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«Ppalli ppalli» – schneller als das Coronavirus

Blick nach Südkorea «Ppalli ppalli» – schneller als das Coronavirus

Sung-Mi Wirth

Südkorea gilt als Musterschüler im Kampf gegen das Coronavirus. Mit der Erfahrung vergangener Epidemien hielt es die Sterberate tief und vermied bislang einen Lockdown. Was macht der ostasiatische Staat anders als die Europäer?

Vergleicht man die Corona-Statistiken zwischen der Schweiz und Südkorea, ergeben sich frappante Unterschiede: Mitte Mai hatte Südkorea mit seinen über fünfzig Millionen Einwohnern rund 11 000 bestätigte Corona-Fälle – und 263 gemeldete Todesfälle. Das ergibt eine Sterberate von rund 2,4 Prozent. Im internationalen Vergleich ist dies sehr tief. Die Schweiz kam bis zum selben Zeitpunkt mit ihren 8,5 Millionen Einwohnern auf rund 30 500 positive Covid-19-Fälle, 1880 Personen starben. Das ergibt eine Sterberate von über 6 Prozent. Woher rühren die tiefen Werte für Südkorea – zumal sich das Land punkto Alterspyramide kaum von den westlichen Staaten unterscheidet?
 

Testen, testen, testen

Ein Hauptgrund für den bisher erfolgreichen Umgang mit dem Coronavirus liegt im raschen Handeln. Die Koreaner setzten die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wie kaum ein anderes Land um. Sie testeten bis zum 18. Mai mehr als 750 000 Menschen auf Covid-19. Dazu wurden ganz nach koreanischer Kultur – «Ppalli ppalli» (umgangssprachlich für «schnell, schnell») – sehr rasch Testkits entwickelt und im Eilverfahren zugelassen. So produzierten bereits rund eine Woche nach dem ersten koreanischen Todesfall sechs koreanische Unternehmen diese Testkits – innerhalb von zwei Wochen mehr als 100 000 pro Tag. Die Koreaner zeigten sich bei deren Einsatz innovativ. Inspiriert von amerikanischen
Nahrungsmittel-Ketten wie McDonalds wurden kurzerhand «Drivethrough-Teststationen» aufgestellt. Diese bewährten sich, da das Testen schneller und bequemer geht und die Ansteckungsgefahr reduziert wird. Die Idee wurde im Verlauf der Pandemie von anderen Ländern übernommen. Der Staat sorgte zudem dafür, dass die Leute wenig bezahlen mussten. Er übernimmt Test- und Spitalaufenthaltskosten in der Regel vollständig.
 

Tracing

Ein weiterer wichtiger Mosaikstein ist die durchgängige Rückverfolgung positiver Fälle. Die Mitarbeiter der Gesundheitsbehörden versuchen jede Person ausfindig zu machen, die mit einer erkrankten Person Kontakt hatte. Auch wenn die kompetitive Arbeitskultur in Korea kontrovers diskutiert wird; in diesem Fall ist sie hilfreich. Sie erlaubt der Regierung, Infektionsketten nachzuverfolgen, Personen in Quarantäne zu setzen und Orte zu sperren, die Infizierte in den letzten zwei Wochen besuchten. Die Koreaner konnten sich über verschiedene Wege über den Verlauf der Ansteckungen informieren: So wurden die Bürger via SMS über neue Infektionsfälle in der eigenen Umgebung gewarnt. Es gibt zahlreiche freiwillige Smartphone-Apps, die Fälle visualisieren und alarmieren. Auch in Korea gab es Kritik von Datenschützern, obwohl die Daten anonymisiert wurden. Doch Koreanern schien es prioritär, das Ansteckungsrisiko zu reduzieren.
 

Erfahrung mit Epidemien

Zwischen Mitte Mai und Mitte Dezember 2015 erkrankten in Südkorea gemäss WHO 186 Personen an MERS, einem Virus aus der Familie der Coronaviren. 38 Personen verstarben. Die Koreaner sind sich an Präventionsmassnahmen wie Social Distancing und Hygienemassnahmen gewohnt und setzen diese diszipliniert um. Atemschutzmasken gehören in Städten wie Seoul zur Tagesordnung, nicht zuletzt wegen der Luftqualität.
 

Ohne Lockdown durch die Krise

Der disziplinierte Umgang mit dem Corona-Erreger ermöglichte der Regierung, auf drastische Massnahmen wie Ausgangssperren oder einen Lockdown der Wirtschaft zu verzichten. Einzig Kindergärten, Schulen und Universitäten blieben weitestgehend geschlossen, öffneten aber um den 20. Mai 2020 wieder schrittweise.

Da Exporte über 40 Prozent des Bruttoinlandproduktes ausmachen, ist auch Südkoreas Wirtschaft negativ von der weltweiten Corona-Krise betroffen. Die Regierung verabschiedete ein Konjunkturpaket von rund 200 Milliarden Franken. Es beinhaltet unter anderem die Förderung kleiner und mittelständischer Betriebe. Ausserdem erhielten alle Koreaner pro Haushalt zwischen 300 und 800 Franken aus der staatlichen Katastrophenhilfe.

 

Wahlen in der Corona-Krise

Mitte April und somit mitten in der Corona-Krise wählte Korea sein Parlament. Da die Koreaner keine brieflichen Abstimmungen und Wahlen kennen, mussten sie bei den Wahllokalen strikte Hygienevorschriften befolgen. Der relativ glimpfliche Ausgang des Corona-Pandemie führte mit 66,2 Prozent zur höchsten Wahlbeteiligung seit 28 Jahren und einem Sieg der Partei des amtierenden Präsidenten.


Sung-Mi Wirth ist Südkoreanerin. Sie studierte Soziologie an der Seoul National University und arbeitete anschliessend sieben Jahre als Journalistin bei der renommierten koreanischen Tageszeitung Dong-A Ilbo in verschiedenen Ressorts. Seit fünf Jahren wohnt Sung-Mi Wirth mit ihrer Familie in der Ostschweiz.

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