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Die demografische Herausforderung

Fakten zur AHV und beruflichen Vorsorge Die demografische Herausforderung

Dr. Frank Bodmer, Leiter IHK-Research

So erfreulich die steigende Lebenserwartung ist, so gross sind die Her­ausforderungen, vor die sie uns stellt. Die zunehmende Alterung der Bevölkerung hat nicht nur Auswirkungen auf AHV und berufliche Vorsorge, sondern auch auf die Ausgaben in den Bereichen Gesundheit und Pflege. Zudem reduziert ein Rückgang der erwerbstätigen Bevölkerung das Wachstumspotenzial. Das heutige System führt zu einer massiven Umverteilung von Jung zu Alt.

Die Bevölkerung der Schweiz durchläuft im Moment eine tief greifende Transformation. Die Leute leben immer länger, die Geburts­raten nehmen ab. Als Folge steigt der Anteil der älteren Personen an der Bevölkerung. 1950 lag der Anteil der Personen mit 65 und mehr Jahren bei 10 %, 1980 bei 14 % und aktuell bei 18 %. Die grösste Veränderung steht uns aber noch bevor. Seit einigen Jahren erreichen die geburtenstarken Nachkriegsjahrgänge, die sogenannten Baby-Boomer, das Rentenalter. Nach dem mittleren Szenario des Bundes steigt der Anteil der Rentner bis 2035 auf 25 % und bis 2060 auf 30 % (siehe Abbildung). Die Schweiz hat dabei gegenüber anderen Industrieländern den Vorteil, dass die Immigration vermutlich hoch sein wird. Dies allein erhöht den Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter.

Vielzahl von Herausforderungen

Die Alterung der Gesellschaft stellt Politik und Wirtschaft vor fundamentale Herausforderungen. Offensichtlich sind diese in der Altersvorsorge, wo sowohl die Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV) als auch die Berufliche Vorsorge (BV) betroffen sind. Einen hohen Finanzierungsbedarf haben aber auch Gesundheit und Pflege. Zudem reduziert ein Rückgang der erwerbstätigen Bevölkerung das Wachstumspotenzial, was das Vorsorge- und Finanzierungsproblem noch weiter verschärfen wird.

Rentenalter zur Disposition

Die AHV beruht auf einem Umlageverfahren, wobei die laufenden Renten durch die laufenden Beiträge der Erwerbstätigen finanziert werden, ergänzt durch allgemeine Steuermittel. Zudem existiert ein Ausgleichsfonds als Reserve für Schwankungen und zukünftige Leistungen, welcher sich im Moment auf etwa 110 % der jährlich ausbezahlten Renten beläuft. Das sinkende Verhältnis von Erwerbsfähigen zu Rentnern wird die AHV ohne Anpassungen bei den Parametern in Schieflage bringen. Das Rentenalter ist gewissermassen die fundamentale Steuerungsgrösse bei der AHV. Mit einer signifikanten Erhöhung liesse sich das System wieder ins Lot bringen. Auch eine Flexibilisierung des Pensionierungsalters nach oben könnte bereits einiges bringen. Dies hätte zudem den gewünschten Nebeneffekt, das Wachstumspotenzial zu erhöhen. Alternative Massnahmen, die auch in Ergänzung dazu eingesetzt werden können, sind eine Senkung der Renten (für alle oder für einen Teil der Rentner), eine Erhöhung der Beiträge der Erwerbstätigen oder eine Erhöhung der allgemeinen Steuermittel. Bei der Finanzierung über Steuermittel leisten die Rentner einen grösseren Eigenbeitrag als bei einer Erhöhung der AHV-Beiträge. In beiden Fällen ist aber mit negativen Auswirkungen auf Wohlstand und Wachstum zu rechnen, da Steuern und Abgaben die Anreize zum Arbeiten, Sparen und Investieren negativ beeinflussen.

Umverteilung von Jung zu Alt

Im Moment besteht keine politische Mehrheit für den einen oder anderen Weg zur Stabilisierung der AHV. Dabei sind die fundamentalen Zusammenhänge klar: Das heutige System führt zu einer massiven Umverteilung von Jung zu Alt. So wurde die implizite Verschuldung berechnet, welche die zukünftigen Aktiven unter den heutigen Regeln schultern müssen. Für die AHV allein sind das rund 170 % des BIP, welche in Zukunft finanziert werden müssen.1 Probleme solcher Berechnungen sind aber die hohe Komplexität und eine begrenzte Verständlichkeit. In der politischen Diskussion spielen diese Generationenbilanzen wohl auch aus diesen Gründen nur eine untergeordnete Rolle. Es stellt sich die Frage, ob es alternative Masszahlen gibt, welche als Basis für die politische Entscheidungsfindung dienen könnten.

Schuldenbremse für die AHV

Ein alternativer Steuerungsmechanismus strebt eine Minimalhöhe für den Ausgleichsfonds an. Dieser Vorschlag wird im Moment im Nationalrat unter dem Titel einer Schuldenbremse für die AHV diskutiert. Sollte der Ausgleichsfonds auf unter 80 % der jährlichen Renten fallen, würde das Rentenalter schrittweise um insgesamt zwei Jahre erhöht, dazu käme eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,4 Prozentpunkte. Der Vorteil einer solchen Regel ist, dass zwar ein Grundkonsens über die Regel hergestellt werden müsste, die einzelnen Anpassungen nachher aber automatisch erfolgen. Damit bleibt aber noch die Frage, ob die Zielgrösse selber angemessen ist. Grundsätzlich gibt das Reservekonto einen Eindruck von der aktuellen finanziellen Situation der AHV, blickt aber nicht in die Zukunft. Deshalb erfolgen Anpassungen eher spät. Mit einer Erhöhung des Renten­alters wäre erst gegen 2030 zu rechnen.

Die Politik erscheint weitgehend gelähmt, was eine grundlegende Reform der AHV betrifft. Bundesrat und Parlament meiden Vorlagen, welche eine allgemeine Erhöhung des Rentenalters beinhalten. Dies geschieht aus Angst, dass sie vor dem Volk keine Chance hätten. Es stellt sich die Frage, was überhaupt die Vorstellungen der Stimmberechtigten sind. Sind sie wirklich so egoistisch, dass sie nur auf die eigenen Renten schauen? Dagegen spricht eigentlich die Tendenz des Schweizer Stimmvolkes, bei einer Gefahr für das Gemeinwohl auch gegen die engen Eigeninteressen zu stimmen. Oder denken sie, dass die Probleme weniger schlimm sind als immer wieder dargestellt wird? Es ist allerdings nur schwer vorstellbar, dass der Handlungsbedarf vom Volk angesichts des massiven Wachstums der Rentnerzahlen nicht erkannt wird.

Herausforderungen bei der BV

Die BV beruht im Prinzip auf einem Kapitaldeckungsverfahren: Jeder Generation wird nur soviel an Renten bezahlt, wie durch das gesparte Kapital gerechtfertigt ist. Von den beiden grundlegenden demografischen Faktoren spielt nur die Verlängerung der Lebenserwartung eine Rolle. Nachdem eine 65-jährige Person immer länger lebt, muss das gesparte Kapital immer länger «reichen», die angemessene Rente sinkt. Dieses Sinken kann entweder hingenommen werden oder das Alterskapital kann über eine Erhöhung der gearbeiteten Jahre oder der Lohnabzüge angehoben werden. Die BV ist in der Praxis allerdings kein reines Kapitaldeckungsverfahren, sondern unterliegt rigiden Regeln, welche seit einigen Jahren zu einer Umverteilung zugunsten der Rentner führen. Die beiden Steuerungsgrössen in der BV sind der Umwandlungssatz und die Minimalverzinsung. Der Umwandlungssatz, welcher das Verhältnis von jährlicher Rente zu gespartem Kapital erfasst, beträgt aktuell 6,8 % und soll nach der aktuellen Vorlage des Bundesrates auf 6 % gesenkt werden. Auch dies dürfte aber noch deutlich zu viel sein, wobei offizielle Schätzungen zum aktuarisch korrekten Umwandlungssatz unverständlicherweise nicht erhältlich sind. Die zweite Steuerungsgrösse ist die Rendite, welche von den Pensionskassen mindestens erwirtschaftet werden muss. Dieser sogenannte Mindestzinssatz orientiert sich an der Rendite für risikolose Anlagen und ist mit aktuell 1,25 % ebenfalls zu hoch.

Umverteilung stoppen

Die nötige Massnahme in der BV ist eigentlich klar: keine systematische Umverteilung von Jung zu Alt. Eine solche Umverteilung widerspricht dem Prinzip des Kapitaldeckungsverfahrens und sollte allein schon deshalb unterbleiben. Die Aussichten für die BV werden neben den falschen Parametern im Moment nämlich auch durch die Auswirkungen der Geldpolitik verdüstert. Die Null- oder Negativzinsen zwingen die Pensionskassen, in riskante Anlageklassen wie Aktien oder Renditeliegenschaften zu investieren. Bei beiden gibt es aber Anzeichen für eine Überbewertung, mit der Gefahr einer Korrektur nach unten. Die Pensionskassen werden damit gewissermassen in die Zange genommen von Nullzinspolitik und unrealistischen politischen Vorgaben. Das kann auf die Dauer nicht gut gehen, es droht eine zusätzliche Verschärfung der Vorsorgekrise.