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Sinnstifter und Teambilder

Roland Ledergerber verrät seine wichtigsten Führungsgrundsätze Sinnstifter und Teambilder

Roland Ledergerber, Vizepräsident IHK St.Gallen-Appenzell

Zum Thema Führung gibt es zigtausende Bücher, Millionen von Artikeln in Fachzeitschriften und abertausende von Kursen und Ausbildungslehrgängen. Unzählige Experten, seien es Praktiker oder Professoren, haben sich zu diesem Thema in der einen oder anderen Form geäussert. Roland Ledergerber, IHK-Vizepräsident und CEO der St. Galler Kantonalbank, fasst in diesem Artikel ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Wissenschaftlichkeit seine persönlichen Überzeugungen zum Thema Führung zusammen und beantwortet für sich die Frage «Was ist Führung?».

Führung heisst für mich, die Richtung bestimmen, Menschen in Bewegung setzen, Vorhaben auf Kurs halten und die anvisierten Ziele realisieren. Letztlich geht es darum, die gesetzten Ziele zu erreichen. Dafür sind in der Führung vier Kerntätigkeiten zu erledigen: Erstens den normativen Rahmen bestimmen, zweitens Strukturen, Prozesse und Instrumente festlegen, drittens Kontrollen und Feedback gewährleisten und viertens das richtige Team zusammenstellen und entwickeln. Alle vier Aufgaben sind entscheidend, die wichtigsten aber sind die erste – das heisst die Sinngebung – und die vierte – also die Mitarbeitenden.

Die «Richtung bestimmen» heisst, den normativen Rahmen vorgeben. Es ist die Sinnfrage. Wer sind wir? Was ist unsere Daseinsberechtigung? Wohin wollen wir – warum? Was wollen wir nicht – warum nicht? Die grundlegendste Führungsaufgabe ist die Definition der Werte, für die wir einstehen, des Zwecks, für dessen Erfüllung wir uns einsetzen, und der Ambition, die uns alle antreibt. Der CEO wird deshalb oft als «Chief Meaning Officer» bezeichnet. Natürlich trägt er letztlich die Verantwortung für die Sinngebung, nachhaltig funktionieren kann es aber nur, wenn die Werte, der Zweck und die Ambition vom ganzen Team gelebt und getragen werden. Sonst würde er «Sole Meaning Officer» heissen. Alleine geht nicht.

Um als Chef Dinge «in Bewegung zu setzen», benötigt er geeignete Strukturen, Prozesse und Instrumente. Je grösser ein Unternehmen wird, umso wichtiger wird dieser Aspekt in der Führung. Denn die direkte, unmittelbare, persönliche Führung ist natürlicherweise beschränkt. In der St. Galler Kantonalbank haben wir beispielsweise das Programm «Digitalisierung» aufgesetzt, um die Chancen des Megatrends Digitalisierung zu nutzen. Oder das Programm «Operational Excellence», um punkto Qualität und Stückkosten führend zu sein. Oder das Leadership-Programm «Transformationale Führung», um unsere Führungskräfte für die Bewältigung des Strukturwandels zu befähigen.

«Auf Kurs halten» verlangt ein dauerndes Feedback, einen dauernden Soll-Ist-Vergleich. Die Zeiten, in denen man lediglich auf die Einhaltung finanzieller KPI (key performance indicators) achtete, sind jedoch vorbei. KPI sind wichtig, sie reichen aber nicht. Denn oft sind es gerade die wichtigsten Dinge, die man nicht zahlenmässig erfassen kann. Dafür sind der persönliche Kontakt und die direkte Interaktion mit den Mitarbeitenden auf allen Stufen nötig. Beispielsweise führen wir bei der St. Galler Kantonalbank unter anderem sogenannte «Gipfeltreffen» durch. Das sind dezentrale Frühstücksdiskussionen bei Kaffee und Gipfel (daher der Name), zu denen jeweils ein Mitglied der Geschäftsleitung rund 10 Mitarbeitende einlädt. Mit diesem Gefäss fühlen wir den Puls, erhalten direkte Rückmeldungen und spüren so das Commitment, werden auf allfällige Widerstände aufmerksam oder können Unklarheiten auf der Stelle adressieren.
Führen heisst, die strategische Richtung vorzugeben. Führung heisst aber auch, die Fortschritte zu kontrollieren und bei Bedarf einzugreifen. Ein guter Führer ist – um ein Bild zu verwenden – in diesem Sinne wie ein Handorgelspieler: Um eine Melodie zu spielen, muss der Musiker seine Handorgel auseinanderdehnen und wieder zusammenpressen. Er wechselt immer wieder zwischen Breite und Enge. So ist es auch in der Führung. Der gute Führer ist manchmal breit und weit. Dann nämlich, wenn er strategisch führt und delegiert. In Problem- und Krisensituationen muss er aber eng und nahe führen und den Dingen hartnäckig auf den Grund gehen.

Um «Wirkung im Ziel» zu erreichen, braucht es letztlich aber die richtigen Menschen. Menschen mit Begeisterung, Professionalität, Sozialkompetenz, Lernfreude, Ausdauer und Disziplin. So banal es klingt, so richtig ist es. Der Chef ist für die Besetzung der Schlüsselpositionen und die Entwicklung des Teams als Ganzes verantwortlich. Das ist sein Job. Er ist nicht delegierbar.

Führungsgrundsätze

Diese vier Tätigkeiten – «die Richtung bestimmen», «in Bewegung setzen», «auf Kurs halten» und «Wirkung im Ziel erzeugen» – bilden den Kern der Führungsaufgabe. Das war schon immer so. Sie sind aber, so denke ich, mit der zunehmenden Arbeitsteilung und der zunehmenden Beschleunigung in der Arbeitswelt noch wichtiger geworden. Im Laufe der Jahre habe ich für mich fünf Führungsgrundsätze abgeleitet, die für mich nützlich und bestimmend sind, um diese Kerntätigkeiten erfolgreich zu erfüllen.

Erstens: Professionalität

Die Professionalität bildet das Fundament. Fach-, Sozial- und Führungskompetenz sind auf allen Stufen laufend weiterzuentwickeln. In diesem Prozess hat der Chef die Rolle des Coachs. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, als Chef immer die richtige Antwort zu wissen, sondern die richtigen Fragen zu stellen. So gibt er den Mitarbeitenden die Möglichkeit, selber zu wachsen.

Zweitens: Sinngebung

Der Chef wirkt als Sinnstifter. Er gibt die Richtung vor und forciert den Fortschritt. Indem er bestehende Lösungen hinterfragt, sich nicht mit der erstbesten Lösung zufrieden­gibt und neue Impulse setzt, spielt er die Rolle des Herausforderers. Er fasst lohnenswerte, ambitionierte Ziele ins Auge und begeistert seine Mitarbeitenden dafür.

Drittens: Leistung

Management ist der Beruf der Wirksamkeit (Fredmund Malik). In diesem Sinne ist der Chef in der Rolle des Umsetzers. Er macht Leistungen und einzelne Leistungsbeiträge sichtbar und thematisiert sie. Er scheut sich nicht, auf ungenügende Leistungen zu reagieren. Genauso wenig wie er es versäumt, gute Leistungen zu loben. Immer wertschätzend und immer mit dem Ziel, besser zu werden.

Viertens: Atmosphäre

Gute Leistungen sind auf Dauer nur möglich, wenn sich die Mitarbeitenden wohl fühlen und mit Freude und Stolz zum Teamerfolg beitragen. Der Chef ist für das Funktionieren des Teams und ein angenehmes Umfeld verantwortlich. Er stärkt das Gemeinsame und den Zusammenhalt und er interveniert bei Störungen. Er agiert wie ein Reiseleiter.

Fünftens: Vorbild

Die wichtigste Rolle ist die des Vorbilds. Eine Handlung wirkt mehr als tausend Worte, denn Glaubwürdigkeit erreicht man nur mit Authentizität und Integrität.

Eine der zentralsten und zugleich schwierigsten Eigenschaften der nachhaltig erfolgreichen und respektierten Führungsperson ist die Fähigkeit zur Selbstreflexion und Selbstaktualisierung. Das ist das Paradoxon des Erfolgs: Je erfolgreicher man ist, je höher man die Karriereleiter steigt, desto stärker ist man dem Selbstzufriedenheitsvirus ausgesetzt. Gerade weil man immer weniger und immer weniger ehrliches Feedback erhält, muss man sich die Fähigkeit zur Selbstreflexion entwickeln und diese zur laufenden Selbstaktualisierung nutzen.

Vor allem aber muss man Menschen mögen (MMMM). Man taugt sonst weder zum Chef noch zum Vorbild.