Schriftenreihe Arbeitsmigration
Zuwanderung in Zahlen:
Wer? Woher? Wofür?
Wer in die Schweiz zieht, stammt meist aus einem unserer Nachbarländer und tut dies aus einem ganz spezifischen Einwanderungsgrund.

08. Januar 2025
Das Bevölkerungswachstum der Schweiz wirft zahlreiche Fragen auf: Wie steht es im historischen Vergleich da? Welche Rolle spielt die Personenfreizügigkeit dabei? Und welche Faktoren treiben die Zuwanderung im internationalen Kontext an? Wir werfen einen nüchternen Blick in die Zahlen.
In den letzten 20 Jahren ist die Schweiz um 1,6 Millionen Menschen gewachsen, im Schnitt ist die Bevölkerung jedes Jahr um 1 % gewachsen. Derzeit leben rund 9 Millionen Personen in der Schweiz.1 27 % der Personen, die zur ständigen Wohnbevölkerung der Schweiz zählen, besitzen keinen Schweizer Pass.2 Vier von zehn haben einen Migrationshintergrund.3 Zwei Drittel der Zugewanderten stammen aus EU- oder EFTA-Staaten, wovon wiederum etwa die Hälfte aus den direkt angrenzenden Nachbarländern der Schweiz stammt.4
Wie ist das Bevölkerungswachstum im historischen Vergleich?
Das Bevölkerungswachstum war 2023 so hoch wie seit den 1960er-Jahren nicht mehr (Abbildung 1).5 Der Wanderungssaldo (die Differenz zwischen den Einwanderungen und den Auswanderungen) erreichte mit 139’118 Personen einen historischen Höchststand – in erster Linie wegen eines Sondereffekts. Fast 60’000 Ukrainerinnen und Ukrainer mit Schutzstatus S machten fast die Hälfte der Zugewanderten aus, da sie aus statistischen Gründen erstmals als Teil der ständigen Wohnbevölkerung gezählt wurden (Markierung 1 in Abbildung 2). Ohne diese hätte das Bevölkerungswachstum 1,1 Prozent betragen.6
Hat die Personenfreizügigkeit die Zuwanderung verstärkt?
Die Personenfreizügigkeit (PFZ) hat die bürokratischen Einwanderungshürden abgebaut, ihre «Sogwirkung» ist aber begrenzt. Die PFZ regelt die Arbeitsmigration zwischen der EU/EFTA und der Schweiz. Sie ist Mittel, nicht Zweck. Personen ziehen nicht aufgrund der PFZ in die Schweiz, sondern hauptsächlich wegen der Arbeitsmöglichkeiten.
Ein Anstieg der Immigration aus EU- und EFTA-Staaten war bereits vor der Einführung der PFZ Ende der 1990er-Jahre sichtbar (Markierung 2 in Abbildung 2). Seit 2002 sind im Durchschnitt rund 91’000 Personen aus dem EU/EFTA-Raum in die Schweiz gezogen. Ohne PFZ wären es laut Schätzungen pro Jahr etwa 10’000 bis 15’000 Personen weniger gewesen.7 Gleichzeitig haben sich die Rückwanderungen verringert, da die Aufenthaltsbewilligungen für EU/EFTA-Bürger von einem auf fünf Jahre verlängert wurden.8 Die in den Jahren 2007 und 2008 verzeichneten Anstiege (Markierung 3 in Abbildung 2) sind weniger auf eine erhöhte Zuwanderung zurückzuführen, sondern vielmehr auf eine neu definierte formelle Erfassung. Neu zählten dadurch viele EU-Bürger nicht mehr zur «nichtständigen Bevölkerung», sondern zur «ständigen Bevölkerung».9
Die gesamte Analyse, detaillierte Resultate unserer Mitgliederumfrage und die umfassende Position der IHK St.Gallen-Appenzell finden sie in unserer Schriftenreihe:
Die Position der IHK St.Gallen-Appenzell im Thema Arbeitsmigration
Die Personenfreizügigkeit mit der EU aufrechterhalten
Ohne ausländische Arbeitskräfte geht es nicht. Heute nicht und schon gar nicht in der Zukunft. Die Personenfreizügigkeit mit der EU stellt dabei eine unbürokratische, arbeitsmarktorientierte Zuwanderung sicher. Das ist ein entscheidender Vorteil für die Ostschweizer Wirtschaft (vgl. Grafik): Wer über die Personenfreizügigkeit in die Schweiz kommt, braucht hier eine Stelle oder ausreichend Mittel, um sich selbst zu finanzieren.
Den inländischen Arbeitsmarkt stärken
Die Schweiz ist als Arbeitsland attraktiv. Das soll auch so bleiben. Arbeitskräfte werden rar, nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa. Umso wichtiger werden eine hohe Arbeitsmarktbeteiligung und eine produktive Wirtschaft. Dafür muss sich Arbeit lohnen – hohe Pensen dürfen kein steuerlicher Nachteil sein. Flexible Arbeitsmodelle, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine bessere Integration von älteren Personen in den Arbeitsmarkt können diesen zusätzlich stärken.
Die gesellschaftlichen Herausforderungen angehen – rasch und gezielt
Knapper Wohnraum und überlastete Verkehrsinfrastruktur sind grosse Herausforderungen unserer Zeit. Die Zuwanderung verschärft solche Herausforderungen, sie ist aber nicht deren einziger Treiber. Deshalb kann eine Einschränkung der Zuwanderung auch nicht die einzige Lösung sein. Stattdessen braucht es eine breite Palette an Massnahmen, um Wohnraum und Mobilität fit für die Zukunft zu machen.
Wie stark wächst die Schweiz im internationalen Vergleich?
Die Schweiz verzeichnete selbst im Vergleich zu den vergleichbaren europäischen Volkswirtschaften Österreich, Belgien, den Niederlanden und Norwegen (alle eher klein, offen und wirtschaftlich erfolgreich) ein starkes Bevölkerungswachstum (Abbildung 3).10 Während die Bevölkerungszahl in der Schweiz bis 2050 weiter ansteigen dürfte, erwarten Belgien und die Niederlande eher eine Stagnation, Österreich sogar einen Bevölkerungsrückgang. Hauptgrund für das sich abzeichnende Wachstum in der Schweiz ist die stärkere Zuwanderung. Die Geburtenziffer ist mit ca. 1,3 Kindern pro Frau ähnlich tief wie in anderen europäischen Ländern.11
Weshalb war die Zuwanderung in die Schweiz stärker?
Die einheimische Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter wuchs in den letzten 20 Jahren um durchschnittlich 0,2% pro Jahr. Die Nachfrage nach Arbeitskräften wuchs etwa fünfmal stärker und in ähnlichem Umfang wie in vergleichbaren europäischen Staaten (Abbildung 4). Andere Länder konnten diese Nachfrage zu einem bedeutenden Teil durch eine Erhöhung der Erwerbsquote der heimischen Bevölkerung bedienen. In der Schweiz war dieser Spielraum begrenzt. 2005 lag die Erwerbsquote bereits bei 79%. Trotzdem gelang es der Schweiz, ihre Erwerbsquote auf 82% zu steigern (Abbildung 5), insbesondere durch eine geringe Arbeitslosigkeit und eine verstärkte Mobilisierung von Frauen. Im Vergleich zu Ländern wie Österreich oder Belgien war die Schweiz in höherem Masse auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen.12
Wie stark sind die Ostschweizer Kantone gewachsen?
Die Kantone Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden und St.Gallen verzeichneten von 2000 bis 2023 teilweise ein deutlich langsameres Bevölkerungswachstum als der Schweizer Durchschnitt (Abbildung 6). Besonders tief war es in Appenzell Ausserrhoden. Der Thurgau ist dagegen überdurchschnittlich stark gewachsen. Das stärkste Bevölkerungswachstum verzeichneten Freiburg, Zug und Schwyz.13
Was sind die Hauptgründe für die Zuwanderung in die Schweiz?
Das Hauptmotiv für die Zuwanderung ist die Erwerbstätigkeit (Abbildung 7). So sind 71% der in 2023 Zugewanderten aus den EU/EFTA-Staaten zur Besetzung einer Arbeitsstelle eingewandert. Weitere wichtige Gründe sind der Familiennachzug (18%) sowie der Zuzug zu Ausbildungszwecken (7%). Ein kleiner Teil der Zugewanderten sind Rentner oder nichterwerbstätige Personen. Bei Staatsbürgern von Drittstaaten ist der Familiennachzug der wichtigste Einwanderungsgrund.14

Wie ist der Familiennachzug geregelt?
Der Familiennachzug in die Schweiz unterliegt für EU/EFTA-Staatsangehörige und Drittstaatenangehörige unterschiedlichen rechtlichen Bestimmungen. Gemäss dem Freizügigkeitsabkommen haben EU/EFTA-Bürger mit Aufenthaltsbewilligung das Recht, Ehepartner sowie Kinder und Enkelkinder unter 21 Jahren nachzuziehen. Kinder und Enkelkinder über 21 Jahre sowie Verwandte in aufsteigender Linie dürfen nachziehen, wenn deren Unterhalt gesichert ist. Drittstaatenangehörige hingegen können nur Ehepartner und Kinder unter 18 Jahren nachholen, sofern deren Unterhalt gewährleistet ist. Die Kantone können die Bewilligungserteilung an strengere Voraussetzungen knüpfen.15
Der Familiennachzug ist zahlenmässig bedeutend: Von den Ausländern, die nach 2008 in die Schweiz kamen und 2017 hier dauerhaft lebten (ohne Asyl- und Flüchtlingsbereich), kamen 40% über den Familiennachzug. Seit 2008 machen solche Zuzüge bei Menschen aus der EU/EFTA nur 29% der Einreisegründe aus, während sie bei Personen aus Nicht-EU/EFTA-Staaten 75% ausmachen. Anders als bei der Arbeitsmigration werden beim Familiennachzug keine Fachkräfte gezielt angeworben. Trotzdem sind nach 8 Jahren 2 von 3 Zugewanderten aus dem Familiennachzug berufstätig.16
Literatur:
1 BFS (2024, b)
2 BFS (2024, c)
3 BFS (2023, a)
4 BFS (2024, d)
5 BFS (2024, c)
6 BFS (2024, e)
7 Bolli et al. (2015)
8 Sheldon (2015)
9 Hurst (2014)
10 Zürcher (2024)
11 Sheldon (2015)
12 Zürcher (2024)
13 BFS (2024, f)
14 SEM (2024, a)
15 Kanton St.Gallen (2024)
16 Renold und Balaban (2020)