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«Wer sich nicht bewegt, wird bewegt»

Interview mit dem abtretenden IHK-Direktor Kurt Weigelt «Wer sich nicht bewegt, wird bewegt»

Robert Stadler, stv. Direktor IHK St.Gallen-Appenzell

Seit 2007 leitet Kurt Weigelt als Direktor die Geschicke der IHK St.Gallen-Appenzell. In dieser Zeit hat die IHK mit ihrer Grundlagenarbeit immer wieder für Aufmerksamkeit gesorgt. Zuvor war der Stadt-St. Galler bereits zehn Jahre Vorstandsmitglied des Wirtschaftsverbandes. Per Ende Oktober 2018 räumt er nun sein Büro im «Haus zum Engelskopf» und übergibt die Führung der IHK an Markus Bänziger. Zeit für einen kurzen persönlichen Rückblick.

Kurt Weigelt, Ende Oktober übergeben Sie Ihre Funktion als IHK-Direktor an Markus Bänziger. Wie fühlen Sie sich?

Kurt Weigelt: Mir geht es bestens. Ich hatte während knapp zwölf Jahren die Chance, meine wissenschaftliche Ausbildung und meine unternehmerischen Erfahrungen in Themen einzubringen, die mich sehr interessieren. Ein Privileg, für das ich dankbar bin. Und ich freue mich auf einen neuen Lebensabschnitt.

Sie gelten als Provokateur. Sehen Sie sich auch so?

Es überrascht mich immer wieder, was bei uns alles als Provokation gilt. Nach meiner persönlichen Beurteilung forderten wir die offizielle Politik nicht in erster Linie mit unseren Vorschlägen heraus. Provoziert hat vielmehr die Konsequenz, mit der wir auch unangenehme Fakten präsentierten und Fehlentwicklungen thematisierten. Beides ist im politischen Tagesgeschäft nicht vorgesehen. Und provoziert hat wohl auch unsere Unabhängigkeit. Politische und mediale Seilschaften interessierten mich nie. Immer ging es um die Sache.

Wo sehen Sie heute die grössten Herausforderungen?

Ich bin überzeugt, dass es uns nicht gelingen wird, mit den Institutionen des 19. Jahrhunderts und den Prozessen des 20. Jahrhunderts die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu bewältigen. Wir stehen am Anfang einer durch die Digitalisierung angetriebenen Zeitwende. Dabei wissen wir nicht, wohin die Reise geht. Und trotzdem müssen wir uns auf den Weg machen.

Welche Rolle kann die IHK St.Gallen-Appenzell dabei spielen?

Eine wichtige. Im Gegensatz zur Parteipolitik denken wir nicht an die nächsten Wahlen. Wir haben die Chance, längerfristige Veränderungen anzusprechen und Themen aufzugreifen, die kurzfristig keine politische Rendite versprechen.

Was bedeutet diese gesellschaftliche Dynamik für die IHK als Organisation?

Auch ein Wirtschaftsverband wie die IHK wird sich fundamental verändern müssen. Die traditionelle Verhandlungsdemokratie hat ausgedient. Wir müssen neue Wege finden, unsere Positionen mehrheitsfähig zu machen. Nicht weniger herausgefordert sind wir im Beziehungsmanagement. Aussergewöhnliche Präsenzveranstaltungen wird es auch in Zukunft geben. Im Tagesgeschäft aber sehe ich eine Entwicklung in Richtung von geschlossenen sozialen Netzwerken. Es wird spannend.

Ist die IHK in der Lage, diesen Wandel im Interesse ihrer Mitgliedunternehmen zu bewältigen?

Ja. In den vergangenen Jahren erledigten wir unsere Hausaufgaben. Unsere beiden historischen Liegenschaften sind renoviert, die internen Strukturen mit der Verselbständigung des Textilmuseums und der Église française bereinigt. Unsere Organisation, unsere Dienstleistungen und unsere Grundlagen­arbeit stehen personell und inhaltlich auf einem guten Fundament. Dies alles haben wir erreicht, ohne die Mitgliederbeiträge und unsere Gebühren zu erhöhen. Darauf sind wir stolz. Unsere Nachfolger können sich voll und ganz auf die Herausforderungen der Zukunft konzentrieren.

In Ihren Publikationen blicken Sie immer sehr optimistisch in die Zukunft, sprechen von Entgrenzung, von Vielfalt und den Chancen der Digitalisierung. In der Politik erleben wir jedoch genau das Gegenteil. Die Zeichen der Zeit stehen auf Abschottung, quer durch alle Parteien setzt man auf na­tio­nale Parolen.

Die Geschichte lehrt uns, dass auf jede Revolution der Versuch einer Restauration folgt. Der kulturelle Wandel lässt sich jedoch nicht aufhalten. Die Frage ist nicht ob, sondern wann und zu welchem Preis wir uns den Spielregeln der nächsten Gesellschaft entsprechend verändern. Wer sich nicht bewegt, wird bewegt.

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