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«Bereinigung der Strukturen dauert Generationen»

REGIO Appenzell AR-St.Gallen-Bodensee «Bereinigung der Strukturen dauert Generationen»

Robert Stadler, Stv. Direktor / Leiter Kommunikation IHK

Nebst Gemeinden und Kantonen werden zur Erfüllung bestimmter Aufgaben fallweise zusätzliche überregionale Organisationen geschaffen wie die REGIO Appenzell AR-St.Gallen-Bodensee. Geschäftsführer Rolf Geiger und Vizepräsident Michael Götte geben Auskunft über die Aufgaben der REGIO im Verbund der kleinteiligen Gemeindelandschaft, das Agglomerationsprogramm des Bundes und die Idee einer Metropolitanregion.

Hauptaufgabe der REGIO Appenzell AR-St.Gallen-Bodensee (REGIO) ist die Geschäftsführung des Agglomerationsprogrammes St.Gallen-Bodensee. Ziel ist es wohl, Gelder aus dem Infrastrukturfonds des Bundes zu beschaffen?

Geiger: Das ist so. Wir konnten in der 1. und 2. Generation je rund 80 Mio. Franken Bundesgelder für unsere Region mobilisieren. Wir sind damit eines der erfolgreichsten Programme der Schweiz, auch was die Umsetzung betrifft. Aktuell liegt die 3. Generation zur Prüfung beim Bund. Da geht es unter anderem um die Mitfinanzierung des Autobahnanschlusses Rorschach oder die Drehscheibe Bahnhof Herisau. Insgesamt sind dies rund 90 Massnahmen und Investitionskosten von 380 Millionen Franken.

In der REGIO sind 4 Kantone und 47 Gemeinden vertreten. Hier treffen zum Teil ganz unterschiedliche Interessen aufeinander. Nehmen wir das Beispiel der geplanten Pförtneranlagen vor den Toren der Stadt St.Gallen: Damit soll eine Überlastung der Strassen verhindert werden. Gleichzeitig bedeutet das, dass Pendler aus Nachbargemeinden behindert werden, in die Stadt zu kommen. Wie gehen Sie mit solchen Interessenskonflikten um?

Geiger: Das sind nur vordergründig Interessenskonflikte. Der Verkehr wächst in der Agglomeration weiter. Der Befreiungsschlag in Form von mehr Kapazitäten durch neue Infrastrukturen, wie die 3. Röhre für die Stadtautobahn St.Gallen, werden erst in 15–20 Jahren realisiert. Mit Verkehrsmanagement kann die bestehende Infrastruktur intelligenter genutzt und der Verkehrsfluss möglichst lange auf dem heutigen Niveau gehalten werden. Das kommt allen zugute. Was nützt es dem Pendler der Aussengemeinden, wenn sich die Stausituation verschärft und auch seine Buslinie nicht mehr durchkommt?

Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden (und Kantonen) ganz allgemein?

Götte: Vereinzelt spielen nach wie vor die Gemeinde-«Egoismen». Das Verständnis für die Zusammenhänge und gegenseitige Abhängigkeiten im sogenannten Funktionalraum ist heute aber viel stärker als noch vor 10–15 Jahren. Man ist sich durchaus bewusst, dass man im selben Boot sitzt und viele Herausforderungen nur gemeinsam anpacken kann. Insbesondere kleine Gemeinden können heute nicht mehr allen komplexen Ansprüchen gerecht werden, wenn sie sich konsequent für einen Alleingang entscheiden. Nichtsdestotrotz wird die gesetzlich verankerte Gemeindeautonomie hochgehalten.

Geiger: Unser grosser Vorteil ist, dass wir bei den Gemeinden und Kantonen auf allen Hierarchiestufen agieren können und das über die Kantonsgrenzen hinweg. Wir haben somit eine Art Schmiermittelfunktion im institutionellen Räderwerk.

Mit der Schaffung der REGIO wurden ihr wichtige Aufgaben übertragen. Gleichzeitig ist festzustellen, dass immer wieder neue, überregionale Strukturen geschaffen werden, ohne dass aber bestehende Strukturen aufgelöst würden. Weshalb ist das so?

Geiger: Die Schaffung von überregionalen Strukturen ist Ausdruck eines Bedürfnisses und einer Notwendigkeit, über die herkömmlichen kleinräumigen Strukturen hinweg zusammenzuspannen – und deshalb positiv zu werten. Gleichzeitig dauert die Bereinigung herkömmlicher Strukturen zum Teil über Generationen hinweg. Das führt zwischenzeitlich zu mehr Unübersichtlichkeit.

Götte: Die politischen Gremien neigen dazu, nur thematisch zusammenzuarbeiten. Es gibt leider fast kein Gremium, das eine grundsätzliche Zusammenarbeit im Fokus hat. Die REGIO hat diese Legitimation, weil sie Politik und Wirtschaft vereint.

Widerstand gegen Strukturbereinigungen regt sich insbesondere dann, wenn die Beteiligten in ihren bisherigen Kompetenzen beschnitten werden. Wo liegt aus Ihrer Sicht der Hebel für Zusammenschlüsse – ohne einfach zusätzliche Strukturen zu schaffen?

Götte: Die finanziellen Anreize respektive das weitere Reduzieren dieser sind wahrscheinlich am effektivsten. Somit ist es aber auch schwierig, finanzstarke Gemeinden zur Zusammenarbeit zu zwingen, wenn diese keinen individuellen Vorteil erkennen.

Eine weitere Aufgabe ist die Geschäftsführung von WIRTSCHAFT St.Gallen-Bodensee – ein Zusammenschluss aus regionalen Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden. Was sind die Ziele? Sollen die Unternehmen bei einem weiteren Verband Mitglied werden?

Geiger: Wir haben festgestellt, dass es bei der Wirtschaft, genauso wie bei der Politik, eine sehr vielfältige und zum Teil kleinräumige Verbandslandschaft gibt. Es sind um die 50 Arbeitgeber-, Wirtschafts- oder Gewerbeverbände in ein und derselben Wirtschafts­region tätig, deren Präsidenten sich zum Teil kaum kennen. Diese Verbände haben zusammen mehrere Hundert Vorstandsmitglieder!

Ziel ist eine schlagkräftige, zukunftsfähige Wirtschaftsverbandslandschaft: Mit intensiver Vernetzung und Zusammenarbeit untereinander sowie mit der Politik in der funktionalen Wirtschaftsregion. Es ist nicht die Erwartung, dass einzelne Unternehmen Mitglied werden – aber dass sie die Idee einer gemeinsamen Wirtschaftsregion mittragen.

Grosses Engagement legen Sie in das Ziel einer Metropolitanregion. Wo stehen wir hier?

Götte: Für die Stärkung der Ostschweiz haben die Ständeräte Paul Rechsteiner und Karin Keller-Sutter vor drei Jahren die Idee einer Metropolitanregion medial lanciert. Seither hat die St.Galler Regierung nach einem klaren und wiederholten Auftrag des Kantonsrats eine geeignete Form gesucht und mitunter auch (vorläufige) Absagen aus dem Thurgau kassiert. Das Thema ist aber zu wichtig, um es darauf beruhen zu lassen. Die REGIO und die WIRTSCHAFT haben deshalb einen neuen Anlauf gestartet.

Der bisherige Anlauf hatte den Blick stark auf den internationalen Bodenseeraum gerichtet. Es kann aber nicht um ein weiteres Bodensee-umgreifendes Konstrukt gehen. Dafür gibt es bereits die Internationale Bodenseekonferenz und vergleichbare Organisationen. Die Thurgauer Regierung hat das zu Recht moniert.

Ohne Ausland hat eine Metropolitanregion St.Gallen-Bodensee doch zu wenig «Fleisch am Knochen» …

Geiger: Ja, für die Legitimierung einer Metropolitanregion brauchen wir das Bevölkerungs- und Wirtschaftsgewicht zumindest des grenzüberschreitenden Rheintals, also auch von Teilen des Vorarlbergs. So bringen wir gut und gerne das Gewicht einer Grossregion Bern auf die Waagschale. Die Metropolitanregion soll aber vor allem innerhalb der Schweiz wirken, und der Hauptfokus darauf gelegt werden.

Was wäre der Nutzen für die Ostschweiz, wenn sie eine eigene Metropolitanregion wäre?

Götte: Mit einer Metropolitanregion wollen wir für die Wirtschaftsregion Ostschweiz primär ein schlagkräftigeres, politisches Lobbying gegenüber Bern aufziehen, vor allem im Verkehrsbereich. Stichworte hierzu sind die dritte Röhre für die Stadtautobahn in St.Gallen, die Bodensee-Thurtal-Strasse, der Bahn-Fernverkehr oder der Zubringer Appenzellerland. Der Bund investiert künftig verstärkt in die Metropolitanräume. Diese Tendenz mag man beklagen. Sie ist aber eine Tatsache.

  

REGIO Appenzell AR-St.Gallen-Bodensee und WIRTSCHAFT ­ St.Gallen-Bodensee

In der WIRTSCHAFT St.Gallen-Bodensee engagieren sich rund zehn regionale Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände gemeinsam mit Organisationen aus Bildung und Tourismus für einen starken Wirtschaftsstandort. Zusammen mit den 47 Städten und Gemeinden der REGIO Appenzell AR-St.Gallen-Bodensee entsteht ein starkes und breites Netzwerk mit dem Ziel, die Wirtschaftsregion weiterzuentwickeln und für einen attraktiven Arbeits- und Lebensraum zu sorgen.
Der Vorstand REGIO besteht aus acht Stadt- und Gemeindepräsidenten. Präsidiert wird er durch Thomas Scheitlin. Der Vorstand WIRTSCHAFT besteht aus sieben Vertretern der Trägerorganisationen. Präsidiert wird er durch Priska Ziegler.

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