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Am Futtertrog des Staates

Mehrheit der Kantonsparlamentarier erhält Lohn zumindest teilweise von der öffentlichen Hand Am Futtertrog des Staates

Kantonsratssaal Kanton St.Gallen

Robert Stadler

Überraschend viele Volksvertreter in den Ostschweizer Kantonsparlamenten verdanken ihr Einkommen direkt oder indirekt dem Steuerzahler. Während diese «Staatsquote» in Appenzell Innerrhoden 38 % beträgt, liegt der Anteil der vom Staat abhängigen Parlamentarier im Ausserrhodischen bei 46 % und im Kanton St. Gallen sogar bei über 57 %. Dies kratzt an der Unabhängigkeit der Parlamente, deren Aufgabe es wäre, Regierung und Verwaltung zu kontrollieren. Wer sein Auskommen dem Staat verdankt, dürfte im Zweifelsfall eher für noch mehr Staat stimmen.

Parlamentarier sollen das Volk vertreten und dieses in den Räten repräsentiv abbilden. Zumindest beim Bundesparlament muss diese Formel schon länger angezweifelt werden. Ein typisches Beispiel ist die Landwirtschaft. Rund 13 Prozent der Nationalräte gehören dem Bauernstand an, während in der Gesamtbevölkerung nur noch etwa drei Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft ihr Auskommen verdienen. Entsprechend überdurchschnittlich erfolgreich operieren die Bauernvertreter in Bern zugunsten ihrer eigenen Interessen.

Dabei wäre eine der Bevölkerung entsprechende Zusammensetzung der Parlamente nicht nur aus Gründen der Repräsentativität wichtig, sondern auch weil so unabhängigere und bessere Entscheide entstehen. Wer seine Existenz vom Staat abhängig machen muss, wird im Zweifelsfall eher für noch mehr Staat stimmen und der Regierung und Verwaltung weniger kritisch begegnen. Dabei wäre diese Kontrollfunktion eine der entscheidenden Aufgaben eines Parlamentariers in unserem System der «checks and balances». Zudem ist es wichtig, dass wirtschaftlicher Sachverstand in den Parlamenten vertreten bleibt. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich unsere Politik immer stärker von der Wirtschaft wegbewegt hin zu einer Staatswirtschaft.

«Staatsquote» in Kantonsparlamenten

Doch wie steht es in den Ostschweizer Kantonsparlamenten um die «Staatsquote», sprich um den Anteil jener Parlamentarier, die ihr Einkommen ganz oder teilweise durch den Staat erzielen? Wir haben die Zusammensetzung der Parlamente der Kantone St.Gallen, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden untersucht und die Berufe der Legislativpolitiker in folgende vier Kategorien eingeteilt:

Kategorie 1 / Staatsangestellte: Sie beziehen ihren Lohn direkt auf Kosten des Steuerzahlers und sind abhängig vom Staat. Zur Kategorie 1 gehören z.B. Gemeindepräsidenten oder Verwaltungsangestellte.

Kategorie 2 / Angestellte von Betrieben im Staatseigentum oder staatsnahen Betriebe: Zu dieser Kategorie werden z.B. Lehrer, Bahnangestellte oder Landwirte gezählt, da Letztere wesentlich von den Direktzahlungen leben.

Kategorie 3 / Privatwirtschaft, die wesentlich von öffentlichen Aufträgen profitiert, z.B. Tiefbauunternehmer oder Umweltberater.

Kategorie 4 / Privatwirtschaft: Alle, die ihr Einkommen weitgehend unabhängig vom Staat verdienen, z.B. selbständige Unternehmer oder Angestellte in Privatunternehmen.

St.Gallen: Nur ein Drittel in Privatwirtschaft

Die Einteilung in die verschiedenen Kategorien erfolgte gemäss den von den Kantonen publizierten Berufsangaben der Legislativpolitiker. Zwar kann die Kategorisierung nicht in allen Fällen trennscharf erfolgen, und zudem haben auch die vielen vorzeitigen Rücktritte der letzten Monate aus dem St. Galler Kantonsparlament das Bild laufend marginal verändert. Trotzdem ist die Tendenz glasklar: Die Zahl der Parlamentsmitglieder, die ihr Auskommen vollumfänglich in der Privatwirtschaft verdient, hat ein bedenklich tiefes Niveau erreicht.

Dabei zeigt sich wenig überraschend, dass die Staatsabhängigkeit im Parlament steigt, je grösser der Kanton ist: Zählt man die Kategorien 1 und 2 zusammen, um den Anteil der von Staatsgeldern abhängigen Parlamentariern zu ermitteln, so resultiert im Kanton St. Gallen eine parlamentarische Staatsquote von 57.5 %, im Kanton Appenzell Ausserrhoden eine von 46 % und im Appenzell Innerrhoden liegt diese noch bei 38 %. Nimmt man auch die Kategorie 3 dazu, verdüstert sich das Bild weiter: Während im Kanton St.Gallen nur etwa ein Drittel in keiner Form von einem Futtertrog des Staates lebt, beträgt dieser Anteil im Kanton Appenzell Ausserrhoden etwas über 40% und in Innerrhoden immerhin die Hälfte aller Grossratsmitglieder.

Staatsnahe Wirtschaftspartei

Einer der Hauptgründe für die hohe «Staatsquote» im St.Galler Kantonsparlament ist die Präsenz der Gemeindepräsidenten und Stadträte. Sie machen rund einen Sechstel des Rates aus – bei der Wirtschaftspartei FDP stellen sie zurzeit sogar fast die Hälfte der Fraktion. Damit bestätigt sich das etwas zwiespältige Bild der FDP im St. Galler Kantonsrat, das sich schon bei der Lancierung des IHK-Politratings vor einem Jahr gezeigt hat. Zwar politisiert die FDP vor allem auf Bundesebene wirtschaftsfreundlich, ist aber im St. Galler Parlament gleichzeitig die Partei, die am stärksten vom Staat abhängt.

Fast so gut vertreten wie die Gemeindepräsidenten sind im Kanton St. Gallen die Lehrerinnen und Lehrer. Sie sind nebst einigen Landwirten mitverantwortlich, dass rund ein Drittel des Parlaments zur Kategorie 2 – Angestellte von staatlichen oder staatsnahen Betrieben – zu zählen ist.

Innerrhoden mit intaktem Milizprinzip

Die Gemeindepräsidenten sind auch im Ausserrhoder Kantonsrat mit einem guten Zehntel relativ stark vertreten. Dazu kommen – ähnlich wie im grossen Nachbarkanton – mehrere Lehrpersonen, Verwaltungsangestellte und Mitarbeitende öffentlicher Institutionen, die letztlich zu einer Staatsquote von 46 % führen.

Im Kanton Appenzell Innerrhoden sieht die Situation weniger prekär aus. Dies dürfte der Kleinheit des Kantons und dem noch immer hochgehaltenen Milizprinzip zu verdanken sein. So muss ein Bezirkshauptmann aufgrund der kleinen Strukturen einem zusätzlichen Broterwerb nachgehen. Dies wirkt sich positiv aus: Mit 38% liegt die Staatsquote im Innerrhoder Grossen Rat zwar ebenfalls hoch, aber dennoch am tiefsten von den drei untersuchten Ostschweizer Kantonen. Die Fahne des Staates halten in der Kategorie 1 nur zwei Verwaltungsangestellte hoch. Dafür sind im Kanton Appenzell Innerrhoden die der Kategorie 2 zugerechneten Landwirte verhältnismässig stark vertreten. Zudem ist die Appenzeller Kantonalbank, die zu 100 % dem Kanton gehört, gleich mit drei Personen im Parlament vertreten.

Auswertung Staatsquoten: Simon Scherrer