Rückblick IHK Business Outlook «Schweiz – EU: Woher? Wohin?» Rahmenabkommen: Wie weiter?
In den vergangenen Wochen intensivierten sich die Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU über ein institutionelles Rahmenabkommen (InstA). Gleichzeitig ist viel Bewegung in die Schweizer Diskussion über die europapolitische Weichenstellung gekommen: Ist eine Einigung beim InstA noch möglich, und wäre ein solches Abkommen für die Schweiz wünschenswert?
Im Rahmen des «IHK Business Outlooks» diskutierte IHK-Direktor Markus Bänziger am Mittwochabend, 28. April, mit Politikwissenschaftler Christoph Frei, Unternehmerin Andrea Berlinger sowie Europarechtsexperte Matthias Oesch über das Rahmenabkommen, und allgemein über die Rolle der Schweiz in Europa.
Autonomie als Schweizer Lebenslüge
Christoph Frei, Professor für Politikwissenschaften an der Universität St.Gallen, ordnete dabei in seinem Referat die heutige europapolitische Diskussion in einen breiteren Kontext ein:
«Es ist eine Illusion, dass die Schweiz den Binnenmarktzugang unter Beibehaltung maximaler Autonomie erreichen kann.»
Bereits heute sei über die Hälfte des Schweizer Rechtsbestands auf internationales Recht zurückzuführen – der Handel, seit jeher Wohlstandstreiber der Schweiz, führt umgekehrt zu einer grossen Abhängigkeit vom Ausland. «Bei der Diskussion um das Rahmenabkommen geht es nicht um Souveränitätsverlust, sondern darum, sich einzugestehen, dass dieser längst Tatsache ist», so Frei weiter.
Schleichende Erosion der Bilateralen
Matthias Oesch, Professor für öffentliches Recht, Europarecht und Wirtschaftsvölkerrecht an der Universität Zürich, erachtet das Rahmenabkommen als Preis für den Schweizer Binnenmarktzugang: «Das Rahmenabkommen ist ein bedeutender Integrationsschritt, insbesondere wegen der dynamischen Rechtsübernahme», so Oesch. Die EU habe jedoch klar gemacht, dass sie die institutionellen Fragen geklärt haben will. Daran würde auch eine Verhandlungspause wenig ändern:
«Ein Interimsabkommen würde der Schweiz durchaus Zeit verschaffen, was immer wertvoll ist. Aber man kommt nicht umhin, die grossen, aktuell auch im institutionellen Abkommen diskutierten Fragen zu klären.»
Ein Beharren auf dem Status Quo würde zu einer Erosion der Bilateralen und damit zu zunehmenden Problemen im rechtlichen Verhältnis Schweiz-EU führen, so Oesch weiter.
Marktzugang zentral für Ostschweizer Exportwirtschaft
Konkret spürbar würde dieser schleichende Bedeutungsverlust der Bilateralen bereits diesen Mai, wenn Produktvorschriften in der Medizinaltechnik von der EU aktualisiert werden. Schweizer Produkte könnten ohne Lösung beim Rahmenabkommen dann nicht mehr ohne Weiteres in die EU exportiert werden. Dies erläuterte Andrea Berlinger, Verwaltungsratspräsidentin und Eigentümerin der Berlinger Group. Das Medtech-Unternehmen aus Ganterschwil erwirtschaftet fast den gesamten Umsatz mit Exporten:
«Wenn man exportieren will, ist es essenziell, dass die Produkte denselben Spielregeln unterliegen.»
Für Kunden aus der EU wäre es mit einem grossen Mehraufwand verbunden, wenn Schweizer Produkte davon abweichen – entsprechend würden sie auf andere Anbieter ausweichen, so Berlinger. Oder: «Bis anhin war immer klar, dass der europäische Markt aus der Schweiz bedient wird. Ohne Binnenmarktzugang wäre dies in Frage gestellt.»
IHK steht hinter Abkommen
Für IHK-Direktor Markus Bänziger zeigte der Austausch einmal mehr die Bedeutung von geregelten Beziehungen zur EU: «Die IHK hat sich nach einem umfassenden Positionierungsprozess bereits im vergangenen Herbst entschieden, das Rahmenabkommen insgesamt zu unterstützen», betont Bänziger den Standpunkt der IHK. Nun, da die Diskussion um das InstA wieder Fahrt aufnimmt, sei es umso wichtiger, auch die Konsequenzen von gescheiterten Verhandlungen aufzuzeigen. «Auch für die IHK ist nicht alles am Abkommen ideal – aber am Ende ist klar, dass mit dem Binnenmarktzugang sehr viel auf dem Spiel steht», so Bänziger weiter.
IHK-Vademecum zum Rahmenabkommen