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Die Ostschweiz – aus Sicht von Bundesbern

Weshalb unsere Region zu wenig gehört wird Die Ostschweiz – aus Sicht von Bundesbern

Dr. Hans Altherr, IHK-Vorstandsmitglied / ehem. Ständerat AR

IHK-Vorstandsmitglied Hans Altherr kennt die Politik aller staatlichen Ebenen aus eigener Erfahrung: Er war Gemeindepräsident, Kantonsrat, Regierungsrat sowie Landammann und vertrat schliesslich während gut 10 Jahren den Kanton Appenzell Ausserrhoden im Ständerat. Damit bringt er die idealen Voraussetzungen mit, um über das nicht immer einfache Verhältnis zwischen der Ostschweiz und dem Rest der Schweiz zu reflektieren. Für IHKfacts gibt er eine persönliche Einschätzung ab, weshalb die Ostschweiz aus Sicht von Bundesbern kleiner erscheint, als sie eigentlich ist.

«Heute habe ich zum ersten Mal bemerkt, dass auch die Ostschweiz eine Minderheit ist in der Schweiz.»

«Die Schweiz besteht aus lauter Minderheiten.»

alt Ständerat Hans AltherrDiese beiden Aussagen fielen vor etwa 15 Jahren, am Rande einer Aussprache zwischen einer Delegation des Bundesrates mit einer solchen der Ostschweizer Regierungen zum Thema Diskriminierung der Ostschweiz gegenüber anderen Landesteilen. So geäussert haben sich damals zwei Bundesräte, und ich glaube, sie haben beide recht. Warum?

Die Schweiz besteht aus lauter Minderheiten: In letzter Zeit waren es in erster Linie die Italienisch Sprechenden, die sich als Minderheit bemerkbar machten: Immigration, Grenzgänger, kein Bundesrat, 2. Gotthardröhre usw. Es waren aber auch schon die Alpenkantone, die Westschweiz, die Grenzgebiete ganz allgemein, ja selbst die Innerschweiz. Die Opferrolle ist eben attraktiv.

Nur die Ostschweiz spielt in diesem Konzert nicht mit. Das denkt, wer den Medien glaubt, die das immer wieder kolportieren. Es scheint aber auch etwas dran zu sein, wenn man die oben zitierte erste Aussage eines (übrigens Westschweizer, genauer Walliser) Bundesrates kennt. Grund genug also, dieses Thema etwas näher zu betrachten.

Wo beginnt, wo endet die Ostschweiz?

Meines Erachtens gibt es verschiedene objektive und subjektive Gründe dafür, dass die Ostschweiz von Bern aus gesehen markant kleiner erscheint als zum Beispiel die Westschweiz.

Zu den objektiven Gründen gehört, dass die Ostschweiz keine klaren Grenzen hat. Für das St. Galler Tagblatt ist es das Einzugsgebiet der Zeitung, SRF zählt Graubünden jeweils zusätzlich zur Ostschweiz, für die Regierungen gehören neben den Kantonen St. Gallen, Thurgau und beiden Appenzell auch Glarus, Graubünden und Schaffhausen dazu. Objektiv ist auch festzustellen, dass die Ostschweiz kein klares Zentrum hat. St. Gallen ist es nicht mal für den ganzen Kanton, geschweige denn für die ganze Ostschweiz. Am stärksten ins Gewicht fällt aber wohl die Sprache. Einen Romand oder einen Tessiner nimmt man in Bundesbern sofort als Vertreter einer Minderheit wahr, einen Ostschweizer nicht.

Wir fordern weniger vom Staat

Zu den subjektiven Gründen zähle ich die Tatsache, dass sich die Helvetier mindestens seit der Völkerwanderung tendenziell nach Westen und nach Süden orientieren. Was im Osten und im Norden liegt, wird weniger bereist und damit auch weniger wahrgenommen. Unter diesem Aspekt ist auch, was oft getan wird, festzuhalten, dass die Ostschweizer ganz generell zurückhaltender sind, wenn es um Forderungen gegenüber dem Staat geht. Das Subsidiaritätsprinzip gilt noch. Forderungen werden nur gestellt, wenn man ein Problem nicht mehr selbst lösen kann und wenn man vollkommen überzeugt ist, dass sie Sinn machen. Oft sind wir Ostschweizer zu bescheiden, zu zurückhaltend. Oft gelingt es uns auch nicht, uns auf eine Position zu einigen. Der nationale Innovationspark ist dafür ein negatives Beispiel, das Bundesverwaltungsgericht ein positives.

Auch wir sind eine Minderheit

Was ist zu tun? Zunächst darf festgestellt werden, dass die Ostschweizer Regierungskonferenz ihre Präsenz in Bern in den letzten Jahren markant verbessert hat. Zu Beginn jeder Session werden verschiedene Themen gemeinsam und kohärent vorgetragen. In vielen Bereichen ist aber der politische Wille, gemeinsam vorzugehen, kaum vorhanden. Ergreift St. Gallen den Lead, sind die anderen skeptisch, wenn nicht ablehnend. Überlässt St. Gallen die Initiative den anderen Kantonen, passiert wenig bis nichts. Hier ist Grundlagenarbeit zu leisten. Die Expo 2027 kann dabei helfen.

Und schliesslich gilt in Abwandlung des eingangs erwähnten Zitates eines (Zürcher) Bundesrates:

Die Schweiz besteht aus lauten Minderheiten. Machen wir uns also verstärkt bemerkbar!