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Preisrallye: Knappheitssignal oder Handlungsbedarf?

Der externe Standpunkt Preisrallye: Knappheitssignal oder Handlungsbedarf?

Dr. Stefan Legge, Head of Tax & Trade Policy / Vizedirektor des Institutes für Law and Economics an der Universität St.Gallen (ILE-HSG)

15. Dezember 2023 | Es ergibt wenig Sinn, ein Spiel zu spielen, wenn man die Regeln des Spiels nicht richtig verstanden hat. Doch genau das machen viele von uns. Wir alle spielen ein Spiel, das sich Marktwirtschaft nennt. Die Regeln dieses Spiels haben jedoch viele – zu viele – nie richtig verstanden. Hier bedarf es einer besseren Arbeit der Volkswirte.

In der ein oder anderen Form leben alle Menschen in einer Marktwirtschaft. In dessen Zentrum steht das Preissystem, eine geniale Erfindung. Warum? In jeder Wirtschaft gibt es ein Problem: Wie viel von etwas produziert werden soll, hängt von der Nachfrage ab. Doch was sorgt dafür, dass Angebot und Nachfrage ausgeglichen werden? Wie verhindert man, dass zu viel oder zu wenig produziert wird? Statt des vergeblichen Versuchs, dies staatlich zu planen und zu steuern, übernehmen Preise diese Aufgabe in einer Marktwirtschaft. Sie steigen und sinken fortwährend und zeigen somit an, ob gerade zu viel oder zu wenig von etwas produziert wird. Diese Signale ermöglichen ein erfolgreiches Wirtschaften. Nicht ohne Grund gab der Vater des deutschen Wirtschaftswunders, Ludwig Erhard, als erste wichtige Amtshandlung im Juni 1948 die Preise frei. Auch der hohe Wohlstand der Schweiz ist ohne freie Preise undenkbar.

Preise als Signale, aber auch Risiko

Doch daraus ergibt sich auch ein Problem. Wenn sich die Preise frei bewegen können, schwanken sie mitunter sehr stark. Das erzeugt ein Risiko. Preisausschläge, nach unten oder nach oben, können heftig ausfallen, wenn es grosse Schocks auf der Angebots- oder Nachfrageseite gibt. Wir haben dies in den letzten Jahren recht häufig beobachtet. Der Gaspreis in Europa hatte sich beispielsweise innert eines Jahres versiebenfacht. In solchen Situationen heisst es oft, der Markt spiele verrückt. Das ist jedoch Unsinn. Der Markt macht genau das, was er soll. Die Preise reflektieren Knappheiten und diese können sich nun mal rasch verändern. Auch erwartete Knappheiten in der Zukunft beeinflussen die heutigen Preise – und Erwartungen schwanken in stürmischen Zeiten besonders stark.

Die Frage ist, wie wir damit umgehen. In gewisser Hinsicht können wir Ruhe bewahren. Die hohen Preise erzeugen nämlich den Anreiz, das Angebot zu erhöhen und so die Knappheit zu lindern. Sobald das Angebot steigt, sinken die Preise auch wieder. Dafür hat es in den letzten Jahren ebenfalls unzählige Beispiele gegeben, von Corona-Schutzmasken bis hin zu Schiffscontainern. Doch ganz so einfach ist es nicht: Die Preisausschläge mögen zwar kurzfristig sein, können aber trotzdem für zahlreiche Unternehmen tödlich enden. Es stimmt:

Nach ein paar Jahren ist der Spuk vorbei. Aber vielleicht ist dann auch der Ofen aus.

Versicherungen bieten Schutz

Wie kann man sich also gegen starke Preisschwankungen schützen? Ein Risiko ist nichts weiter als Kosten, welche mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auftreten. Sind sowohl die Kosten als auch die Wahrscheinlichkeiten einigermassen vorhersehbar, kann man sich am Markt gegen Preisschwankungen absichern. Natürlich muss man dann jemand anderen für die Übernahme der Risiken entschädigen. Aber genau das ist Sinn und Zweck einer Versicherung: das Risiko in einen planbaren Kostenfaktor umzuwandeln.

In einer Marktwirtschaft ist es die Aufgabe des Managements, mit Risiken umzugehen. Der primäre Umgang basiert auf privaten Versicherungen, der Idee des Poolings und dem Gesetz der grossen Zahlen. Niemand wüsste das besser als die Schweiz, ein Land, das bekannt ist für gutes Risikomanagement und zahlreiche sehr erfolgreiche Versicherungen.

Auch der Staat spielt eine wichtige Rolle

Die privatwirtschaftliche Lösung gelingt jedoch nicht immer. Wenn die Risiken bestimmte Voraussetzungen hinsichtlich Verteilung und Wahrscheinlichkeit nicht erfüllen, eine Streuung über Firmen, Länder und Zeit hinweg nicht möglich ist, kann auch der Staat einspringen. Diesen Staat sollte man aus marktwirtschaftlicher Sicht nicht verteufeln, sondern als sinnvolle Institution betrachten, welche Schwächen der Marktwirtschaft ausgleichen kann. Allerdings muss auch hier jemand die Kosten übernehmen. Der Staat ist nicht der Samichlaus.

Zudem sollte der Staat die Preise nur auf Basis gründlicher Überlegungen durch Steuern und Subventionen verzerren. Jeder Eingriff birgt das Risiko, die eigentliche Funktion von Preisen zu unterlaufen. Solange Kostenwahrheit gilt, also alle relevanten Kosten in den Preisen enthalten sind, reflektieren Preise die tatsächlichen Knappheiten. Sie zeigen an, was wo und in welcher Menge produziert werden soll. Sie verhindern auch, dass Unternehmen «am Markt vorbei produzieren» und damit Ressourcen verschwenden.

Strukturwandel ist schmerzhaft und notwendig zugleich

Und damit komme ich zum letzten Punkt – der langfristigen Perspektive. Was ist, wenn sich Preise nicht nur kurzfristig verändern? Auch dies erfordert eine kluge Reaktion. Dauerhafte Preisveränderungen zwingen uns zum Strukturwandel. Die hohen Schweizer Löhne haben es beispielsweise in der Vergangenheit unrentabel gemacht, hierzulande massenhaft Textilien herzustellen.

Aus ökonomischer Sicht ist der Strukturwandel die Triebfeder wirtschaftlicher Entwicklung. Für den einzelnen Betrieb, für die einzelne Person ist dies jedoch mitunter sehr schmerzhaft.

Deshalb ist es wichtig, dass nicht nur der Staat, sondern die Gesellschaft insgesamt die Begleiterscheinungen des Strukturwandels adressiert. Unrentable Unternehmen sollten nicht künstlich lange am Leben gehalten werden, sinnlos gewordene Jobs nicht mit Steuergeldern gesichert werden. Stattdessen fordert die Marktwirtschaft uns immer wieder aufs Neue, die richtigen Produkte herzustellen, die richtigen Fähigkeiten zu erlernen.

Und wer könnte das besser als der Kanton St.Gallen? Bei aller Bescheidenheit darf man doch anmerken, dass das Pro-Kopf-Einkommen der St.Galler mit über 90 000 US-Dollar höher ist als in praktisch jedem Land der Welt.

Der Kanton St.Gallen hat einst wichtige Industrien wie die Textilwirtschaft schrumpfen lassen und – ganz wichtig – durch neue ersetzt, in denen die Wertschöpfung höher ist.

Die Vergangenheit sollte uns also Mut machen für die Zukunft. Wir können trotz aller Herausforderungen zuversichtlich nach vorne blicken. Die Voraussetzung dafür ist, dass wir die Preise als Signale nutzen, die Risiken adäquat adressieren und den Strukturwandel zulassen. Kurzum, wenn wir die Regeln der Marktwirtschaft beherzigen.

Dr. Stefan Legge ist Head of Tax & Trade Policy und Vizedirektor am Institut für Law & Economics der Universität St.Gallen. Er lehrt in den Bereichen Internationaler Handel und Makroökonomie. Zudem ist er Mitglied des World Future Council des World Economic Forum (WEF). Im Jahr 2016 wurde seine Dissertation mit dem Preis für die beste wirtschaftswissenschaftliche Dissertation ausgezeichnet. Darüber hinaus hat er das Lehrbuch «Einführung in die Makroökonomik» sowie das Buch «Der Fussball braucht mehr Geld oder andere Regeln» veröffentlicht.