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Weichenstellung für die Schweiz – und für uns

Wahlen im Zeichen der IHK-Zukunftsagenda Weichenstellung für die Schweiz – und für uns

Markus Bänziger, IHK-Direktor

Am 20. Oktober wählt die Schweiz ein neues Parlament. Demnächst werden wieder Hunderte Politikerinnen und Politiker um unsere Gunst weibeln und verschiedene Erfolgsrezepte für die Schweiz bewerben. Die Industrie- und Handelskammern St. Gallen-Appenzell und Thurgau haben das Erfolgsrezept für die Ostschweiz bereits entdeckt und in der IHK-Zukunftsagenda komprimiert. Damit die Rahmenbedingungen für die Umsetzung der IHK-Zukunftsagenda geschaffen werden, brauchen wir jedoch starke Vertreterinnen und Vertreter in Bundesbern.

Wieso wir Bern brauchen

Die Realisierung der Schlüsselprojekte liegt einerseits in den Händen der Wirtschaft und der Unternehmen, andererseits in der Eigenverantwortung jedes und jeder Einzelnen. So ist es an den Unternehmen und ihren Mitarbeitenden, sinnvolle Lösungen für eine bessere Vereinbarkeit von Privat­leben und Beruf zu finden; sei es durch flexible und individuelle Arbeitsmodelle oder individuell angepasste Lösungen. Auch der lokalen und regionalen Politik obliegt eine Verantwortung – sie muss ihren Spielraum nutzen, um die Rahmenbedingungen für einen attraktiven Lebens- und Wirtschaftsraum zu gewährleisten. Dazu gehören zum Beispiel die Stärkung der Universität St. Gallen im Bereich Infor­matik, attraktive Unternehmenssteuern oder die Organisation der Spitäler. Dank der föderalen Struktur der Schweiz können sich die Kantone mehrheitlich selbst organisieren. Dennoch stossen die Kantone in zentralen Bereichen an ihre Grenzen, da sie an die Gesetzgebung von Bundesbern gebunden sind. Ohne Bundesbern geht es nicht. Die nationale Politik ist wegweisend in zentralen Bereichen wie der Innovation, Verkehrsinfrastruktur und Unterstützung des gesellschaftlichen Wandels. Ohne gesunden Menschenverstand und ohne wirkmächtige Entscheidungsträger in Bern können weder Unternehmerinnen oder Unternehmer noch die lokale und regionale Politik ihre Verantwortung wahrnehmen. Die Wählerinnen und Wähler stellen somit im Herbst nicht nur die Weichen für die Schweiz, sondern vor allem auch für die Ostschweiz.

Damit die Ostschweiz ihre Attraktivität als Wohn-, Arbeits- und Unternehmensstandort nicht nur behält, sondern weiter steigern kann, sind in Bundesbern zwei Faktoren entscheidend: Wir brauchen einerseits Politikerinnen und Politiker, die sich in der Zukunftsagenda wiederfinden und diese als Wegweiser in die Zukunft sehen. Andererseits müssen die Ostschweizer Mitglieder der kleinen und grossen Kammer die Anliegen der Region mit geeinter Stimme vertreten. In der Vergangenheit sind aufgrund von Verteilkämpfen innerhalb der Ostschweizer Kantone viel zu oft andere Regionen als lachende Dritte vom Platz gegangen. Darum brauchen wir zukünftig Politikerinnen und Politiker, die sich als Mitglieder des «Teams Ostschweiz» sehen und erst sekundär als Vertreterinnen oder Vertretrer der einzelnen Kantone. Im Vordergrund darf nicht das Trennende, sondern muss das Verbindende stehen – und was uns alle verbindet, ist der Wunsch nach einer geeinten, stärkeren und gedeihenden Ostschweiz.

Was wir uns von Bern erhoffen

Ob wir die Lücken in den Ostschweizer Reihen künftig schliessen können, wird sich nach den Gesamterneuerungswahlen im Oktober zeigen. Dies vor allem bei jenen Schlüsselprojekten, in denen wir auf die nationale Politik angewiesen sind. Die IHK St. Gallen-Appenzell sieht in fünf spezifischen Themenfeldern Handlungsbedarf:

  • Für ein innovationsfreundliches Umfeld braucht es renommierte Forschungsinstitutionen. Aus diesem Grund ist die Eidgenössische Materialprüfungsanstalt (Empa) nicht mehr aus dem St. Galler Stadtbild wegzudenken. Die Industrie ist im Kanton St. Gallen für rund 35 Prozent der Wirtschaftskraft verantwortlich und liegt damit gut 10 Prozentpunkte über dem nationalen Mittel. Die Empa ist hier von zentraler Bedeutung, um die «Hidden Champions» der Region in der Entwicklung und Qualitätsprüfung ihrer Produkte zu unterstützen. Diese Erfolgsstory gilt es fortzuführen. Mit dem geplanten Innovationspark Ost soll die Wirtschaft noch besser mit der Wissenschaft vernetzt werden.
  • Die Ausgestaltung der Sozialwerke hält der demografischen Entwicklung nicht mehr stand und berücksichtigt die veränderten Bedürfnisse nicht mehr ausreichend. Vor allem in der ersten und zweiten Säule der Altersvorsorge müssen wirkungsvolle Reformen entwickelt und verabschiedet werden. Die STAF-Vorlage verschafft der AHV vorläufig etwas Luft, ihr strukturelles Problem wurde jedoch nicht gelöst: Die erfreulich steigende Lebenserwartung führt in beiden Vorsorgewerken zu einer massgeblich längeren Leistungsphase und damit zu einer finanziellen Überlastung. Die Sparphase der Einzelnen reicht nicht mehr aus, um die Zehrphase zu finanzieren. Die Renteneintrittsalter sind zu starr und zu tief. Auch in der zweiten Säule ist eine gesamtheitliche und nachhaltige Revision des BVG inklusive einer Senkung des Umwandlungssatzes für eine nachhaltige Sicherung des Rentensystems unumgänglich.
  • Die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf ist für die IHK St. Gallen-Appenzell von zentraler Bedeutung. Unternehmen sollen zusammen mit ihren Mitarbeitenden Lösungen entwickeln und die Vereinbarkeit durch individuelle Arbeitsmodelle, Teilzeit oder Home-Office vereinfachen. Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf jedoch gesamtheitlich anzugehen, braucht es eine Liberalisierung und Flexibilisierung des Arbeitsgesetzes. Dieses datiert im Wesentlichen aus dem Jahre 1964 und muss endlich an die gesellschaftliche Realität angepasst werden. Dazu zählt unter anderem die Ablösung von Wochenhöchstarbeitszeiten durch Jahreshöchstarbeitszeiten.
  • Auch das Steuerrecht bedarf einer strukturellen Revision. Viele Kantone haben die Individualbesteuerung bereits für sich entdeckt. Die nationale Gesetzgebung fördert jedoch nach wie vor das Familienmodell des männlichen Alleinernährers von anno 1950. Das ist nicht mehr zeitgemäss und erschwert oder blockiert gar den Wiedereinstieg von Frauen. So verschärft sich der Fachkräftemangel zusätzlich – vor allem in der Ostschweiz, welche aufgrund der demografischen Struktur besonders vom Fachkräftemangel betroffen sein wird. Deshalb muss eine Revision des Steuerrechts hin zur Individualbe­steuerung und zur Bekämpfung des Fachkräftemangels sowie zur Unterstützung des gesellschaftlichen Wandels auf die Agenda der nationalen Politik.
  • Mobilität ist für die Prosperität des Wirtschaftsraums zentral und für die Individuen ungebrochen attraktiv – schliesslich wollen wir im wahrsten Sinne des Wortes nicht abgehängt werden. Die Zukunftsagenda enthält primär Projekte zu Verkehrsverbindungen innerhalb der Ostschweiz, aber auch zur Einbindung der Ostschweiz in die nationale und internationale Verkehrsinfrastruktur. Die Bewältigung der Herausforderungen der Mobilität ist politisch heikles Terrain, die Bundesmittel sind hart umkämpft. Ob bei Bahn oder Strasse, die Verteilkämpfe und Rivalitäten zwischen den Ostschweizer Kantonen und zwischen einzelnen Regionen offenbaren sich bei Verkehrsprojekten mit langjährigem Horizont und hohem Projekt- und Finanzierungsaufwand am deutlichsten. Hier muss ein besseres Verständnis für die Kernregion Ostschweiz geschaffen werden, damit die Anstrengungen besser koordiniert werden und die Ostschweiz ihre Interessen gebündelt gegen aussen vertreten kann. Auf den ersten Blick mögen Projekte wie die Bodensee-Thurtal-Strasse (BTS) oder die Oberlandstrasse (OLS) einer Appenzellerin wenig nützen. Aber sie verhelfen der ganzen Region zu mehr Lebensqualität und Wachstumschancen – und vor allem sind es kleine Schritte zu einem besseren Verständnis der Kernregion Ostschweiz als eine Einheit. Zudem: Ein Kanton kann nicht mehr für seine Anliegen allein kämpfen, er braucht Verbündete.

Wie wir in Bern mitbestimmen können

Die Wählerinnen und Wähler können mit ihrer Wahl am 20. Oktober mitbestimmen, in welche Richtung sich unsere Region – unser ganzes Land – in Zukunft entwickeln wird. Insgesamt werden die Kantone der Kernregion Ostschweiz zwanzig Nationalrätinnen und -räte sowie sechs Ständerätinnen und -räte nach Bundesbern entsenden. In anderen Worten: Jedes zehnte Parlamentsmitglied entstammt der Kernregion Ostschweiz und wird sich für unsere Interessen in Bern starkmachen. Mit einer geeinten Stimme und einer gemeinsamen Vision für unsere Region können die Wählerinnen und Wähler unsere Zukunft massgeblich gestalten und beeinflussen. Die IHK-Zukunfts­agenda soll bei der Entscheidung unterstützen und auf­zeigen, in welchen Themenfeldern wir Handlungsbedarf in Bundesbern benötigen. So gelingt es, die passenden Kandidierenden für Bundesbern zu wählen und die Ostschweiz noch besser zu machen, als sie ohnehin schon ist.

 

www.zukunftsagenda.ch

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