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Selbstregulierung als Erfolgskonzept

Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance Selbstregulierung als Erfolgskonzept

Markus Bänziger, Direktor IHK (Bild: Urs Bucher/Tagblatt)

22. Mai 2023 | Der Unternehmer Ueli Forster ist Gründungspräsident der IHK St.Gallen-Appenzell und war von 2001 bis 2006 Präsident von economiesuisse. Im Gespräch mit IHK-Direktor Markus Bänziger blickt er zurück auf die Entstehung der ersten Version des Swiss Code of Best Practice, der kürzlich in der dritten Auflage erschienen ist. Selbstregulierung war damals und ist auch heute noch ein wichtiger Bestandteil der Unternehmensführung.

 

Herr Forster, während Ihrer Zeit als Präsident von economiesuisse waren Sie massgeblich an der Entwicklung des Swiss Code beteiligt. Was waren die Beweggründe dafür?

Ich war nur indirekt beteiligt. Der Swiss Code entstand vor dem Hintergrund der zunehmenden Globalisierung der grossen Schweizer Unternehmen. Governance-Themen nahmen einen immer grösseren Raum ein. Benchmarks waren die USA und Grossbritannien, wo solche Regelwerke in den 80er- und 90er-Jahren im Aufwind waren. Finanzanalysten und Investoren gaben dem Thema zunehmend Gewicht, aus der Überzeugung heraus, dass eine gute Unternehmensführung – eben Corporate Governance – zum Standort- und Erfolgsfaktor werde. In der Schweiz befasste sich eine breit abgestützte Expertengruppe mit dem Thema. Aus deren Arbeiten resultierte der durch economiesuisse publizierte «Bericht Hofstetter» mit der ersten Ausgabe des Swiss Code. Dessen Inhalt war aber nicht nur für börsenkotierte Unternehmen, sondern zunehmend auch für KMU von Relevanz, weil dort die Probleme rund um die «Principal Agent»-Thematik und die «Checks and Balances» genauso wichtig sind. Meine Aufgabe war es also, den Inhalt dieses «Soft Law» in meinen Auftritten auch in der KMU-Welt zu verbreiten. Und das habe ich aus Überzeugung so oft wie möglich gemacht.

Welche Reaktionen haben Sie darauf erhalten?

Nur gute. Zu Beginn der Nullerjahre wurde das bisher vorherrschende Vertrauen in die Wirtschaft von immer breiteren Kreisen der Gesellschaft und Politik zunehmend angezweifelt. Dafür sorgten schon damals Skandale und Exzesse. Die Skandalisierung von allem und jedem durch die Medien zwang auch verantwortungsvolle Unternehmer und Manager dazu, mit Transparenz, Offenheit und modernen Führungssystemen diesen Entwicklungen entgegenzutreten. Diese Massnahmen folgten dabei nicht einfach stur den ausländischen Vorbildern, sondern widerspiegelten auch schweizerische Werte. Die damals formulierten Grundsätze der Corporate Governance haben sich bis heute bewährt. Einige wurden anschliessend auch in unsere Gesetzgebung integriert.

Welchen staatlichen Regulierungen konnte man damals und kann man heute mit der Selbstregulierung vorbeugen?

Denken Sie an die Energieagentur der Wirtschaft, die wohl erste Selbstregulierung im Energie- und Umweltbereich, die zumindest teilweise aus dem Bereich des Soft Law in Gesetze überführt wurde, wie auch die Regelungen des Finanzplatzes. Auch die SIA-Normen sind nicht nur für die Bauwirtschaft positiv, sondern auch für deren Kunden. Andere Normenvereinigungen erreichten Ähnliches.

Welche Vorteile bringt die Selbstregulierung mit sich?

Diese liegen auf der Hand: rasch wirksam und auf Vertrauen basierend. Sie sind aber auch das, was Wirtschaftsverbände immer getan haben und noch heute tun sollten: vorauseilend gesellschaftliche Strömungen aufnehmen und selbstverantwortlich umsetzen.

Gesellschaftlich wird «die Wirtschaft» zunehmend als Problem und nicht als Teil der Lösung gesehen, davon zeugen beispielsweise die Minder-Initiative oder die Konzernverantwortungsinitiative. Was entgegnen Sie solchen Kreisen?

Die Wirtschaft pauschal als Problem zu bezeichnen ist leider effektiv Mode. Fehler von Managern und generell Exzesse sind dafür verantwortlich. So haben es auch Sprüche leicht, die besagen, dass die Wirtschaft Gewinne einstreiche und Verluste sozialisiere. Indes ist die Wirklichkeit der zahlenmässig wohl um die 99% der Unternehmen eine ganz andere: Sie sind nicht der Ursprung der Ärgernisse, sondern die eigentlichen Treiber des Wohlstandes, des technologischen Fortschritts und damit auch des sozialen und gesellschaftlichen Wohlergehens. Die Politik orientiert sich vor allem an Missständen und verallgemeinert gerne. So hat zum Beispiel die Minder-Initiative meines Erachtens die Lohnexzesse nicht eingedämmt, sondern mit der grösseren Transparenz zum legitimierten Ablegen von Scham und damit sicher nicht zu einer neuen Bescheidenheit geführt. Der Schuss ging also zumindest teilweise daneben. Bei der Konzernverantwortungsinitiative spielten Reflexe mit, die in den von mir erwähnten Missständen wurzeln. Diese negativen Reflexe breiten sich in gefährlicher Weise weiter aus, indem die politische Linke und die Mitte auch Freihandelsabkommen als schädlich beurteilen, das letzte Wort dem Volk geben wollen und systematisch die Meinung verbreiten, dass wir dem Rest der Welt vorgeben müssten, was gut und was schlecht sei. Idealismus in Ehren: Aber Wohlstand wird in unserer mit der Welt eng verflochtenen Wirtschaft vornehmlich mit Handel von Gütern geschaffen. Den von den erwähnten politischen Strömungen signalisierten Korrekturbegehren kann am besten mit guten Regeln der Unternehmensführung und bei den grösseren Unternehmen mit sogenannten Codes of Conduct begegnet werden.

Kürzlich wurde die dritte Fassung des Swiss Code publiziert. Was wurde angepasst und wie schätzen Sie die Änderungen ein?

Die Neuerungen sind mehr ein Aufdatieren. Sie nehmen vor allem die Grundsätze des nachhaltigen Wirtschaftens und der sozialen Verantwortung auf. Ergänzungen betreffen die Rolle der Compliance, die Unternehmenskultur sowie die Schärfung in Bezug auf die Zusammensetzung von Verwaltungsräten. Abweichende Regelungen sollen wie früher nach dem Grundsatz «Comply or Explain» möglich sein, die Unternehmen bleiben also in der Gestaltung frei. Übrigens: Untersuchungen haben ergeben, dass Unternehmen mit zeitgemässer Governance – auch im KMUBereich – erfolgreicher sind als solche, die sich keinerlei Regelwerken unterziehen oder die opportunistisch geführt werden.

Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf zur Selbstregulierung zum Schutz vor staatlichen Eingriffen?

Vorauseilende Einflussnahme. Abstrakt formuliert, sollten sich die Wirtschaftssubjekte und ihre Verbände bei allen Ereignissen und Vorstössen im Parlament immer fragen: Können wir das nicht selbst regeln? In diesem Sinne möchte ich keine konkreten Gebiete nennen, sondern die Verbände auffordern, dies systematisch zu tun.

Was ist aus Ihrer Sicht für eine «langfristig angelegte, auf das Wohl aller Stakeholder ausgerichtete Unternehmensführung» unverzichtbar?

Da gibt es eigentlich nur ein Stichwort, um nicht in einer langen Aufzählung zu enden: Vertrauen! Denn das wichtigste Kapital, über das die Marktwirtschaft verfügt, ist das Vertrauen der Bürger in deren Ordnung. Es liegt also daran, alles zu tun, um die Vertrauenskultur zu erneuern und die vorherrschende Misstrauenskultur abzubauen. Vertrauen entsteht mit dem Verstehen von wirtschaftlichen Zusammenhängen und Fakten. Und das sollte schon früh in der Ausbildung aller Stufen beginnen und ein Leben lang andauern.

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