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Mit Echtzeitdaten den Puls der regionalen Wirtschaft messen

SIRED – Swiss Index of Regional Economic Development Mit Echtzeitdaten den Puls der regionalen Wirtschaft messen

Interessiert am Blick voraus statt in den Rückspiegel: Adhurim Haxhimusa (links) und Peter Moser vom Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung der Fachhochschule Graubünden
Verlässliche, aktuelle Aussagen zur regionalen wirtschaftlichen Entwicklung: Das verspricht «SIRED» – ein Projekt, in dem auch die IHK involviert ist. Die Initianten Adhurim Haxhimusa und Peter Moser über bundesrätliche Ratschläge, LKW-Zählstellen und Corona-Blindflug.

Peter Moser, Sie waren zwischen 2011 und 2015 als wirtschaftspolitischer Berater von Bundesrat Johann Schneider-Ammann tätig. Wie wichtig sind auf politischer Ebene verlässliche Zahlen zur Wirtschaftsleistung?

Peter Moser: Ich möchte das an einem Beispiel erläutern. In dieser Zeit hat sich der Schweizer Franken gegenüber dem Euro stark aufgewertet. Und natürlich waren wir besorgt, dass darunter die Schweizer Exportindustrie stark zu leiden hat. Die publizierten Daten des Bundesamtes für Statistik und auch des SECO waren nur beschränkt hilfreich, weil sie mit grossen Verzögerungen vorlagen. Ich habe immer gesagt: Damit schauen wir wie mit dem Rückspiegel in die Vergangenheit, aber nicht nach vorne. Etwas hilfreicher waren Umfragedaten. Diese sind aktueller, aber sie neigen zu Überzeichnungen. Und dann erhielten wir viele negative Meldungen von einzelnen Unternehmen, aber das waren keine repräsentativen Stichproben.
Die Unsicherheit darüber, wie die Wirtschaft aktuell unterwegs war, erschwerte es, richtig dosierte Massnahmen vorzubereiten. Glücklicherweise erwies sich die Schweizer Wirtschaft damals als wesentlich resistenter, als viele für möglich gehalten haben.

Und trotzdem: Auf kantonaler Ebene beziehen sich die aktuellen BIP- Daten auf das Jahr 2021 – und sind erst noch provisorisch.

PM: In der Tat, auf kantonaler Ebene sind die Probleme noch wesentlich grösser. Die provisorischen Daten zum Bruttoinlandsprodukt sind für Historiker interessant, aber für die Gestaltung der Wirtschaftspolitik wenig hilfreich. Vielfach wird in den Kantonen auf die Daten der Arbeitslosenstatistik abgestellt, die zeitnah verfügbar sind, aber mit Verzögerung auf die Konjunkturlage reagieren und deshalb nur begrenzt nützlich sind.

Ganz anders die Informationslage im Energiebereich, wo tagesaktuell Produktion, Verbrauch, Import, Export, Spotpreise, Speichersee-Füllstände etc. abgerufen werden können. Adhurim Haxhimusa, Sie forschen quantitativ zu Energiethemen. Lassen sich aus diesen Informationen Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Entwicklung ziehen?

Adhurim Haxhimusa: Wenn wir die Energiedaten in Kombination mit anderen zeitnah verfügbaren Daten wie Konsumausgaben, ausgeschriebenen Stellen und dem Verkehr von LKW und PKW analysieren, ergeben sich interessante Perspektiven. So weisen beispielsweise ein steigender LKW-Verkehr, zunehmender Energieverbrauch und wachsende Warenexporte und -importe auf eine wirtschaftliche Belebung einer Region hin.

Mit dem Projekt «SIRED» erfassen Sie solche Echtzeitdaten systematisch und modellieren die wirtschaftliche Entwicklung.

AH: Genau. Im Rahmen des Projekts haben wir Algorithmen entwickelt, die es uns ermöglichen, Echtzeitdaten aus verschiedenen Quellen systematisch zu erfassen, zu strukturieren und zu bereinigen. So müssen wir beispielsweise Anomalien korrigieren, damit die Daten eine verlässliche Grundlage für unsere Analysen sind. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Korrektur von Daten von Autobahnzählstellen. Bauarbeiten führen zu grossen Änderungen in den Daten. Zudem kann ein Sensor gelegentlich ausfallen und keine Daten liefern.

Wie kam es dazu?

PM: Die Idee entstand während der Corona-Pandemie, als aktuelle Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung dringend gebraucht wurden, aber eben nicht zur Verfügung standen.
Auf nationaler Ebene entstanden in der Folge solche Indikatoren. So hat etwa das SECO einen Index zur wöchentlichen Wirtschaftsaktivität entwickelt.

Was macht Ihr Dashboard speziell?

PM: Für uns sind mehrere Punkte besonders wichtig: Erstens bieten wir Daten auf Ebene der Kantone an. Unser Anspruch zielte von Beginn an darauf ab, die Datenlage auf regionaler Ebene zu verbessern. Zugegeben, das gelingt nicht zu 100 Prozent. Leider liegen zum Beispiel für die beiden Halbkantone Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden wesentliche Informationen nicht vor. So haben wir zu diesen beiden Halbkantonen keine ausreichenden Verkehrsdaten des ASTRA.
Zweitens stellen wir Daten auf Monatsbasis dar. Das macht es möglich, auch saisonale Entwicklungen zuverlässig abzubilden.
Drittens sind unsere Daten zeitnah verfügbar. Das bedeutet konkret, dass unsere Schätzungen zur Konjunkturlage des Vormonats mit einer Zeitverzögerung von 20 bis 30 Tagen erstellt werden. Das ist bei diesem Informationsumfang eine solide Leistung.
Viertens erlaubt das Dashboard, mit den Echtzeitdaten nicht nur die Entwicklung eines Kantons im Zeitablauf zu untersuchen, sondern auch per Mausklick mit anderen Kantonen zu vergleichen.

Nach einer Entwicklungszeit von eineinhalb Jahren ist SIRED und Ihr Dashboard seit Ende 2023 operativ und liefert konkrete Resultate. Was hat Sie besonders überrascht?

AH: Die grösste Unsicherheit ist bei solchen Datenprojekten, ob diese verschiedenen Daten am Schluss wirklich dazu geeignet sind, die Konjunkturlage verlässlich zu schätzen. Wir haben viel Zeit aufgewendet, die Daten zu beschaffen, zu bereinigen und in eine vergleichbare Struktur zu bringen. Und erst am Schluss stellt sich dann heraus, ob sich der Aufwand gelohnt hat.

PM: Umso grösser waren Freude und Erleichterung, als wir bei der Kalibrierung des Konjunkturindex festgestellt haben, dass das wirklich gut funktioniert. Und wir sind heute immer wieder stolz, wenn wir SIRED, den Swiss Index of Regional Economic Development, präsentieren!

Involviert waren resp. sind diverse Partner aus Akademie, Wirtschaft und Verwaltung, darunter auch die IHK St.Gallen-Appenzell. Wie wichtig ist diese breite Abstützung?

PM: Für uns Wissenschaftler an einer Fachhochschule ist es wichtig, einen konkreten Beitrag zur Problemlösung zu entwickeln. Deshalb ist es uns immer wichtig, Partner aus der Praxis bei der Projektentwicklung von Anfang an einzubinden. Das ist bei diesem Projekt sehr gut gelungen und wir haben stark vom Austausch auch mit der IHK St.Gallen-Appenzell profitiert.

AH: Ich habe den Austausch mit der Expertengruppe als sehr bereichernd erlebt. Die Diskussion über die Methodik und Datenlage ermöglichte es uns, wertvolle Einblicke zu gewinnen und unsere Herangehensweise zu verfeinern. Die breite Abstützung hat auch dazu beigetragen, dass unsere Forschungsergebnisse robust, vielfältig und anwendbar sind. So konnten wir auch sicherstellen, dass unser Projekt nicht nur akademisch fundiert ist, sondern auch praxisorientierte Erkenntnisse liefert, die für Wirtschaft und Verwaltung relevant sind.

Wo sehen Sie in Zukunft konkrete Anwendungsfelder?

PM: Die Bandbreite der potenziellen Nutzer ist gross. Regional tätige Unternehmen können die Wirtschaftslage besser abschätzen. Für Kantonal- oder Regionalbanken lassen sich basierend auf den Geschäftsaussichten die Risiken im Firmenkreditgeschäft besser einordnen. Für kantonale Verwaltungen und Bundesämter ermöglicht das Dashboard eine Grundlage für wirtschaftspolitische Entscheidungen oder eine genauere Abschätzung der Steuereinnahmen. Auch Medienagenturen oder Forschungseinrichtungen können profitieren.

Prof. Dr. Peter Moser ist Professor für Volkswirtschaftslehre am Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung an der Fachhochschule Graubünden. Nach akademischen Stationen in St.Gallen, in den USA (u.a. an der Stanford University) und in Schanghai war er von 2011 bis 2015 Berater für Wirtschaftspolitik bei Bundesrat Johann Schneider-Ammann. Seine Schwerpunkte in Forschung und Beratung liegen neben der Nutzung von Echtzeitdaten beim Einfluss der digitalen Transformation auf den Arbeitsmarkt. Des Weiteren beschäftigt sich Peter Moser mit globalen Herausforderungen, etwa im Bereich der internationalen Handelspolitik und der europäischen Integration.

Dr. Adhurim Haxhimusa ist wissenschaftlicher Projektleiter am Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung an der Fachhochschule Graubünden. Davor promovierte und arbeitete er als Postdoc an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien). Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeit liegen aktuell in der ökonometrischen Untersuchung der energiepolitischen Entwicklungen in der Schweiz und Europa. Des Weiteren beschäftigt sich Adhurim Haxhimusa mit den Bereichen Wettbewerb, Umwelt- und Energieökonomie.

Dashboard selbst testen: wimed.fhgr.ch

Dieser Artikel erschien am 28. Februar 2024 im Mitgliedermagazin IHKfacts zum Thema Vorsorge.