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«Die Digitalisierung wird Berufe komplett verändern»

Im Gespräch: Bruno Müller, neuer Leiter Amt für Berufsbildung im Kanton St.Gallen «Die Digitalisierung wird Berufe komplett verändern»

Robert Stadler, Stv. Direktor / Leiter Kommunikation IHK

Das Amt für Berufsbildung des Kantons St.Gallen hat mit Bruno Müller seit Kurzem einen neuen Leiter. IHKfacts unterhielt sich mit ihm über seinen eigenen Werdegang, die Bedeutung des dualen Bildungssystems, seinen Wechsel aus der Wirtschaft in die Kantonsverwaltung und die IT-Bildungsoffensive. Nicht zuletzt aufgrund seines beruflichen Hintergrundes haben die Herausforderungen durch die ­Digitalisierung für Müller eine hohe Prioriät.

Seit 1. September sind Sie Leiter des Amtes für Berufsbildung des Kantons St.Gallen. Wie sind Ihre ersten Wochen am neuen Arbeitsplatz abgelaufen?

Bruno Müller: Es ist eine Zeit des sich Einarbeitens. Ich darf zurzeit alle Berufsschulen und Laufbahnberatungsstellen besuchen und viele Gespräche führen, damit ich den Puls direkt fühlen kann.

Ihre Karriere starteten Sie mit einer Berufslehre als Elektromonteur.

Zum Vorwegnehmen: Ich habe nie eine Karriereplanung gemacht mit der fixen Idee, zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Deshalb erfolgte mein Werdegang vielleicht auch etwas weniger grad­linig als bei anderen. Begonnen habe ich mit einer Lehre als «Stromer» beim Elektrizitätswerk in Schmerikon, einem kleinen und regionalen Betrieb. Dort habe ich sehr viele Freiheiten und damit Chancen erhalten. So gab mir der Lehrmeister im dritten Lehrjahr den Auftrag, für einen Kunden eine Küche zu planen und von A bis Z umzusetzen. Das war ein tolles Projekt für einen so Jungen und so habe ich das duale Berufsbildungssystem kennengelernt.

Aber es blieb dann nicht beim Lehrabschluss. Bitte erzählen Sie von Ihrem weiteren Werdegang.

Auch heute gehe ich ab und zu gerne «stromern». Das Handwerk gibt mir bis heute noch Befriedigung. Zudem weiss ich, was es bedeutet, bei Wind und Schnee auf einer Baustelle zu arbeiten.
Gleichzeitig wurde mir klar, dass ich nicht bis zur Pensionierung Elektroinstallationen machen möchte. Meine Motivation war immer zu verstehen, wie etwas funktioniert. Ansonsten kann man sich in einem Team nicht einbringen. Dieses Interesse führte dann zu meinen weiteren Stationen und meinen Weiterbildungen. Das war auch zuletzt bei Swisscom so, wo ich für den Bereich Billing Services verantwortlich war. Dort begegnete ich vielen IT-Themen, die aber in einem Controlling- respektive Finanzbereich angesiedelt waren. Da wurde es mir schnell klar, dass ich nicht mit fünf Controllern am Tisch sitzen kann, ohne zu verstehen, wovon sie sprechen. Eine Ausbildung ist ein Fundament, auf der man aufbauen kann und muss. Ein toller theoretischer Background nützt wenig, wenn man ihn nicht in der Realität anwendet.

Von aussen betrachtet ist der Schritt von der Swisscom zum Amt für Berufsbildung nicht der naheliegendste. Die kantonale Verwaltung ist Neuland für Sie. Was reizte Sie an der Aufgabe?

Die Berufsentwicklung ist grundsätzlich ein nationales Thema. Schliesslich sollte der Elektromonteur in St.Gallen mehr oder weniger gleich arbeiten wie derjenige in Bern. Und auf nationaler Branchenebene habe ich mich bereits vorher für die Berufsbildung engagiert. Bei der Swisscom konnte ich für den ICT-Verband Berufsbilder entwickeln. Zudem habe ich Prüfungen geschrieben und mündliche Prüfungen abgenommen. So gesehen ist der Schritt zum Amt für Berufsbildung eine Fortsetzung meines bisherigen Werdeganges.

Sie erwähnten, dass Sie sich im ICT-Verband engagiert haben. Welchen Bezug haben Sie zu Informatik-Themen?

Nach meiner Lehre habe ich Hochspannungs- und Energietechnik studiert, dann fünf Jahre bei ABB gearbeitet. Bei ABB habe ich weltweit Hochspannungs-Schaltanlagen gebaut, einige Jahre schwergewichtig in Südostasien. Schutz- und Sicherheitsthemen waren bereits damals zentral. Dabei stellte sich zum Beispiel die Frage, ob eine Anlage zentral oder dezentral gesteuert werden soll. Damals kam ich zum ersten Mal mit der IT in Berührung.
Dann packte mich die Lust, die andere Seite zu sehen. So kam ich zur Swisscom und dem damaligen Sicherheitsnetz Infranet, dem Alarm für die Blaulichtorganisationen wie Feuerwehr oder Polizei. Später erfolgte dann der interne Wechsel in den Finanzbereich, als ich die Billing-Einheit übernahm, die ich zehn Jahre prägen durfte.

Das duale Berufsbildungssystem der Schweiz geniesst einen exzellenten Ruf. Da besteht die Gefahr, dass man sich auf dem Erreichten ausruht.

Wir stehen da als Nation, die über eine starke Berufsbildung verfügt. Darauf können wir stolz sein. In einem solchen Fall besteht aber tatsächlich das Risiko, dass man sich sagt «Never change a running horse». Ich bin aber überzeugt, dass man mit Veränderungen dann beginnen muss, wenn man eigentlich denkt, dass man nichts verändern sollte. Ein Change-Prozess startet nicht dann, wenn es schon brennt, sondern viel früher. Man muss dafür sensibilisieren, dass sich die Welt bewegt und Veränderungen notwendig sind – auch in der Berufsbildung.

Die Regierung schlägt für den Kanton St.Gallen Veränderungen vor: Sie möchte die Zuständigkeiten zwischen den Berufsfachschulkommissionen und dem Amt für Berufsbildung klären. Was erhoffen Sie sich davon?

Zuerst muss die Vorlage noch durch den Kantonsrat. Aber das Ziel ist eine Führung durch eine Hand. Übergreifende Themen wie die Schulentwicklung können mit der neuen Struktur gemeinsam angegangen werden. Die Erfahrungen und guten Beispiele der einzelnen Schulen können dadurch besser für andere Schulen genutzt und ihnen zugänglich gemacht werden.

Zurück zur Informatik: Welche Bedeutung hat die Digitalisierung für die ­Arbeitswelt?

Während Erfindungen wie die Eisenbahn der Industrialisierung einen Schub gaben, geht es heute bei der Digitalisierung vor allem um Veränderung bei den Dienstleistungen. Ein kleines Beispiel sind Handschrift- oder Spracherkennungssoftware: Man spricht in den Computer und es kommt ein geschriebener Text heraus.

Aber gerade solche Entwicklungen dürften zum Beispiel auf die künftige KV-Lehre grosse Auswirkungen haben.

Ja, das KV, aber auch andere Berufe werden sich komplett verändern, aber in eine ganz spannende Richtung. Wir möchten alles tun, um die positiven Beispiele und Erfahrungen von Projekten wie «ClassUnlimited» von Bühler und dem Weiterbildungszentrum Wil-Uzwil voranzutreiben und im ganzen Kanton nutzbar zu machen.
Deshalb erachte ich auch die vorgeschlagene IT-Bildungsoffensive, die bald ins Parlament kommt, als ausgezeichnete Sache.

Aber in der Vernehmlassungsvorlage zur IT-Bildungsoffensive fehlte die Berufsbildung ...

Die Veränderungen durch die Informatik betreffen uns alle tagtäglich. Auch sehr gute Fachleute benötigen ein schulisches Fundament, weil sie sich mit der Digitalisierung auseinandersetzen müssen. IT-Themen sollen deshalb schon sehr früh in den Schulstoff eingebaut werden. Aus meiner Sicht ist daher die explizite Erwähnung der PHSG korrekt. Und die Berufsbildung ist via pädagogische Hochschule durchaus vertreten. Aber selbstverständlich begrüsse ich es, wenn auch die Berufsbildung in der IT-Bildungsoffensive explizit erwähnt wird.

Angesichts der von Ihnen beschriebenen Bedeutung der Digitalisierung wirkt die kantonale IT-Bildungsoffensive mit Kosten von ungefähr 75 Mil­lionen Franken geradezu bescheiden, vor allem wenn man mit anderen Ausgaben beim Kanton vergleicht.

Ja und nein. Grundsätzlich erachte ich 75 Millionen Franken als sehr viel Geld. Es heisst ja nicht, dass jedes Element der IT-Bildungsangebote für den Nutzer gratis sein muss. Eine kantonale Bildungsoffensive kann aber weitere Steine ins Rollen bringen. Die Initiative muss nicht nur vom Kanton und dem Steuerzahler kommen, sondern kann auch durch Private weitergeführt und verstärkt werden. Letztlich ist es doch so: Die Digitalisierung ist ein Fakt, egal ob die IT-Bildungsoffensive angenommen wird oder nicht. Die Frage ist einfach, ob wir für die Veränderungen genügend gut vorbereitet sind.

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