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Politisch heimatlos

Das Verhältnis der IHK zu den Parteien Politisch heimatlos

Robert Stadler

Wie in der Gesellschaft insgesamt spielt auch für die IHK St. Gallen-Appenzell Parteipolitik kaum mehr eine Rolle. Dennoch ergreift die IHK Partei – für ihre Mitgliedunternehmen. Parteipolitisch ist unser Verband aber weitgehend heimatlos geworden. Niemand vertritt die IHK-Positionen vollumfänglich. Die grössten Schnittmengen sind bei SVP und FDP auszumachen – allerdings auch dort mit bedeutenden Abstrichen.

Die eidgenössischen und kantonalen Wahlkämpfe sind geschlagen, der politische Pulverdampf verzieht sich langsam. Auch die IHK St. Gallen-Appenzell hat die Wahlen aktiv begleitet, Informationsarbeit bei den nationalen Wahlen geleistet und Empfehlungen für die St. Galler Regierungswahlen abgegeben. Zentral war dabei stets die Frage, welche Vertreterinnen und Vertreter am ehesten im Sinne unserer Mitglieder politisieren und sich für bestmögliche Rahmenbedingungen einsetzen. Denn wir verstehen uns in erster Linie als Dienstleister für unsere Mitgliedunternehmen.

Klare wirtschaftspolitische Leitplanken

Im Gegensatz zu anderen Verbänden ist der IHK-Vorstand nicht parteipolitisch zusammengesetzt. Von den allermeisten Vorstandsmitgliedern ist nicht einmal bekannt, ob sie überhaupt parteigebunden sind. Trotzdem nimmt unser Vorstand sehr wohl politische Verantwortung wahr: Er diskutiert über Abstimmungsvorlagen und beschliesst Parolen. Dabei ist er jedoch keinen parteipolitischen Winkelzügen verpflichtet und muss auch nicht – auf die nächsten Wahlen schielend – die eigenen Grundwerte verwässern. Stattdessen entscheidet er sachbezogen und im langfristigen Interesse des Wirtschaftsstandortes Ostschweiz.

Bei seinen Entscheiden orientiert sich der IHK-Vorstand jeweils an einem Referenzrahmen, der die aus unserer Sicht entscheidenden wirtschaftsaftspolitischen Leitplanken skizziert: Prosperierende Wirtschaft, funktionierende Marktwirtschaft, liberaler Arbeitsmarkt, freies Unternehmertum, offener Zugang zu Weltmärkten, führender Bildungs- und Forschungsplatz, wettbewerbsfähige Finanz- und Steuerpolitik, leistungsfähige Infrastruktur, sichere und kompetitive Energieversorgung und effizienter Schutz der Umwelt. Jede Abstimmungsparole oder Wahlempfehlung wird jeweils an diesen Positionen gemessen.

IHK-Politrating bildet kantonale Politik ab

Zur Halbzeit der ablaufenden Legislatur im St. Galler Kantonsrat wurde das IHK-Politrating lanciert. Dieses zeigt anhand der Auswertung ausgewählter Abstimmungen im Kantonsparlament, welche Parteien sich im Sinne der IHK wirtschaftsfreundlich verhalten. Kurz vor den letzten Kantonsratswahlen wurde das Rating aktualisiert. Rechnet man das Ergebnis in eine Prozent-Wertung um, wobei 100 % maximale Wirtschaftsfreundlichkeit

und 0 % maximale Wirtschaftsfeindlichkeit bedeuten, dann ergab sich folgendes Bild: Die SVP-Vertreter im Kantonsrat erreichten einen Wert von 77 % Wirtschaftsfreundlichkeit, gefolgt von der FDP mit 72 %. Bereits mit deutlichem Abstand folgten GLP (53 %), CVP (51 %) und die mittlerweile aus dem Parlament verschwundene BDP mit 50 %. Als wirtschaftsfeindlich muss die ebenfalls nicht mehr im neuen Kantonsrat vertretene EVP mit 38 % gelten – gar nicht zu sprechen von der SP (12 %) und den Grünen (10 %).

Aus diesem Ergebnis lässt sich jedoch nicht ableiten, dass die SVP für die IHK St. Gallen-Appenzell per se die wirtschaftsfreundlichste Partei wäre, auch wenn dies von SVP-Vertretern gerne so dargestellt wird. Denn das IHK-Polit­rating beurteilt ausschliesslich die Arbeit der Parteien im St. Galler Kantonsrat. Die Aktivitäten auf eidgenössischer Ebene bleiben ausgeblendet. Öffnet man aber den Blickwinkel, muss leider festgestellt werden, dass keine einzige Partei die Positionen und Werte der IHK wirklich abdeckt:

Beurteilung der einzelnen Parteien

SVP – die Nationalisten

Im St. Galler Kantonsrat ist die SVP die verlässlichste Kraft, um das stetige Staatswachstum zu drosseln. Allerdings ist auch sie nicht vor Schandtaten gefeit. So hatte sie der Motion für eine stärkere Regulierung in der Gastronomie noch deutlich zugestimmt. Die eigentliche Gesetzesrevision dazu lehnte sie dann allerdings knapp ab. Im Rat spielte ausgerechnet ein SVP-Vertreter das Zünglein an der Waage: Dank des Stichentscheides des Kantonsratspräsidenten wurde die protektionistische Gesetzesrevision bachab geschickt. Weit stärker ins Gewicht fallen jedoch viele eidgenössische Positionen der wählerstärksten Partei. Die SVP verdankt ihre Wahlerfolge vor allem dem Schüren von Ängsten gegenüber Ausländern und allen fremden Einflüssen sowie dem Zelebrieren längst vergangener Schweiz-Mythen. Eine solche Grundhaltung steht völlig im Widerspruch zur weltoffenen und zukunftsoptimistischen Sicht einer IHK St. Gallen-Appenzell, die sich seit jeher für offene Grenzen einsetzt. Während die Ostschweizer Wirtschaft weitgehend vom Export in den EU-Raum lebt, torpediert die SVP laufend die Bilateralen Verträge und setzt den wirtschaftlichen Erfolg aufs Spiel.

FDP – die Staatstreuen

Die Liberalen politisieren insgesamt wirtschaftsfreundlich. Sie treten etwas weniger hart auf die Finanzbremse, wehren sich dafür am stärksten gegen protektionistische Tendenzen. Ihre liberale Grundhaltung entspricht am ehesten jener der IHK – zumindest auf dem Papier. Die FDP krankt dafür an ihrer Staatsnähe. Sie war die erste und lange Zeit dominierende Partei auf Bundesebene. Im Kanton St. Gallen war sie hinter der CVP die starke politische Kraft. Die beiden Parteien, die sich in innigem Kulturkampf gegenüberstanden, teilten sich die staatlichen Pfründe untereinander auf. «Staatstragende» FDP bedeutete vor allem, dass sich viele Parteigänger im Solde des Staates wiederfanden, während die Partei das Lied von der freien Marktwirtschaft und dem schlanken Staat sang. Dies ist in abgeschwächter Form noch heute so. Die FDP ist noch immer ein guter Nährboden für viele Karrieren in der öffentlichen Verwaltung. Die Staatsnähe ist an der Delegation im St. Galler Kantonsrat abzulesen: Von der neu 26-köpfigen Fraktion bezieht mehr als die Hälfte den Lohn vom Steuerzahler; zehn FDP-Ratsmitglieder präsidieren eine Gemeinde oder Schulbehörde. So wirtschaftsfreundlich die Einzelnen auch denken mögen: Es bestehen Abhängigkeiten zum Staat, die in ihrer Politik früher oder später zum Tragen kommen.

CVP – die undefinierbare Mitte

Ähnlich liegt der Fall bei der CVP. In den Kantonen Appenzell Innerrhoden und St. Gallen war die CVP die dominierende Partei. Seit der Einführung des proportionalen Wahlverfahrens 1912 erreichte sie im Kanton St. Gallen bis zu den 90er Jahren stets einen Wähleranteil von über 40 %. Einzig während des zweiten Weltkrieges sank dieser minim unter diese Marke. In den 1970er Jahren hielt die CVP sogar die absolute Mehrheit im Kantonsparlament. Tempi passati. Bei den letzten Kantonsratswahlen erreichten die Christdemokraten gerade noch 20 % und liegen gleichauf mit dem Freisinn. Die traditionelle Macht spiegelt sich aber wie bei der FDP in zahlreichen Verwaltungskarrieren mit CVP-Parteibuch. Hinzu kommt, dass die Partei trotz immer schmaler werdenden Basis nach wie vor sehr breit aufgestellt ist: Hier treffen stramm Bürgerliche auf Christlichsoziale oder konservative Landvertreter auf liberalere Städter. Nicht umsonst gilt die CVP als politisch unsicherer Partner, der zwischen den Positionen laviert und niemandem zu fest auf die Füsse tritt.

SP und Grüne – die Geldverteiler

Wenig zu sagen gibt es zu den beiden linken Parteien, SP und Grüne. Mit Ausnahme gewisser Positionen in der Aussen- oder in der für einen Wirtschaftsverband weniger relevanten Gesellschaftspolitik gibt es in den Zielen und Massnahmen wenig Gemeinsamkeiten. In den meisten für die Wirtschaft wichtigen Themen wie Arbeitsrecht, Sozialstaat oder Regulierungsdichte vertreten die Sozialdemokraten und Grünen das Gegenteil einer freien Marktwirtschaft. Sie meinen es gut, verteilen Geschenke und nehmen in Kauf, dass damit langfristig der Wirtschaftsstandort und die Arbeitnehmenden Schaden nehmen.