nach wie vor gut, jedoch muss er aufgrund der demografischen Entwicklungen dringend weiterentwickelt werden – denn in der AHV fehlt Geld. Meiner Meinung nach müsste das Rentenalter schnellstmöglich erhöht werden, und jeder, der will und kann, soll so lange wie möglich arbeiten. Das geht nicht bei allen Berufen gleich gut, Chancen sehe ich in sogenannten «Regenbogenkarrieren» und langfristigen Personalentwicklungs­planungen von Unternehmen.

Wir haben eine sehr hohe Lebenserwartung und müssen dafür aufkommen. Unser Dreisäulensystem baut auf Solidarität und Eigenverantwortung, was ich gut finde. Auch die Umverteilung finde ich sehr wichtig, da leider nicht alle Menschen die Möglichkeit haben, viel zu verdienen und somit zu sparen. Für mich ist es zentral, dass jede und jeder, die /der kann, für sich und seine Zukunft Verantwortung übernimmt und dass das Wissen um die eigenen Möglichkeiten ausgebaut wird.»

Marc Tischhauser, 41, Gais

«Mich betrifft das Thema Altersvorsorge wie jeden Einwohner aktuell als Beitragszahler und in knapp 30 Jahren als Rentner. Ich plane meine Altersvorsorge vor allem über die zweite und dritte Säule, da ich dort eigenverantwortlich und auf meine Bedürfnisse zugeschnitten agieren kann. So befasse ich mich im Moment vor allem damit, wie ich ein möglichst grosses Altersvorsorgekapital anlegen kann. Die erste Säule sehe ich eher als Grundlage, damit jeder in der Pension ein minimales Einkommen hat. Mein Wissen zum Thema würde ich als gut bezeichnen; ich kenne die Grundlagen des Systems und die Möglichkeiten der verschiedenen Säulen. Dabei sind vor allem der Bund, meine Pensionskasse und meine Bank eine gute Informationsquelle.

Im aktuellen Ausmass ist der Generationenvertrag meiner Meinung nach sinnvoll und soll auch bestehen bleiben. Ich sehe dies als eine wichtige Grundlage unseres Sozialstaates, welche der Chancengleichheit und auch der (sozialen) Sicherheit dient. Ein weiterer Ausbau ist meiner Meinung nach nicht sinnvoll, da jeder Bürger auch eigenverantwortlich für sich handeln soll. Die AHV soll eine Versicherung sein und nicht mehr.

Nichtsdestotrotz braucht es aktuell leider wohl wirklich eine Finanzspritze, um Zeit für eine durchdachte Reform zu schaffen. Sinnvoll würde ich eine Angleichung des Rentenalters von Frauen und Männern finden sowie eine generelle Erhöhung des Rentenalters auf zum Beispiel 67 Jahre. Für körperlich sehr anstrengende Berufe sollten Lösungen gesucht werden, damit eine Arbeitstätigkeit bis zum Rentenalter möglich ist.»

Mirjam Santaguida, 37, Appenzell

«Bis zum Bezug der Altersvorsorge liegt noch ein langer Weg vor mir und wer weiss, wie sich die AHV bis zu diesem Zeitpunkt entwickeln wird. Daher finde ich es sehr wichtig, sich früh Gedanken zur Absicherung im Alter zu machen und die freiwillige Selbstvorsorge zu regeln. Dazu würde sicherlich auch ein verbessertes Wissen zur Thematik gerade bei jungen Leuten beitragen. So würde ich es begrüssen, wenn das Thema AHV sowie auch eine sonstige finanzielle Absicherung oder das Erstellen eines persönlichen Budgetplans in der Schule aufgenommen und im Rahmen der Allgemeinbildung behandelt werden würden.

Den Generationenvertrag finde ich wichtig, denn ohne ihn würde unser System nicht funktionieren – es basiert auf Geben und Nehmen. Genauso zentral sehe ich jedoch die Eigenverantwortung, die jede/r Einzelne mehr wahrnehmen muss, um sich fürs Alter abzusichern. Die Altersvorsorge wäre meiner Meinung nach fairer, wenn sie nicht nach dem Giesskannenprinzip ausgeschüttet werden würde. So müsste ab einer gewissen finanziellen Stufe der Verteilschlüssel zugunsten der Benachteiligten ausgelegt werden, sodass die Bevölkerung sich gegenseitig unterstützt.»

 

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