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Automobilmarkt im Umbruch

Sinkende deutsche Automobilproduktion als Herausforderung für die Ostschweiz Automobilmarkt im Umbruch

Dr. Frank Bodmer Leiter IHK-Research

Die etablierten Automobilproduzenten stehen vor grossen Herausforderungen. Neue Anbieter drängen auf den Automarkt, Verbrennungsmotoren stehen aus klima­politischen Gründen unter Druck, und die Digitalisierung verändert Fahrzeuge und Fahrgewohnheiten. Für Deutschland und die deutsche Automobilindustrie stellen diese Trends eine existenzielle Bedrohung dar. Zusätzlich kommen konjunkturelle Risiken hinzu. Mit den deutschen Autoproduzenten sind auch ihre Zulieferbetriebe aus der Ostschweiz gefordert.

Die europäische Konjunktur schwächelt. Die Wachstumsprognosen wurden kürzlich deutlich reduziert, und in einzelnen konjunktursensiblen Bereichen ist bereits ein Abschwung zu beobachten. Dies trifft unter anderem die Automobilbranche. 2018 stagnierten die Autoverkäufe in Europa, für 2019 wird sogar mit einem Rückgang gerechnet. Als Folge sanken die deutschen Autoexporte und etwas verzögert auch die Industrieproduktion. Dies hinterliess sichtbare Spuren bei den Ostschweizer Exporten.

Konjunkturelle Risiken

Politische Faktoren spielen bei der konjunkturellen Abschwächung eine wichtige Rolle. Die Unsicherheit rund um den Brexit bremst Investitionen und Ausgaben für langlebige Konsumgüter nicht nur in Grossbritannien, sondern auch auf dem Kontinent. Dazu kommt die Gefahr eines eskalierenden Handelskonflikts mit den USA. Speziell Deutschland mit seinem hohen Handelsbilanzüberschuss gegenüber den USA ist bedroht. Die USA zeichnet für immerhin 11,5% der deutschen Autoexporte verantwortlich. Höhere amerikanische Zölle würden die deutsche Automobilproduktion deshalb empfindlich treffen.

Umweltprobleme

Die deutsche Autoindustrie steht vor zusätzlichen Herausforderungen. Der Dieselskandal hat zwar nicht zum befürchteten Einbruch bei der Produktion geführt. Dieselmotoren haben aber trotzdem einen immer schwereren Stand. 2018 haben sie in Europa deutlich an Marktanteil eingebüsst, Benziner und alternative Antriebe konnten dagegen zulegen. Mit den verschärften CO2-Zielen sind die Benziner aber ebenfalls bedroht. Bei Elektroautos sind die technischen Herausforderungen zudem kleiner, weshalb neue Produzenten relativ einfach in den Markt einsteigen können. Das zeigt sich am Beispiel von Tesla, welches in wenigen Jahren zu einem wichtigen Player auf dem globalen Automarkt wurde.

Digitalisierung

Nebst neuen Motoren wird auch die Digitalisierung zur Umwälzung des Automarktes beitragen. «Vernetztes Fahren» heisst die Entwicklung, an deren Ende das autonome Fahren stehen dürfte. Bereits heute werden Autos mithilfe von Computern gesteuert. Die dabei entstehenden Daten werden in Zukunft vermehrt nicht nur in der Garage abgefragt, sondern direkt an Autoproduzenten und Dienstleister übermittelt. Diese können ihre Produkte und ihren Service optimieren und individuell Leistungen anbieten, so wie das Amazon und andere Internethändler bereits heute machen. Eine Anwendung, welche von der Digitalisierung stark profitieren wird, ist das Carsharing. Mit laufend übermittelten Informationen zu Standort und Reiseweg wird sich das Potenzial von Carsharing deutlich erhöhen. Carsharing reduziert aber die Zahl der benötigten Fahrzeuge, was zu einer reduzierten Nachfrage führen könnte. Europäische Autobauer stehen in diesem Bereich zudem amerikanischen und chinesischen Konkurrenten gegenüber, welche sich im IT-Bereich auf ein sehr viel innovativeres Umfeld verlassen können.

Globale Verschiebungen

Die Verschiebungen zu neuen Anbietern sind in der ­Automobilindustrie nichts Neues. Aktuell ist China mit pro Jahr knapp 30 Millionen produzierten Autos klar führend, gefolgt von den USA mit rund 11 Millionen und Japan mit rund 9 Millionen. An vierter Stelle folgt Deutschland mit 5,6 Millionen, Indien mit 4,8 Millionen bereits an fünfter Stelle. Während sich Deutschland bisher gut behaupten konnte, mussten die beiden anderen traditionellen Autoproduzenten Europas, Italien und Frankreich, einen starken Rückgang hinnehmen. Ob Deutschland seine Bedeutung als Produzent auch in Zukunft halten kann, wird unter anderem von der Antwort der deutschen Autobauer auf Elektrifizierung und Digitalisierung abhängen. Da viele Ostschweizer Firmen aus den Bereichen Metalle, Maschinen, Präzisionsinstrumente, Kunststoff und Textilien die deutsche Automobilindustrie beliefern, wird diese Antwort für den Werkplatz Ostschweiz ebenfalls von grosser Bedeutung sein.

Auswirkungen auf Ostschweizer Exporte

Die Ostschweizer Autozulieferer stammen zwar nicht alle aus der Metallbranche.¹ Bei den Exporten dürften die Metalle allerdings den grössten Teil ausmachen. Das zeigt sich nicht zuletzt an der zeitlichen Entwicklung. Vergleicht man die Metallexporte der Ostschweiz mit den Automobilexporten Deutschlands, zeigt sich eine sehr ähnliche Entwicklung (siehe Abbildung). Beide mussten 2009 einen sehr starken Rückgang verkraften, von dem sie sich bis 2010 wieder erholten, zumindest falls die Ostschweizer Exporte in Euro gerechnet werden. Die Ostschweizer Exporte litten aber sichtlich unter der Frankenstärke, welche 2012 und 2015 deutliche Spuren hinterliess. Sehr ähnlich verlief die Entwicklung dann wieder im Jahr 2018, mit ­einem kumulierten Verlust von jeweils rund 10%. Zu Beginn dieses Jahres stabiliserten sich sowohl die Ostschweizer Metallexporte als auch die deutschen Metallexporte.

Unsichere Aussichten

In Bezug auf die weitere Entwicklung besteht eine erhebliche Unsicherheit. Es ist denkbar, dass es sich beim aktuellen Exportabschwung um ein vorübergehendes Phänomen handelt, welches sich im Laufe von 2019 wieder korrigiert. Möglicherweise handelt es sich aber auch um die ersten Anzeichen einer Rezession. Die Verluste der deutschen Autoindustrie könnten zudem struktureller Natur und Folgen der neuen Trends sein. Der Marktanteilsverlust von Dieselfahrzeugen ist für die deutsche Automobil­industrie auf jeden Fall ein Problem. Die Schweizer Zulieferer müssen sich ebenfalls auf diese Trends einstellen. Zwar entstehen neue Geschäftsmöglichkeiten in Form von neuen Produkten und Märkten. Ein Bedeutungsverlust der deutschen Automobilindustrie wäre für die Ostschweizer Industrie trotzdem nur schwer zu kompensieren.


¹    Anja Schulze, Automobilindustrie Schweiz. Branchenanalyse 2018/19, swiss Center for Automotive Research (swiss CAR), Universität Zürich

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