Konjunkturforum «Zukunft Ostschweiz» 2021
Wille zur Innovation verleiht Ostschweizer Wirtschaft Schwung
Um auch langfristig wettbewerbsfähig zu sein, braucht es in der Ostschweiz einen ausgeprägten Willen zur Innovation.
16. November 2021
Die Ostschweizer Wirtschaft hat sich ausserordentlich schnell vom Corona-Schock erholt und wird weiter wachsen. Bremsend wirken die derzeitigen Lieferengpässe und hohen Einkaufspreise. Um auch langfristig wettbewerbsfähig zu sein, braucht es in der Ostschweiz einen ausgeprägten Willen zur Innovation. Das zeigte das Konjunkturforum «Zukunft Ostschweiz» der IHK St.Gallen-Appenzell und der St.Galler Kantonalbank.
«Das Tempo, mit dem sich die Schweizer Wirtschaft erholt, ist ausserordentlich schnell.» Diese erfreuliche Botschaft verkündete Prof. Jan-Egbert Sturm, Direktor der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich, am Montagabend am Konjunkturforum «Zukunft Ostschweiz» den rund 850 Gästen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Sturm verglich dazu die Coronakrise mit der Finanzkrise von 2008: In beiden Phasen verzeichneten Welthandel und Industrieproduktion einen vergleichbaren, schockartigen Rückgang. Der Aufschwung setzte nach der Corona-Zäsur aber sehr viel rascher und kräftiger ein. Die wirtschaftliche Leistung in der Schweiz sei gar bereits deutlich über dem Vorkrisenniveau. Die Lieferengpässe und hohen Produzentenpreise, die die Unternehmen derzeit in diversen Branchen stark herausfordern, seien angesichts dieses rasanten Aufschwungs kaum verwunderlich. «Wir gehen aber von einem temporären Phänomen von einigen Monaten aus», so Sturm. Mittel- bis langfristig dürfte die Inflation deshalb auf tiefem Niveau verharren.
Erfreuliche Geschäftslage
Auch die Ostschweizer Unternehmen zeigen sich derzeit sehr zufrieden mit der Geschäftslage und blicken zuversichtlich auf die kommenden Monate (vgl. Abbildung). «In der Industrie hat sich die Nachfrage weitestgehend erholt, die Auftragsbücher sind voll, die Auslastung der Produktionskapazitäten befindet sich auf einem Mehrjahreshoch», erklärte IHK-Chefökonom Alessandro Sgro mit Verweis auf die jüngste Analyse des Konjunkturboards Ostschweiz. Im Baugewerbe werde sich die Bautätigkeit in den Wintermonaten deutlich reduzieren, saisonbereinigt aber auf hohem Niveau stabil entwickeln, ergänzte Beat Schiffhauer, Senior Konjunktur- und Finanzexperte bei der St.Galler Kantonalbank. Im Detailhandel habe sich der mengenmässige Absatz weitgehend erholt und stagniere auf einem hohen Niveau. «Nach den Lockdowns hat sich der Konsum-Aufholeffekt stark entfaltet. Nun beobachten wir gewisse Sättigungstendenzen sowie eine erneute Zunahme des grenzüberschreitenden Einkaufs», so Beat Schiffhauer.
«Heftige, aber kurze Krise»
Dass es nicht überall gleich rund läuft, zeigte der Blick in einzelne Unternehmen. SFS-CEO Jens Breu und Kägi-Geschäftsführer Raymond Nef schauten erfreut auf besonders umsatzstarke Monate zurück. Im Falle von SFS habe sich insbesondere die Nähe zu den Kunden und Lieferanten bewährt, sodass die Krise für das Unternehmen «heftig, aber nur kurz» gewesen sei. «Wir profitieren zudem von langfristigen Wachstumstreibern wie der Digitalisierung, der Dekarbonisierung, dem autonomen Fahren sowie einer erstarkenden Mittelschicht in China und Indien», so Jens Breu. Raymond Nef wiederum zeigte sich zufrieden mit der starken Nachfrage im Konsumgüterbereich und der Forcierung des eigenen Online-Geschäfts. Herausfordernd seien derzeit aber die knappe Verfügbarkeit von Verpackungsmaterial, hohe Transportpreise sowie der starke Franken. Vom wirtschaftlichen Aufschwung profitiert auch die St.Galler Kantonalbank. «Wenn es den Kunden gut geht, geht es auch uns gut», erklärte René Walser, Bereichsleiter Privat- und Geschäftskunden und Geschäftsleitungsmitglied. Derzeit würden die Unternehmen kräftig investieren. Das Tiefzinsumfeld spiele hier mit rein, viel entscheidender sei aber die zuversichtliche Grundstimmung in den Unternehmen. Optimistisch zeigte sich auch Olma-Direktorin Christine Bolt. Nach enorm herausfordernden eineinhalb Jahren mit grossen Planungsunsicherheiten und diversen Messeabsagen befinde man sich nun schrittweise auf dem Weg zurück in die Normalität.
Entspannung am Arbeitsmarkt
Die fortschreitende wirtschaftliche Erholung bringt auch eine weitere Entspannung am Arbeitsmarkt. «Der Personalbestand wird mehrheitlich als angemessen eingeschätzt», erklärte Alessandro Sgro.
Die Unternehmen bekunden gar wieder Mühe, qualifiziertes Personal zu rekrutieren. In der Industrie sei mehr als ein Viertel der Ostschweizer Unternehmen von einem Arbeitskräftemangel betroffen. Im Baugewerbe seien es gar zwei von fünf Unternehmen, so Alessandro Sgro. Beat Schiffhauer wies darauf hin, dass der Aufschwung noch nicht alle Branchen gleichermassen erfasst habe und das Kurzarbeitsvolumen nach wie vor auf sehr hohem Niveau sei.
Innovation als Schlüssel für Wettbewerbsfähigkeit
IHK-Präsident Roland Ledergerber äusserte sich überzeugt: «Die Ostschweizer Unternehmen zeigen sich während der Pandemie unter anderem deshalb so robust, weil sie sehr anpassungsfähig sind.» Ein zentraler Faktor für diese Anpassungsfähigkeit liege in der eigenen betrieblichen Innovationskraft. Doch im Wettbewerb um die besten Ideen und Köpfe seien die Unternehmen stark herausgefordert, erklärte IHK-Direktor Markus Bänziger. «Einerseits nehmen die Konkurrenz und damit der Wettbewerb stetig zu. Auf der anderen Seite steigen die Anforderungen an die Lösungen, welche die Unternehmen als Antwort auf Megatrends wie Globalisierung, Digitalisierung oder die Alterung der Gesellschaft anbieten müssen.» Es brauche in den Unternehmen deshalb einen ausgeprägten «Willen zur Innovation», so Markus Bänziger. Nur wenn eine Veränderungsbereitschaft und eine konstruktive Fehlerkultur auf allen Ebenen in der Unternehmensphilosophie verankert sind, könne die Wettbewerbsfähigkeit langfristig gesichert werden.
«Passion und Geduld»
Unterstützt wurde diese Aussage anhand zahlreicher Beispiele von jenen, die es wissen müssen: Den Unternehmerinnen und Unternehmern. Frontify-Gründer Roger Dudler etwa beschrieb seinen persönlichen Weg von der Idee bis zum marktfähigen Produkt: «Es braucht vor allem zwei Dinge: Passion und Geduld», so der CEO des St.Galler Software-Unternehmens, das heute über 230 Mitarbeitende beschäftigt. Goba-Geschäftsführerin Gabriela Manser und Stefan Scheiber, CEO der international tätigen Bühler-Gruppe, ergänzten: Erfolgreiche Innovationen fallen nicht vom Himmel. Es brauche eine Offenheit für Ideen von aussen, ein ermöglichendes Umfeld sowie Konsequenz in der Umsetzung von Ideen. Dass der Ausbruch aus gewohnten Strukturen für die Mitarbeitenden auch unangenehm sein kann, erläuterte FCSG-Präsident Matthias Hüppi. Seine Mission lautet deshalb: «Begeistern! Denn für einen erfolgreichen Veränderungsprozess braucht es alle: Das Team, die Fans, unsere Partner.» Andrea Berlinger, Inhaberin des Medizinprodukteherstellers Berlinger & Co. AG, verglich Innovationen derweil mit Kunsthandwerk. «Der Unterschied zwischen einem Künstler und einer Unternehmerin sind die Leitplanken: Der Künstler ist frei, die Unternehmerin muss hingegen die Leitplanken richtig setzen, sodass die künftigen Marktbedürfnisse frühzeitig erkannt und erschlossen werden können.» Hierfür sei die Zusammenarbeit mit den Kunden und starken Forschungspartnern heute besonders entscheidend.
Unternehmen und Forschungsinstitutionen sollen zusammenrücken
In diesem Austausch zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen gibt es in der Ostschweiz noch grosses Potenzial, wie Roland Ledergerber mit Verweis auf eine IHK-Umfrage aufzeigte. Demnach sind vier von fünf Unternehmen klar der Meinung, dass Innovationen in Netzwerken und in Kooperationen entstehen. Gleichwohl zeigte die Umfrage, dass lediglich knapp die Hälfte der Ostschweizer Unternehmen einen Austausch mit Hochschulen oder weiteren Forschungseinrichtungen pflegt. Mit dem Switzerland Innovation Park Ost soll sich dies ändern. «Der Innovationspark soll in der Kernregion Ostschweiz die Lücke schliessen zwischen der vorhandenen, exzellenten Grundlagenforschung von Empa, Kantonsspital und HSG einerseits und der Produkt- und Prozessentwicklung bei den Ostschweizer Unternehmen andererseits», so Roland Ledergerber, der die Trägerschaft des kürzlich lancierten Generationenprojekts präsidiert.
Auch Stefan Scheiber zeigte sich überzeugt, dass die Zusammenarbeit mit externen Partnern für die Innovationsfähigkeit zentraler denn je ist. Der Wissensaustausch bringe alle weiter. Vor allem aber würden Innovationen keinem Selbstzweck dienen – erst recht nicht in einem Unternehmen wie Bühler, auf dessen Produkten ein Grossteil der weltweiten Grundnahrungsmittel verarbeitet wird. «Es geht darum, gemeinsam einen Beitrag für eine bessere Zukunft zu leisten.»
Zukunft Ostschweiz wurde ermöglicht durch