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Neue Köpfe bringen Wirtschaftskompetenz

Rückblick auf die eidgenössischen Wahlen vom 18. Oktober 2015 Neue Köpfe bringen Wirtschaftskompetenz

Robert Stadler

Nach den Nationalratswahlen sieht die Nettorechnung für den Kern der Ostschweiz, also die Kantone St. Gallen, Thurgau und die beiden Appenzell, aus Sicht der Wirtschaft erfreulich aus. Die Bürgerlichen legten zu (SVP: + 2, FDP: + 1), und Mitte-Links verlor (GLP: −2, GP: −1). Die Ostschweizer Nationalratsdelegation ist damit deutlich wirtschaftsfreundlicher geworden. Es bleibt zu hoffen, dass die SVP ihre Verstaatlichungsphantasien in der Landwirtschaft und im Arbeitsmarkt überwindet und ihre neue Kraft im Sinne der Gesamtwirtschaft nutzen kann.

Die IHK St. Gallen-Appenzell wählte bei diesen eidgenössischen Wahlen ein neues Vorgehen. Statt wie bisher eine Wahlempfehlung mit einer vorgegebenen Kandidatenliste zu veröffentlichen, wurde mit einem IHKfacts-Sonderheft und der Online-Plattform www.wir-wählen-wirtschaft.ch Transparenz geschaffen. So konnten die Wählerinnen und Wähler selbst feststellen, welche wirtschaftsnahen Kandidierenden ihnen am nächsten stehen. Erklärtes Ziel der Wahlplattform war es, dass vermehrt Persönlichkeiten die Interessen der Ostschweiz in Bundesbern wahrnehmen, die nicht den Staat oder staatsnahe Branchen vertreten. Kandidierende aus der privaten Wirtschaft sollten dazu über die Parteigrenzen hinaus mit Panaschierstimmen unterstützt werden, damit diese innerhalb ihrer Liste möglichst gut abschneiden.
Dieses Ziel konnte erreicht werden. Im Vergleich zu den Wahlen 2011 schafften in der Ostschweiz mehr Personen aus der Privatwirtschaft den Sprung nach Bern. Es sieht so aus, als ob viele Bürgerinnen und Bürger zum Schluss kamen, dass dem Trend der letzten Jahre zu immer mehr Staatswirtschaft, Regulierung und Bürokratie ein Riegel geschoben werden muss. Es wäre zu hoffen. Der durchschlagende Erfolg der SVP relativiert diese Hoffnung jedoch etwas. Die wählerstärkste Partei hat weniger mit ihrer Wirtschaftskompetenz gepunktet als vielmehr wegen ihrer (fast ausschliesslichen) Fokussierung auf die Flüchtlingsthematik. Vor lauter Furcht vor in die Schweiz strömenden Ausländern ging vergessen, dass die Abschottungspolitik der SVP im Widerspruch zu den Interessen der exportorientierten Unternehmen steht. Es ist zu hoffen, dass die SVP ihre Verstaatlichungsphantasien in der Landwirtschaft oder im Arbeitsmarkt überwindet und stattdessen ihre Kraft im Nationalrat in den kommenden Jahren für eine Politik im Sinne der Gesamtwirtschaft einsetzt.

St. Gallen: IHK-Mitglieder neu gewählt

Werfen wir einen Blick in die einzelnen Ostschweizer Kantone: Im Kanton St. Gallen legten SVP und FDP je einen Sitz zu. Für die SVP wird Kantonsrätin Barbara Keller-Inhelder neu in die grosse Kammer einziehen, für die FDP der Digitec-Gründer Marcel Dobler. Beide sind Mitglied der IHK und wurden in der IHK-Wahlplattform empfohlen. Die neue SVP-Nationalrätin darf zudem für sich in Anspruch nehmen, beim IHK-Politrating vom letzten Sommer die Bestwertung erreicht zu haben. Den Sitz der zurückgetretenen Lucrezia Meier-Schatz konnte sich der CVP-Fraktionschef im Kantonsrat, Thomas Ammann, dank der Listenverbindung mit der BDP gerade noch ergattern. Er dürfte tendenziell wirtschaftsfreundlicher agieren als seine Vorgängerin aus dem linken CVP-Flügel. Ihre Plätze räumen müssen hingegen die Grüne Yvonne Gilli und Mar­grit Kessler von den Grünliberalen. Zwar sank der Wähler­anteil der SP im Kanton St. Gallen mit −2,5 % deutlich stärker als jener der Grünen, aber innerhalb der rot-grünen Listenverbindung reichte es dennoch zur Sicherung der beiden SP-Sitze. Die Grünliberalen mussten im Gegensatz zu 2011 (fast) ohne Listenverbindung ins Rennen steigen. Wie erwartet war die GLP – auf sich alleine gestellt – nicht stark genug, um ihren Sitz zu verteidigen.
Falls es während der Amtsdauer zu Rücktritten kommen sollte, könnte die St.Galler «Wirtschaftsfraktion» sogar noch weiter zulegen: Bei der CVP schaffte es mit Olma-Direktor Nicolo Paganini ein liberaler CVP-Vertreter auf den ersten Ersatzplatz. Bei der FDP kann DGS-Verwaltungsratspräsident Walter Locher auf ein Nachrutschen hoffen und bei der SVP sitzen mit Mike Egger und Christof Hartmann ebenfalls Vertreter der Privatwirtschaft im Wartesaal nach Bern. Sie alle wurden in der Wahlplattform der IHK empfohlen.

Thurgau schickt Unternehmer nach Bern

Auch im Kanton Thurgau büssten die Grünliberalen einen Sitz ein, den sie vor vier Jahren dank geschickter Listenverbindungen errungen hatten. Die FDP holt sich den damals verlorenen Nationalratssitz wieder zurück und schickt mit Hermann Hess einen Unternehmer nach Bern. Der neue FDP-Mann ist ein kreativer und unkonventioneller Kopf, der als VR-Präsident und Mitinhaber als Retter der Schweizerischen Bodensee-Schifffahrtsgesellschaft gilt. Der Thurgauer IHK-Präsident Christian Neuweiler schaffte es mit nur wenigen Stimmen Rückstand auf den vierten Platz innerhalb der FDP-Liste. Bei der SVP steht Unternehmerin Diana Gutjahr als erster Ersatz in den Startpflöcken.

KMU-Vertreter für Appenzell Ausserrhoden

Gesamtschweizerisch gehörte die FDP zu den Siegern, verlor aber in ihrer Stammlande Appenzell Ausserrhoden den traditionellen Nationalratssitz. Allerdings hat es auch hier für einen Unternehmer gereicht: Für den in den Ständerat wechselnden Andrea Caroni politisiert neu David Zuberbühler in Bundesbern. Der Herisauer führt zusammen mit seinem Bruder drei KMU-Betriebe.

Insgesamt ist festzuhalten, dass die eidgenössischen Wahlen 2015 aus Sicht der Ostschweizer Wirtschaft erfreulich verliefen. Doch Wahlerfolge allein nützen herzlich wenig, wenn die daraus folgende Politik nicht auch eine entsprechende Korrektur erfahren würde. Wir werden sehen.

Keine Veränderung im Ständerat

Im Kanton Appenzell Ausserrhoden konnte Andrea Caroni den freigewordenen Ständeratssitz ohne Probleme für die FDP sichern. In den anderen Ostschweizer Kantonen traten überall die Bisherigen ein weiteres Mal an. Dennoch versprach der Ständeratswahlkampf im Kanton St. Gallen ein spannendes Rennen. Nach der souveränen Wiederwahl von Karin Keller-Sutter im ersten Wahlgang trat mit SVP-Nationalrat Thomas Müller nur noch ein Bürgerlicher gegen Gewerkschaftsboss Paul Rechsteiner an – eine vielversprechende Ausgangslage. Leider gelang es nicht, der Bevölkerung aufzuzeigen, dass der SP-Kandidat mit seinen Positionen links an den St. Gallerinnen und St. Gallern vorbeipolitisiert und meistens in Opposition zum Volk steht. Stattdessen wurde der Schein eines Dream-Teams Karin Keller-Sutter / Paul Rechsteiner erfolgreich gepflegt.