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Digitalisierung machen

Zur Bewältigung des Arbeitskräftemangels Digitalisierung machen

Markus Bänziger, Direktor IHK

Der Arbeitskräftemangel wird sich weiter verschärfen. Umso wichtiger wird die Digitalisierung. Sie bietet nicht nur die Chance, sich im Wettbewerb innovativ und produktiv zu behaupten, sondern ist notwendig, um mit weniger Arbeitskräften mehr Aufgaben zu leisten. Die Ostschweiz ist grundsätzlich gut aufgestellt.

 

Willkommen in der 9-Millionen-Schweiz! Einmal mehr ist das rasante Bevölkerungswachstum der Schweiz Thema der Stunde – oder, ebenfalls einmal mehr, primär die damit verwandte Zuwanderung.

60 000 Arbeitskräfte zu wenig

Die wachsende Bevölkerung ist nur die Kehrseite einer anderen Debatte. Der Arbeitskräftemangel entwickelt sich zu einer Hauptsorge der Unternehmen, das wurde an der letztjährigen Ausgabe des Konjunkturforums Zukunft Ostschweiz deutlich. Bereits heute bekunden zwei von drei Ostschweizer Unternehmen erhebliche bis grosse Schwierigkeiten, geeignetes Personal zu finden. Es herrscht nahezu Vollbeschäftigung. Die demografische Entwicklung arbeitet zudem gegen den Arbeitsmarkt.

Seit 2019 gehen in der Ostschweiz mehr Personen in Rente, als Erwerbsfähige nachkommen. Als Konsequenz fehlen der Region bis 2035 schätzungsweise 60 000 Arbeitskräfte – oder mehr als jede 10. Arbeitskraft. Dies zeigt eine Studie der IHK St.Gallen-Appenzell zusammen mit dem Institut für Systemisches Management und Public Governance der Universität St.Gallen (IMP-HSG). Eine alternde Gesellschaft erhöht gleichzeitig die Anforderungen an das Gesundheitswesen, die Vorsorgewerke, die Pflege. Auch das sind grosse Herausforderungen, die auf uns zukommen. Dennoch dürften sie nicht durch Zuwanderung gelöst werden, und das nicht einmal aufgrund politischer Diskussionen, sondern schlicht weil der Rest Europas grundsätzlich mit einer ähnlichen demografischen Entwicklung konfrontiert ist wie die Schweiz. Dies mutet eigentlich paradox an.

Noch vor wenigen Jahren drehte sich die Diskussion über den zukünftigen Arbeitsmarkt in eine völlig andere Richtung. Durch die Digitalisierung seien zahlreiche Jobs mittelfristig infrage gestellt, nicht wenige befürchteten Massenarbeitslosigkeit. Heute rücken dagegen vielmehr die entsprechenden Chancen in den Vordergrund: Die Digitalisierung ist notwendig, um die Wertschöpfung in den Unternehmen und den Wohlstand der Gesellschaft zu erhalten.

Kleine Schritte, grosse Innovationen

Folglich wird es umso wichtiger werden, nicht nur über Digitalisierung zu sprechen, sondern diese auch zu leben.
Dabei muss es nicht immer der grosse Wurf sein – Corona hat uns allen die Machbarkeit von Remote-Work-Modellen in dienstleistungsorientierten Tätigkeiten gezeigt.

Automatisierte Prozesse können helfen, aus einer begrenzten Anzahl Mitarbeitenden das Maximum herauszuholen. Diese Art von Prozessoptimierung ist vielfach schon integraler Bestandteil der Überlegungen zur Digitalisierung in der Wirtschaft. Umgekehrt zeichnen sich aber auch disruptivere Innovationen ab. ChatGPT führt uns gerade die Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz in Bereichen vor, welche wir bis anhin als nicht automatisierbar erachteten. Oder anders gefragt: Wie lange noch, bis die Idee für einen Text wie diesen reicht, und die Maschine erledigt den Rest? Gleichzeitig entstehen erste Projekte, welche Quantencomputer für die Industrie nutzbar machen sollen.

Das zeigt: Technologien, welche noch vor einigen Jahren wie ferne Zukunftsmusik klangen, dürften bald Alltag sein. Während die Antizipation solcher Trends sowie der resultierenden Chancen für das eigene Geschäftsmodell für grosse Unternehmen mittels eigens dafür zuständiger Markus Bänziger Direktor IHK 8 Nr. 1/2023 Stellen bewältigt wird, stellt dies für KMU häufig eine besondere Herausforderung dar.

Nicht immer stehen die notwendigen Ressourcen zur Verfügung, um im Alleingang den Einfluss zukünftiger Technologien zu bewältigen. Mehrere Faktoren werden deshalb entscheidend sein, um das volle Potenzial der Digitalisierung nutzen zu können. Erstens wird durch das Tempo des technologischen Wandels die Halbwertszeit von einmal Gelerntem stets kürzer.

Lebenslanges Lernen ist heute ein zwingender Erfolgsfaktor für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Zweitens werden der Wissenstransfer und die Vernetzung der Unternehmen an Bedeutung gewinnen. Digitalisierung ist ein Querschnittsthema, keine Forschungsdisziplin. Und drittens braucht es eine entsprechende Unternehmenskultur, welche Bewährtes hinterfragt und neue Potenziale erschliesst.

Die Ostschweiz ist gut aufgestellt

Die Ostschweizer Wirtschaft hat grundsätzlich gute Karten: Eine breit diversifizierte Wirtschaftsstruktur mit zahlreichen innovativ aufgestellten Unternehmen und einer starken Industrie, ein gutes Bildungsangebot über alle Stufen sowie ein lebendiger IT-Cluster bieten die Voraussetzung dafür, dass unsere Region zur Digitalisierungsgewinnerin avancieren kann.

Mit der von der IHK mitinitiierten IT-Bildungsoffensive fördert der Kanton St.Gallen beispielsweise die digitalen Kompetenzen in allen Bildungsstufen. Solche Bestrebungen gilt es aufrechtzuerhalten. Das Aus- und Weiterbildungsangebot muss zukünftige Potenziale identifizieren und für die Wirtschaft nutzbar machen. Insgesamt existiert in der Ostschweiz zudem ein vielfältiges Portfolio an Akteuren, welche Unternehmen im Bereich der Digitalisierung unterstützen können. Im folgenden Schwerpunktteil bieten wir deshalb eine Auswahl von führenden IT-Unternehmen, Forschungseinrichtungen sowie Netzwerkinitiativen, welche sich prioritär mit der Unterstützung bei der digitalen Transformation auseinandersetzen. Damit zeigen wir beispielhaft die Möglichkeiten auf, welche unsere Region in diesem Bereich bietet.

Die Digitalisierungsmöglichkeiten müssen als Chance in jedem Unternehmen genutzt werden, jeder Prozess muss auf das Digitalisierungspotenzial hin überprüft werden. Im Zuge des Arbeitskräftemangels wird dies nochmals entscheidender werden. Deshalb: Sprechen wir nicht nur über Digitalisierung, sondern machen wir sie!

 

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