Sie sind hier

«Die Initiative schafft mehr Verwirrung als Ordnung»

Nein zur Selbstbestimmungsinitiative «Die Initiative schafft mehr Verwirrung als Ordnung»

Ständerat Andrea Caroni

Peter Maag, Direktor IHK Thurgau

Am 25. November 2018 kommt die Selbstbestimmungsinitiative der SVP zur Abstimmung. Der Ausserrhoder FDP-Ständerat Andrea ­Caroni ist ein Gegner der Initiative, weil sie mehr Fragen aufwerfe als Antworten liefere. Es sei legitim, das Verhältnis von Landes- und Völkerrecht klarer zu regeln. Aber die Initiative gehe in eine falsche Richtung, weil sie dem Völkerrecht enorm misstraue, obwohl es für einen offenen Kleinstaat zentral sei.

«America First», «Österreich zuerst», «Schweizer Recht statt fremde Richter»: Erleben wir eine Renaissance der Nationalstaaten?

Andrea Caroni: «Mein Land first» ist an sich eine legitime Parole – es wäre ja seltsam, man würde sich primär für ein anderes Land einsetzen. Falsch ist es aber, deshalb in Isolationismus und Protektionismus zu verfallen, denn unser Wohl hängt von internationaler Kooperation ab.

Am 25. November 2018 stimmen wir über die Selbstbestimmungsinitiative der SVP ab. Worum geht es?

Das ist gar nicht so klar, wie man meinen könnte. Der Initiativtext wirft mehr Fragen auf, als er Antworten bietet. In der Propaganda der Initianten geht es um mehr Selbstbestimmung, v.a. mittels Volksinitiativen. Der Text löst dieses Versprechen gar nicht ein, weil er so vage und widersprüchlich ist.

Die Wirtschaft befürchtet bei einem Ja Nachteile, insbesondere bei den bilateralen Abkommen mit der EU. Zu Recht?

Es ist ziemlich unklar, was die Initiative genau bewirken würde. In der harmlosesten Interpretation würde gegenüber den Bilateralen gar nichts passieren, in der schärfsten müsste man die Bilateralen künden. Dieses Doppelspiel ist von den Initianten gewollt. Vor der Abstimmung frisst man Kreide, danach schreit man «Verrat», wenn nichts passiert.

Ein weiterer wichtiger völkerrechtlicher Vertrag ist die Europäische Menschenrechtskonvention. Sie wäre nicht mehr massgebend, weil sie nicht dem Referendum unterstand. Was heisst das?

Auch das ist nicht so klar. Der Menschenrechts-Gerichtshof unterstand nämlich schon dem Referendum. Ohnehin handelt die Initiative primär von unmittelbar anwendbaren Volksinitiativen, die im Widerspruch zum Völkerrecht stehen. Das trifft höchstens auf die Minarett-Initiative zu. Die Initianten sagen, deswegen müsse man die EMRK nicht künden – mal schauen, was sie nach einer allfälligen Annahme sagen würden.

Die Schweiz verfügt über sehr viele weitere internationale Abkommen, die nicht mehr massgebend wären. Was würde mit ihnen geschehen?

Im Konfliktfall hätten sie gegenüber widersprechendem Verfassungsrecht das Nachsehen – aber solche Fälle gibt es kaum. Ob sie auch gegenüber einfachen Gesetzen nachrangig wären, ist unklar. Und wer wann wie darüber entscheidet, ob man sie künden muss, ist auch unklar.

Weshalb lehnen Sie die Initiative ab?

Ich finde es legitim, das Verhältnis von Landes- und Völkerrecht klarer regeln zu wollen. Dabei geht die Initiative allerdings zum einen in die falsche Richtung, da sie dem Völkerrecht enorm misstraut, obschon es für einen offenen Kleinstaat zentral ist. Zum andern ist sie völlig unklar und schafft mehr Verwirrung als Ordnung – was wohl Methode hat. So kann man sie an der Urne als harmlos verkaufen und danach grosse Forderungen stellen.

Für die Wirtschaft sind geregelte Verhältnisse mit der EU von grosser ­Bedeutung. Erwarten Sie in diesem Dossier in nächster Zeit Fortschritte?

Seit vielen Jahren sagt man uns, man stehe kurz vor dem Abschluss. Das wird man noch eine Weile sagen. Aber es eilt ja auch nicht. Lieber spät eine gute Regel als früh eine schlechte.

Diese Beiträge könnten
Sie ebenfalls interessieren: