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Versorgungssicherheit und Klimaschutz müssen kein Widerspruch sein

Energie- und Ressourcenknappheit Versorgungssicherheit und Klimaschutz müssen kein Widerspruch sein

15. Dezember 2023 | Bis 2050 will die Schweiz das Netto-Null-Ziel erreichen. Eine erfolgreiche Wirtschaft braucht gleichzeitig genügend Energie – jederzeit, und das zu angemessenen Preisen. Ein Grossteil dieser Energie stammt aktuell aus fossilen Quellen. Wie können wir das ändern, ohne unseren Wohlstand zu gefährden?

Es ist ein ehrgeiziges Ziel, das die Schweiz erreichen will: Bis 2050 soll unser Land unter dem Strich keine Treibhausgase mehr ausstossen. Weite Teile der Wirtschaft tragen dieses Netto-Null-Ziel mit. Der Umgang mit Energie und Ressourcen ist dabei entscheidend. Doch 70 % unserer Energie stammen aus dem Ausland. Dazu gehören neben europäischem Strom im Winter vorwiegend fossile Brennstoffe, wie Öl und Gas, und Kernbrennelemente für unsere Atomkraftwerke. Das macht uns abhängig. Der Ukrainekrieg zeigte das deutlich. Dank eines milden Winters und Sparappellen konnten wir eine Energiemangellage verhindern. Nur mit einem raschen, technologieoffenen Ausbau erneuerbarer Energiequellen zu wettbewerbsfähigen Preisen und mit europäischer Zusammenarbeit können wir die begrenzten und klimaschädlichen fossilen Treibstoffe ersetzen, die unseren Wohlstand über Jahrzehnte befeuert haben.

Wirtschaft als Teil der Lösung

Neun von zehn Ostschweizer Industrieunternehmen und Unternehmen des Baugewerbes messen der Energie- und Ressourceneffizienz grosse Bedeutung bei. Ein Grossteil der Ostschweizer Unternehmen, insbesondere produzierende, hat den schonenden Umgang mit ihren Primärressourcen und Energiequellen sowohl strategisch als auch operativ verankert. Treibende Faktoren sind dabei vor allem die Wahrnehmung ökologischer Faktoren, die Nutzung von Kosteneinsparungspotenzialen sowie der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit. Seit 1990 hat die Industrie ihre Treibhausgasemissionen ohne Abfallverbrennung um 34 % reduziert und als einziger Sektor die Einsparziele sogar übertroffen. Trotz ausgeprägter Eigeninitiative sind die Bestrebungen zu wenig sichtbar und die Bekenntnisse der Wirtschaft ungenügend erkannt. Mangelndes Wissen um Ziele und Massnahmen der Wirtschaft verstärken die Tendenzen zu staatlicher Planung und Verboten. Der Markt ist auch für diese Herausforderungen das richtige Instrument, jedoch gilt es, regulatorische Hürden und Marktunvollkommenheiten zu beseitigen.

Innovation, Diversifizierung und Resilienz

Der Schlüssel zur Bewältigung des Klimawandels liegt im unternehmerischen Spielraum für Innovationen sowie in der Diversifizierung mittels Wettbewerbs an Ideen. Eine einzige Lösung gibt es nicht, vielmehr wird eine ganze Bandbreite an Massnahmen und Ansätzen, die gemeinsam wirken, notwendig sein. Treib- und Brennstoffe können zu einem substanziellen Anteil durch die Elektrifizierung des Mobilitäts- und Gebäudesektors ersetzt werden. Weiter sollen die Energieeffizienz in jedem Unternehmen verbessert und das Potenzial für inländische, marktfähige und erneuerbare Energieträger ausgeschöpft werden. Eine autarke Energieproduktion ist unrealistisch und würde der Schweiz schaden. Daher ist eine enge Zusammenarbeit mit dem grenznahen Ausland, insbesondere Europa, und die Nutzung ausländischer erneuerbarer Energieressourcen ein wichtiges Anliegen.

Daneben werden chemische Energieträger weiterhin wichtig sein, denn nicht alle Anwendungen lassen sich elektrifizieren, wie beispielsweise Hochtemperaturprozesse in der Industrie. Es bedarf deshalb zusätzlicher Energieträger, welche in der Lage sind, die Nachteile der erneuerbaren Energien auszugleichen. Dabei dürfte dem Wasserstoff als Rohstoff und Energieträger der Zukunft eine wichtige Rolle zukommen. Obwohl es in der Ostschweiz bereits einige Vorreiterprojekte und Forschungsinitiativen für die Nutzung von Wasserstoff gibt, fehlt eine Wasserstoffstrategie für die Schweiz als verbindliche Planungsgrundlage für den rechtzeitigen Aufbau einer leistungsfähigen Infrastruktur.

Der Ressourceneffizienz kommt darüber hinaus eine entscheidende Bedeutung zu. Sie ermöglicht nicht nur eine direkte Reduzierung des Energiebedarfs, sondern stärkt auch die Widerstandsfähigkeit gegenüber der Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen. Dies betont zusätzlich, wie wichtig es ist, lineare Produktionsmuster zu überdenken und Ansätze aus der Kreislaufwirtschaft zu prüfen. Die Ostschweiz ist bekannt für ihre Innovationskraft und könnte durch Vorreiterarbeit bedeutende Wettbewerbsvorteile erzielen.

Die Basis sämtlicher Überlegungen hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft muss die Versorgungssicherheit zu international wettbewerbsfähigen Preisen sein: Dies ist eine Grundvoraussetzung. Die IHK St.Gallen-Appenzell hat hieraus politische Massnahmen definiert.

Vision Wasserstoffinfrastruktur im Bodenseeraum

Ausgewählte Massnahmen im Fokus

Schweizer Strommarkt vollständig öffnen

Nur Grossverbraucher, die jährlich mehr als 100 000 Kilowattstunden verbrauchen, können ihren Stromlieferanten selbst wählen. Eine vollständige Öffnung des Strommarktes käme allen Endverbrauchern zugute, indem sie ihre Quellen selber wählten und von tiefen Preisen profitierten. Der Wettbewerb der Stromversorger würde erhöht, Innovationen und Effizienz gefördert. Und: Eine Strommarktöffnung ist Voraussetzung für ein Stromabkommen mit der EU.

Umnutzung der Wasserstoffinfrastruktur prüfen

Durch das St.Galler Rheintal führt eine Transportleitung für Methan; ferner besteht mit einer nicht mehr benötigten Ölleitung der Central European Line zwischen Genua und Ingolstadt eine potenzielle überregionale Anknüpfungsmöglichkeit für eine Wasserstoffinfrastruktur. Diese und weitere bestehende Infrastruktur sind im Kontext einer Wasserstoffversorgung für die Bodenseeregion auf eine allfällige Nutzung hin zu überprüfen.

Kreislaufwirtschaft ermöglichen

Die Einführung und Entwicklung der Kreislaufwirtschaft muss individuell geprüft werden. Das Konzept ist nur dann sinnvoll, wenn es sowohl zu einer ökologischen Verbesserung führt als auch ökonomisch rentabel ist für die Unternehmen. Dabei gilt es zu beachten, dass nicht alle Materialien am Ende ihrer Nutzungsphase auch wiederverwertet werden können.