Sie sind hier

«Die Ostschweiz als Vorreiterin der modernen Arbeitskultur»

IHKtalk@HSG «Die Ostschweiz als Vorreiterin der modernen Arbeitskultur»

06. Dezember 2021 | Welche Bedeutung haben Vertrauen und Verantwortung für Mitarbeitende? Zu diesem Thema tauschten sich Prof. Dr. Antoinette Weibel, Professorin für Personalmanagement an der HSG, und Roger Dudler, CEO und Gründer von Frontify sowie IHK-Vorstandsmitglied, beim letzten IHKtalk@HSG im Jahr 2021 unter der Moderation von IHK-Direktor Markus Bänziger aus.

Für Frontify sucht Roger Dudler Mitarbeitende, die mitdenken und sich einbringen, weil sie mit Überzeugung hinter dem Unternehmen stehen. Genau diese Mitarbeitenden konnte das Unternehmen mit seiner kontroversen Werbung im Jahr 2018 mit dem Slogan «the lowest salary in town» anwerben. Auf diese Anzeige meldeten sich Personen, die neugierig seien und die Dinge hinterfragen, meint Dudler. Auch in Zukunft wolle Frontify nicht ein Unternehmen sein, dass mit besonders hoher Entlöhnung lockt.

HSG-Professorin Antoinette Weibel bringt ihren Mitarbeitenden sehr viel Vertrauen entgegen. Vertrauen hat für Weibel zwei ganz konkrete Vorteile. Einerseits sei es die Tatsache, dass Vertrauen Kosten spart. Die Kosten für Compliance seien in den vergangenen Jahren stark angestiegen, weil das Vertrauen leidet. Gibt es im Unternehmen kein Vertrauen, müsse dieses durch viele kostspielige Kontrollmechanismen ersetzt werden. Andererseits sichere ein vertrauensvolles Umfeld auch qualifizierte Arbeitskräfte. Das sei besonders angesichts des sich verstärkenden Fachkräftemangels wichtig. Es zeichne sich eine zunehmende Resignation bei den Arbeitnehmenden ab, so Antoinette Weibel. Die Bereitschaft, eine sichere Stelle aufzugeben, werde immer grösser. Weibel nennt dies die «YOLO (You Only Live Once)-Welle».

Veraltete Menschenbilder hindern das Vertrauen

Trotz massgeblicher Vorteile fällt es auch heute noch vielen Führungskräften schwer, ihren Mitarbeitenden zu vertrauen. Dudler sieht hier seinen Vorteil darin, dass sein Unternehmen schon von Beginn an modern aufgebaut war. Besonders seinen ältesten Mitarbeitenden musste er Vertrauen schenken und Verantwortung übertragen, weil sie auch seiner Vision grosses Vertrauen schenkten und einen Teil des Risikos trugen. Gründe, warum dies in älteren, traditionellen Unternehmen schwieriger ist, seien vielfach altmodische, streng ökonomische Menschenbilder, die den Menschen sehr negativ einschätzen. Diese müssen erst losgelassen werden, bevor überhaupt in Betracht gezogen wird, einen Teil der Verantwortung zu delegieren. Ein weiterer Faktor sei die Angst davor, etwas zu verändern, woraus negative Konsequenzen entstehen könnten. Roger Dudler ist daher der Meinung, dass Vertrauen von oben kommen muss. Denn es muss deutlich werden, dass auf einen Fehler keine Bestrafung folgt. Antoinette Weibel konkretisiert, dass besonders in grösseren Unternehmen auch bereits das mittlere Management genügend Handlungsspielraum habe, um eine Veränderung zu bewirken.

«Auch ein Ponyhof braucht einen Zaun»

«Auch ein Ponyhof braucht einen Zaun», so beschreibt Weibel die Leitplanken, die es im Unternehmen braucht, damit sich alle daran orientieren können und wissen, wo es hingehen soll. Dudler ist aus diesem Grund überzeugt, dass es in jedem Unternehmen Hierarchien braucht. Als Führungskraft ist eine grosse Aufgabe das «enabling» der Mitarbeitenden aber eben auch, die wiederholte Neupositionierung der Leitplanken, damit letztlich auch das gewünschte Ziel erreicht wird. Verschiedene hierarchische Ebenen braucht es ausserdem, weil die Leitung nur ein Team aus maximal acht Personen kompetent führen könne. Wenn die Zeit fehlt, wird die Begleitung, durch Rankings und dergleichen ersetzt, aus Angst die Leistung würde nachlassen. Es wollen und brauchen auch keineswegs alle Mitarbeitenden die gleiche Führung.

Kulturelle Unterschiede in der Vertrauensbeziehung

Durch den zweiten Standort von Frontify in New York erlebt Roger Dudler die Unterschiede zwischen den Arbeitskulturen und zwischen seinen Mitarbeitenden in der Schweiz und in den USA. Die DACH Region habe ein stärkeres Verantwortungsbewusstsein der Unternehmer und eine stärkere Vertrauenskultur. Seine Mitarbeitenden in den USA muss Dudler auf ganz andere Art und Weise anwerben. In der Schweiz sei es möglich, Mitarbeitende durch eine gemeinsame Vision zu begeistern. In den USA brauche es konkrete Versprechen von Beförderungen und Boni, auch weil die Konkurrenz viel grösser sei. Weibel erkennt darin grundlegende kulturelle Unterschiede. Die «WE-Society», das Gemeinschaftsgefühl, dass in der Schweiz und in Europa mehrheitlich vorherrsche, habe sich in den USA in eine «I-Society» gewandelt. Das verlange nach strikteren Regeln.

Die Bedeutung des «Purpose» für die Mitarbeitenden

Unsere Fähigkeit, in Organisationen zusammenzuarbeiten, ist für Weibel eine der grössten menschlichen Errungenschaften. Aber oft organisieren wir uns für die falschen Zwecke. Sich vermehrt auf den Mehrwert für die Gesellschaft zu fokussieren sei nicht nur eine Strategie, um gute Mitarbeitende anzulocken, sondern auch eine Pflicht. «Wir sollten zurückkommen zum ehrbaren Kaufmann», meint Weibel. Auch vielen Führungskräften könnte es helfen, sich darauf zu besinnen, was denn ihr eigentlicher «Purpose» ist.

Frontify versuchte zu messen, ob die Mitarbeitenden eine Sinnhaftigkeit in ihrer Tätigkeit verspüren und ob sich diese über die Zeit verändert. Der «Purpose» der Mitarbeitenden ist sehr «People»-fokussiert. Die Untersuchung ergab, dass die Beziehung zu den anderen Mitarbeitenden und das allgemeine Arbeitsklima besonders wichtig sind. Frontify hat versucht, diese Aspekte in die Mission des Unternehmens aufzunehmen. «Wir wollen jetzt die Mitarbeitenden unserer Kunden befähigen anstelle des Unternehmens, und damit kann sich mein Team viel besser identifizieren.»

Dudler sieht für die Ostschweiz eine Chance, Vorreiterin der modernen Arbeitskultur zu werden. Diese Chance müsse genutzt werden.

Hier den kompletten IHKtalk@HSG anschauen: 

Diese Beiträge könnten
Sie ebenfalls interessieren: