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«Mit Zweckbindungen streuen wir uns selber Sand in die Augen»

SNB-Gewinne für die AHV? «Mit Zweckbindungen streuen wir uns selber Sand in die Augen»

Reto Föllmi, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen.

Jan Riss wissenschaftlicher Mitarbeiter IHK

Die AHV mit den Gewinnen der Nationalbank sanieren: Diese Idee erscheint verlockend. Reto Föllmi, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen, erklärt im Interview, weshalb damit mehr Probleme geschaffen als gelöst werden.

Herr Föllmi, machen Sie sich Sorgen um Ihre AHV-Rente?

Ich habe keine schlaflosen Nächte, aber in meinem Alter muss ich davon ausgehen, dass ich sie nicht schon mit 65 Jahren beziehen kann.

 

Damit sind Sie nicht alleine. Gemäss Sorgen­barometer der Credit Suisse sind die AHV und die Altersvorsorge allgemein seit drei Jahren die Hauptsorge der Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger.

Der Handlungsbedarf bei der Altersvorsorge ist wohl für alle offensichtlich. Wir werden immer älter und das bisherige Leistungsniveau ist nicht nachhaltig. Zu wenig Arbeitnehmende müssen für mehr Rentner bezahlen und das Reallohnwachstum wird eher tiefer als bisher ausfallen. Zudem können die Renten der 2. Säule nur mit zu tiefen Verzinsungen der Einzahlungen der Arbeitnehmenden, also einer Umverteilung von Jung zu Alt, finanziert werden. In der 1. und 2. Säule treten in regelmässigen Abständen grössere Lücken auf, die notdürftig durch Er­höhungen von Mehrwertsteuern, Lohnbeiträgen oder durch Sanierungsbeiträge von Arbeitgebern und -nehmern finanziert werden.

 

Die AHV läuft auch mit STAF und AHV21 mittel- bis längerfristig auf ein strukturelles Defizit hinaus. Welchen grundlegenden Reformbedarf sehen Sie?

Die Altersvorsorge hängt von drei Stellschrauben ab: Beiträge der Versicherten, Rentenhöhe und Rentenalter. Bei den Beiträgen über Lohnprozente und Steuern wurde die Schraube schon angezogen und eine Senkung der moderaten AHV-Renten würde zu einem beträchtlichen Teil nur zu mehr Ergänzungsleistungen führen. Ich sehe die Lösung darum in einem höheren oder mindestens stärker gegen oben flexibilisierten Rentenalter. Das hätte den positiven Nebeneffekt, dass die Beschäftigungschancen von älteren Arbeitnehmenden steigen. Heute hat ein 60-Jähriger einen Zeithorizont von maximal fünf Jahren auf dem Arbeitsmarkt, dann lohnt sich für eine Firma weniger, in die Weiterbildung zu investieren.

 

Diese Vorschläge mögen die AHV zwar nachhaltig auf solide Beine stellen, sind für Herrn und Frau Schweizer aber schmerzhaft. Könnte die AHV nicht stattdessen mit den Gewinnen der Schweizerischen Nationalbank (SNB) saniert werden, wie dies nationale Parlamentarierinnen und Parlamentarier von beiden Seiten des politischen Spektrums bereits verschiedentlich gefordert haben?

Das wäre nur eine Weiterführung der Pflästerlipolitik und würde die AHV nur für ein paar Jahre stützen, wenig später stünden wir vor demselben Scherbenhaufen. Durch die weiter verzögerten Reformen werden viele geburtenstarke Jahrgänge in Pension gehen.

 

Ein ähnlicher Vorschlag lautet, 500 der insgesamt rund 800 Milliarden Franken an SNB-Währungs­reserven in einen Fonds auszulagern, dessen Erträge vollumfänglich der AHV zugutekämen. Ergeben sich hier dieselben Probleme?

Eine solche Auslagerung ist dasselbe wie eine überhöhte Sondergewinnausschüttung der SNB. Die Währungsreserven sind nicht gottgegeben, sondern durch Devisenmarktkäufe entstanden. Will die SNB die Währungsreserven in Zukunft zurückfahren, reduzieren sich auch die Erträge daraus. Eine verstetigte Ausschüttung an ein Sozialwerk setzt darum die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik aufs Spiel. Ausserdem streuen wir uns mit Zweckbindungen der SNB-Gewinne selber Sand in die Augen: Politische Wünsche aller Art erscheinen «gratis», die wahren Kosten werden verschleiert und Reformen auf die lange Bank geschoben. Das kann nicht im Interesse von uns allen sein.

 

Mit ihrer Negativzinspolitik ist die SNB aber mitverantwortlich für das Defizit in der 1. Säule. Könnten nicht die erhobenen Negativzinsen der AHV zugewiesen werden?

Das wäre wiederum eine Gewinnausschüttung mit pro­blematischer Zweckbindung. Und ohnehin, wo ziehen wir die Grenze? Gerade die 2. Säule hat schon stark durch die tieferen Zinsen gelitten, als sie noch positiv waren. Konsequenterweise müssten die Sozialwerke dann auch dafür entschädigt werden. Das wäre aber uferlos und übertüncht wiederum das zugrundeliegende Problem: Der Umwandlungssatz in der 2. Säule ist politisch festgesetzt und zu hoch. Nicht einmal die tiefere Inflation, die ja mit tieferen Zinsen verbunden ist, wurde berücksichtigt.

 

Gemäss Verfassung hat die SNB den Gesamt­interessen des Landes zu dienen. Dieser Auftrag wäre mit der Sicherung der AHV doch voll­umfänglich erfüllt.

Dem widerspreche ich eben entschieden. Wenn wir Sozialwerke über die Geldpolitik quersubventionieren, ist deren Preis für die Politik und die Stimmbürger nicht mehr sichtbar und Reformen werden verschleppt, obwohl die demografische Entwicklung so klar ist. Dies schadet der Schweiz langfristig.

Die SNB hat die Geldpolitik unabhängig zu führen, mit einer Zweckbindung ist diese massiv gefährdet. Die Stabilität der Wirtschaftspolitik und die Verlässlichkeit ihrer Geld- und Fiskalpolitik ist ein wesentlicher Standortvorteil der Schweiz, das sollten wir nicht aufs Spiel setzen.

 

Anfang Jahr schätzten UBS-Analysten das mittelfristige Gewinnpotenzial der SNB auf durchschnittlich knapp 10 Milliarden Franken pro Jahr. Dies liegt deutlich über den jährlichen Gewinnausschüttungen an Bund und Kantone von rund zwei Milliarden Franken. Zum Abschluss deshalb die Frage: Was soll mit diesem «überschüssigen» Geld passieren?

Das «überschüssige» Geld muss mittelfristig ausgeschüttet werden. Diese Summe muss an eine möglichst breite Gruppe gehen, die nicht im politischen Prozess instrumentalisierbar ist und durch direkte Forderungen die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik unterminiert. Weil die SNB ein Teil der öffentlichen Hand ist, liegt eine Ausschüttung direkt an die steuerzahlenden Haushalte und Firmen nahe, das ist die breitestmögliche Gruppe und verhindert, dass Partikularinteressen bedient werden. Eine Mehrausschüttung könnte so ausgestaltet werden: Auf den Mehrwertsteuern oder einfacher auf den Einkommens- und Gewinnsteuern wird ex post aufgrund der Ausschüttung ein Steuerrabatt gewährt. Die Steuern sind natürlich unterschiedlich progressiv. Um die Verteilungswirkungen klein zu halten, ist darum anzustreben, dass die Rabatte dem relativen Anteil der Einnahmen aus den verschiedenen Steuern entsprechen.

 

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