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Kräfte bündeln und klare Schwerpunkte setzen

Die Vorsteher der Ostschweizer Volkswirtschaftsdepartemente im Gespräch Kräfte bündeln und klare Schwerpunkte setzen

Regierungsrätin Marianne Koller-Bohl

Robert Stadler, stv. Direktor IHK

Marianne Koller-Bohl für Appenzell Ausserrhoden, Daniel Fässler für Appenzell Innerrhoden und Benedikt Würth für St. Gallen: Die drei Regierungsmitglieder führen in ihren Kantonen das Volkswirtschaftsdepartement und nehmen im Interview Stellung zu den Stärken und Schwächen der Ostschweiz, zur wirtschaftlichen Dynamik in unserer Region, der Zusammenarbeit zwischen den Kantonen und der geplanten Landesausstellung Expo 2027.

Bei vielen Kennzahlen wie der Beschäftigungs- oder der Exportentwicklung schneidet die Ostschweiz schlecht ab und verliert im schweizweiten Vergleich an Boden. Was machen die anderen Regionen besser?

Daniel Fässler: Die Entwicklung der Ostschweiz als Ganzes (unter Einbezug der Kantone Glarus, Schaffhausen und Graubünden) war in den letzten Jahrzehnten im Vergleich zu anderen Regionen der Schweiz tatsächlich ungenügend. Ich sehe verschiedene Gründe, die dazu geführt haben: Die relativ periphere Lage, ein im universitären Bereich ungenügendes Angebot und zu wenig Forschungseinrichtungen führen zu einem Brain Drain, vor allem in Richtung Zürich. Diese Nachteile konnten bisher nicht mit den Chancen kompensiert werden, die sich aus der Nähe zu den Wirtschaftsräumen Vorarlberg und Baden-Württemberg bieten. Die Staatsgrenzen sind weiterhin ein Hindernis, und die Verkehrsverbindungen noch immer ungenügend. Damit ist auch gesagt, wo wir ansetzen müssen.

Marianne Koller-Bohl: Die Ostschweiz hat andere Standortvoraussetzungen. So wurde die Ostschweiz mit ihrem überdurchschnittlichen Industrieanteil und einer starken Export­orientierung sehr stark von der Aufhebung des Euro-Mindestkurses getroffen. Zudem ist die KMU-geprägte Unternehmenslandschaft mit den vielen Zulieferbetrieben in der Ostschweiz sehr vielfältig, dafür fehlt uns ein ­eigentlicher Cluster. Die Ostschweiz ist insgesamt weniger international und es fehlen ­Forschungseinrichtungen, eine technische Universität oder ein Innovationspark. Unsere Vorzüge liegen in anderen Bereichen.

Regierungsrat Benedikt WürthBenedikt Würth: Der soeben publizierte kantonale Wettbewerbsindikator der UBS zeichnet ein differenziertes Bild. Die Ostschweiz ist in vielen Bereichen gut unterwegs, aber es trifft zu, dass wir in der Regel nicht in den Spitzenrängen positioniert sind. Wir sind meistens im Mittelfeld. Dies hat auch mit der gewachsenen Branchenstruktur zu tun. Unsere Schwerpunkte liegen weder in der Finanz- noch in der Life-Science-Industrie, wo die Dynamik und Wertschöpfung besonders hoch ist. Umgekehrt sind die Arbeitsmarktdaten in der Ostschweiz überdurchschnittlich positiv. Zudem entwickelt sich das verfügbare Haushaltseinkommen im Vergleich zu den Top-Standorten günstiger. Dies hat mit den vergleichsweise tieferen Lebenshaltungskosten zu tun. Ich bin der klaren Meinung, dass die Ostschweiz zahlreiche Stärken hat, auf diesen muss man weiter aufbauen. Von Jammern halte ich rein gar nichts.

Was kann die Politik unternehmen? Welche Pfeile haben Sie im Köcher?

Benedikt Würth: Die St. Galler Regierung hat in ihrer langfristigen Strategie «Wirtschaftsstandort 2025» verschiedene Schwerpunkte formuliert. Zentral ist der Bereich Bildung, Forschung und Innovation. Darum ist es auch wichtig, die Universität und die Fachhochschulen weiter zu stärken. Dabei müssen wir auch vernetzter denken. So ist kaum bekannt, dass die beiden Fachhochschulen Rapperswil und Buchs zusammen die drittgrösste Technische Fachhochschule in der Schweiz bilden. Wir haben es leider in der Vergangenheit oft verpasst, die Kräfte zukunftsorientiert zu bündeln und klare Schwerpunkte zu setzen. Vielfach ging Energie in unnützen Positionskämpfen innerhalb der Ostschweiz oder des Kantons verloren. In der Innovationsförderung müssen wir uns konsequent nach den Bedürfnissen der Unternehmen ausrichten. Das ist auch die Philosophie des Forschungs- und Innovationszentrums Rheintal. Auch ein Netzwerkstandort des Schweizerischen Innovationsparks muss diesem Anspruch gerecht werden. Mit anderen Worten: Die Politik allein kann es nicht richten. In der Innovationsförderung müssen die Unternehmen ihre Anliegen klar formulieren und auch bereit sein, in gemeinsame Netzwerke zu investieren.

Marianne Koller-Bohl: Auch ich sehe es so: Die Politik alleine «rettet» die Ostschweiz nicht! Sie kann lediglich Rahmenbedingungen setzen und auch das funktioniert nicht als Kanton alleine. Eine verstärkte interkantonale Zusammenarbeit, aber auch eine Partnerschaft zwischen Politik und Wirtschaft ist entscheidend. Es muss unser ganz grosses Anliegen sein, in Sachen Aus- und Weiterbildung den Anschluss an die Megaentwicklungen wie Industrie 4.0 nicht zu verpassen. So wurden in letzter Zeit wichtige Projekte in dem Bereich vorangetrieben und auch bei der Fachkräftegewinnung arbeiten Kantone und Wirtschaft eng zusammen.

Daniel Fässler: Auch wenn diese Aussage oft gemacht wird: Es gilt die Rahmenbedingungen zu verbessern. Dabei denke ich nicht nur an Steuern, sondern an alle Aspekte, welche unternehmerische und persönliche Entscheide beeinflussen. Appenzell Innerrhoden hat dies schon früh erkannt, die Entwicklung ist entsprechend positiv. Wir konnten in den letzten zehn Jahren trotz des Strukturwandels in der Landwirtschaft und des damit einhergehenden Verlustes von Beschäftigung in dieser für unseren Kanton wichtigen Branche ein schönes Beschäftigungswachstum verzeichnen. Die Bevölkerung wächst als Folge davon auch wieder stärker. Erfreulich ist insbesondere, dass die Wertschöpfung der Innerrhoder Volkswirtschaft deutlich gestärkt wurde. Die Produktivität (gemessen am BIP) wuchs von 2003 bis 2013 im Vergleich aller Kantone am zweitstärksten. Zum Schluss: Es ist wichtig, dass die Bevölkerung die Vorteile des Wachstums erkennt. Nur dann werden politische Massnahmen, die eine wirtschaftliche Entwicklung fördern, auch mitgetragen.

Die Ostschweizer Regierungskonferenz hat kürzlich einen Forderungskatalog aufgestellt und verlangt, dass die Ostschweiz wieder im Bundesrat vertreten sein soll und dass die Ostschweizer Zollstellen nicht geschlossen werden sollen. Welche Reaktionen haben Sie auf diese Forderungen erhalten?

Benedikt Würth: Das Anliegen der Ostschweizer Zollstellen ist in Bern angekommen. Ich hoffe, dass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Bezüglich der Ostschweizer Vertretung im Bundesrat hat man generell Verständnis für unsere Haltung.

Daniel Fässler: Bisher habe ich kaum Reaktionen erhalten. Einzig von Nationalratskollegen aus der Zentralschweiz wurde ich darauf hingewiesen, dass ihre Region seit längerer Zeit auch nicht mehr im Bundesrat vertreten ist.

Herr Würth, das zweifach gescheiterte Projekt eines nationalen Innovationsparkes in St. Gallen ist ein «Tolggen» in ihrem regierungsrätlichen Reinheft. Wie geht es mit dem Projekt weiter?

Benedikt Würth: Natürlich bin ich enttäuscht, dass es mit dem Netzwerkstandort nicht geklappt hat. Teilweise war die Kritik unberechtigt. Hingegen trifft es zu, dass die Vernetzung mit der Wirtschaft zu wenig tief und zu wenig sichtbar war. Wir haben uns anfangs Jahr zusammen mit der Empa und der IHK entschieden, in einem ersten Schritt Massnahmen zu treffen, um den Empa-Standort St. Gallen zu stärken. Diesen Prozess wollen wir zusammen mit Industriepartnern vorantreiben. In einem zweiten Schritt kann ich mir gut vorstellen, dass wir nochmals eine Eingabe für einen Netzwerkstandort Ost des schweizerischen Innovationsparks machen. Entscheidend ist aber, dass neben einer thematischen Fokussierung ein klares Bekenntnis von Politik, Forschung und Wirtschaft vorhanden sind. Nur so macht eine neuerliche Eingabe Sinn. Die Regierung ist nach wie vor bereit, hier zu investieren. Es braucht aber gemeinsame Schritte mit der Wirtschaft. Rein staatlich gelenkte Innovationspolitik ist sicher kein erfolgreicher Ansatz.

Die St. GallenBodenseeArea (SGBA) koordiniert die Standortpromotion über die Kantonsgrenzen SG, TG, AR und AI hinaus. Wie sind die Erfahrungen?

stillstehender Landammann Daniel FässlerDaniel Fässler: Für mich positiv, auch wenn sich für Appenzell Innerrhoden noch wenig Zählbares ergeben hat, und wir – bezogen auf die Kantonsgrösse – einen weit überproportionalen personellen und finanziellen Beitrag leisten. Wir machen trotzdem aus Überzeugung mit. Zwar sind wir bei der Standortpromotion Konkurrenten, können als Einheit die unterschiedlichen Vorzüge der Region aber überzeugender präsentieren. Gelingt es, eine neue Firma in einem Ostschweizer Nachbarkanton anzusiedeln, ist dies sicher positiv für die Ostschweiz als Ganzes. Die SGBA ist für mich ein illustratives Beispiel der guten Zusammenarbeit zwischen unseren Kantonen.

Marianne Koller-Bohl: 2011 haben sich die vier Kantone entschieden, die internationale Standortpromotion gemeinsam unter dem «Label» St. GallenBodenseeArea zu betreiben und gegen aussen gemeinsam aufzutreten. Diese Zusammenarbeit – wenn auch mit deutlich geringeren Mitteln als andere Regionen in der Schweiz – hat sich bewährt. In den vergangenen vier Jahren konnten so rund 140 Unternehmen mit über 1000 Arbeitsplätzen angesiedelt werden. Allerdings steckt in dieser Zusammenarbeit meines Erachtens noch Potenzial. Ich wünsche mir, dass die Marke St. GallenBodenseeArea auch nach innen gezielt verwendet werden könnte.

Benedikt Würth: Auch aus unserer Sicht sind die Erfahrungen positiv. Wir können nun international als «Area» auftreten und sind nicht mehr ein sogenannter «independant Canton». Wir sind die drittgrösste Area der Schweiz. Wie bereits gesagt, sind wir im Vergleich zu den anderen Areas sehr schlank aufgestellt. Dies weil die SGBA keine Zusatzorganisation ist, sondern aus Mitarbeitenden der Standortpromotionen aus den vier Ämtern für Wirtschaft und Arbeit besteht. Zudem arbeiten die vier Kantone vermehrt auch in anderen Projekten eng zusammen, z.B. bei Veranstaltungen wie Pro Ost oder neu beim Projekt Employer Branding zur besseren Positionierung des Ostschweizer Arbeitsmarkts.

Dennoch erhält man das Gefühl, dass die Zusammenarbeit zwischen den Ostschweizer Kantonen nicht reibungslos funktioniert. Wo liegt das Problem?

Daniel Fässler: Die Regierungsräte der Ostschweiz respektieren sich gegenseitig im Bewusstsein, dass die Kantone eigenständige Staatswesen sind, und zwar unabhängig von ihrer Grösse. Eine Zusammenarbeit kommt dann zustande, wenn sie für die involvierten Kantone als Ganzes von Vorteil ist und dem einzelnen Kanton keine Nachteile bringt. Eine funktionierende Zusammenarbeit setzt voraus, dass man sich in der Analyse der Ausgangslage und bei der Festlegung der Handlungsoptionen einig ist. Problematisch wäre es, wenn ein Kanton den Führungsanspruch erheben und von den Nachbarkantonen Zusammenarbeit einfordern würde, ohne diese echt zu partizipieren.

Marianne Koller-Bohl: Politik ist immer auch Interessenvertretung. Gute Zusammenarbeit zeichnet sich dadurch aus, dass sie Reibungsflächen erträgt. Die Zusammenarbeit der Ostschweizer Kantone funktioniert gut und ist sehr konstruktiv. Dies zeigte sich anfangs April eindrücklich beim Spatenstich zur Durchmesserlinie Appenzell-St. Gallen-Trogen. Unsere drei Kantone sowie die Stadt St. Gallen haben sich gemeinsam und intensiv dafür eingesetzt, dass diese wichtige Verkehrsinfrastruktur ausgebaut werden kann.

Benedikt Würth: Es liegt in der Natur der Sache, dass nicht alle Projekte von allen Kantonen gleich beurteilt werden – zudem sind auch die Herausforderungen in den Kantonen teilweise unterschiedlich. Trotzdem liegt mir viel an einer engeren Zusammenarbeit in der Ostschweiz. Und in vielen Projekten gelingt dies auch sehr gut. Wir haben viele interkantonale Projekte am Laufen, das Bekannteste ist die Expo 2027. Gerade auch hinsichtlich der Expo müssen wir die Kräfte wirtschaftlich und touristisch aber noch besser bündeln. Ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam stärker sind als die Summe der Einzelauftritte. Dies gilt nicht nur für die internationale Positionierung, sondern auch für die Vertretung der innenpolitischen Anliegen in Bern.

Frau Koller-Bohl, die Unternehmenssteuer-Reform in Ihrem Kanton trägt mittlerweile Früchte, die Gewinn- und Kapitalsteuern steigen dank Neuansiedelung von Firmen. Diese Unternehmen schufen seit 2008 rund 1000 neue Arbeitsplätze. Beginnt für Ausserrhoden eine goldene Ära?

Regierungsrätin Marianne Koller-BohlMarianne Koller-Bohl: Appenzell Ausserrhoden war schon immer ein goldener Standort und neben den tiefen Unternehmenssteuern gibt es noch weitere USPs, die für unseren Kanton sprechen! Die Gewinn- und Kapitalsteuern sind nicht nur dank Neuansiedlungen gestiegen. Auch unsere teilweise seit vielen Jahren erfolgreich bestehenden Unternehmen haben zu dieser erfreulichen Entwicklung massgeblich beigetragen und haben entscheidend in den Standort Appenzell Ausserrhoden investiert. Wir müssen deshalb unseren Unternehmen – neuen wie bestehenden – weiterhin Sorge tragen. Es ist wichtig, dass die Politik ein verlässlicher Partner für die Unternehmen ist.

Die in der Ostschweiz geplante Landesausstellung Expo 2027 solle die Zusammenarbeit innerhalb unseres Landesteils fördern. Ketzerisch gefragt: Brauchen die Ostschweizer Kantone zuerst ein 2-Milliarden-Projekt, um richtig zusammenarbeiten zu wollen?

Benedikt Würth: Die verstärkte Zusammenarbeit in der Ostschweiz ist ein willkommener Nebeneffekt der Expo. Hauptsächlich geht es aber darum, die Tradition der Landesausstellungen weiterzuentwickeln. Wir wollen die Chance nutzen, unseren Landesteil im nationalen und internationalen Schaufenster optimal zu präsentieren. Gerade mit Blick auf den zunehmenden Kampf um Talente und Fachkräfte ist es von grosser Wichtigkeit, dass die Ostschweiz sich als aufstrebende und fortschrittliche Region positionieren kann.

Daniel Fässler: Ich verstehe die Expo nicht als Projekt zur Förderung der internen Zusammenarbeit. Eine Landesausstellung dient dem Zusammenhalt in der Schweiz und würde der Ostschweiz die Gelegenheit bieten, sich auch jenen zu präsentieren, die sonst nicht in diesen Landesteil kommen.

Marianne Koller-Bohl: Landesausstellungen waren schon immer ein Ausdruck der Willensnation Schweiz! Wie erwähnt arbeiten die Ostschweizer Kantone schon heute gut zusammen. Wir sind aber überzeugt, dass die Expo 2027 dies noch verstärken wird. Gemeinsame Projekte schweissen zusammen!

Herr Fässler, Appenzell Innerrhoden steht beim Expo-Projekt nach wie vor abseits. Wie lange noch?

Daniel Fässler: Nachdem der Regierungsrat des Kantons Thurgau Ende 2010 die Idee einer Expo lanciert hatte, befasste sich die Standeskommission des Kantons Appenzell Innerrhoden sehr eingehend damit. Nach Abwägen aller Argumente entschied sie sich zusammen mit den ebenfalls angefragten Kantonen Schaffhausen, Glarus und Graubünden, eine Absichtserklärung nicht zu unterzeichnen. Im bisherigen Verlauf der Projektvorbereitung wurde den Trägerkantonen wiederholt zugesichert, den Entscheid nochmals zu überprüfen, wenn absehbar ist, an welchen Standorten die Landesausstellung und die damit zusammenhängenden Infrastrukturinvestitionen realisiert werden und welche Kosten auf Appenzell Innerrhoden entfallen. Der im Konzeptwettbewerb obsiegende Beitrag «Expedition27» sieht gemäss Jurybericht keinen direkten Einbezug von Appenzell Innerrhoden vor. Dies liesse sich vermutlich noch ändern. Noch immer unbekannt ist, mit welchen Kosten die Trägerkantone zu rechnen haben. Ich schliesse nicht aus, dass Innerrhoden sich dem Expo-Projekt noch anschliesst. Vorderhand sind die Voraussetzungen dazu aber noch nicht erfüllt.