Schriftenreihe Arbeitsmigration
Zugehörig, integriert und diskriminiert?
Viele Zugewanderte fühlen sich integriert – und erleben doch Ausgrenzung. Daten, Erfahrungen und Hintergründe über die Zugehörigkeit in der Schweiz.

27. Mai 2025
Eine Mehrheit der in der Schweiz lebenden Ausländerinnen und Ausländer fühlt sich der Schweizer Gesellschaft zugehörig. In einer Umfrage der Universität Neuenburg gaben drei Viertel der fast 8’000 befragten Personen an, dass sie sich entweder vollständig (25%) oder eher (52%) integriert fühlen. Nur ein Viertel empfindet eine geringere Zugehörigkeit, wobei 17% sich eher nicht und 7% überhaupt nicht als Teil der Gesellschaft sehen. Die Mehrheit sieht sich somit als integriert und als Teil der Gesellschaft in der Schweiz.1
Ein Grossteil der Bevölkerung in der Schweiz lehnt fremdenfeindliche Einstellungen ab und unterstützt mehr Rechte für Zugewanderte, etwa in Bezug auf Familiennachzug und politische Teilhabe. Über 60% der Schweizer sind überzeugt, dass Zuwanderung wirtschaftlich und sozial vorteilhaft ist (Abbildung 1).2 Weniger die Zugewanderten selbst als vielmehr die raschen Veränderungen rufen Abwehrreaktionen hervor, insbesondere in Bezug auf Bautätigkeit, Verkehrsbelastung und den Verlust von Grünflächen. Der Umgang mit Menschen aus nahegelegenen Ländern wird allgemein als unkomplizierter empfunden, während gegenüber Personen aus weiter entfernten Regionen oder dem Asylbereich diffuse Ängste und Vorbehalte bestehen.3
Dieser Artikel entstand im Rahmen einer umfassenden Analyse der Arbeitsmigration in die Schweiz. Die gesamte Analyse, detaillierte Resultate unserer Mitgliederumfrage und die umfassende Position der IHK St.Gallen-Appenzell finden sie in unserer Schriftenreihe:
Die Position der IHK St.Gallen-Appenzell im Thema Arbeitsmigration
Die Personenfreizügigkeit mit der EU aufrechterhalten
Ohne ausländische Arbeitskräfte geht es nicht. Heute nicht und schon gar nicht in der Zukunft. Die Personenfreizügigkeit mit der EU stellt dabei eine unbürokratische, arbeitsmarktorientierte Zuwanderung sicher. Das ist ein entscheidender Vorteil für die Ostschweizer Wirtschaft (vgl. Grafik): Wer über die Personenfreizügigkeit in die Schweiz kommt, braucht hier eine Stelle oder ausreichend Mittel, um sich selbst zu finanzieren.
Den inländischen Arbeitsmarkt stärken
Die Schweiz ist als Arbeitsland attraktiv. Das soll auch so bleiben. Arbeitskräfte werden rar, nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa. Umso wichtiger werden eine hohe Arbeitsmarktbeteiligung und eine produktive Wirtschaft. Dafür muss sich Arbeit lohnen – hohe Pensen dürfen kein steuerlicher Nachteil sein. Flexible Arbeitsmodelle, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine bessere Integration von älteren Personen in den Arbeitsmarkt können diesen zusätzlich stärken.
Die gesellschaftlichen Herausforderungen angehen – rasch und gezielt
Knapper Wohnraum und überlastete Verkehrsinfrastruktur sind grosse Herausforderungen unserer Zeit. Die Zuwanderung verschärft solche Herausforderungen, sie ist aber nicht deren einziger Treiber. Deshalb kann eine Einschränkung der Zuwanderung auch nicht die einzige Lösung sein. Stattdessen braucht es eine breite Palette an Massnahmen, um Wohnraum und Mobilität fit für die Zukunft zu machen.
Gibt es Unterschiede bei Neuzugezogenen und Migranten «zweiter Generation»?
Das Bundesamt für Statistik bewertet die Integration der Bevölkerung mit Migrationshintergrund anhand eines Indikatorensystems. Dabei zeigt sich, dass sich die Integration von Generation zu Generation verbessert. So nähern sich die Werte der zweiten4 oder höheren Generation jenen der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund an. Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund, die finanzielle Schwierigkeiten haben oder sich ausserhalb des Bildungssystems befinden, ist im Laufe der Zeit gesunken. Die Beherrschung einer Landessprache ist entscheidend für die Integration. Fast 70% der Personen mit Migrationshintergrund sprechen eine Landessprache, in der zweiten Generation fast 100%.5
Welche Hürden sind noch zu überwinden?
Trotz Fortschritten bestehen weiterhin Herausforderungen für Menschen mit Migrationshintergrund, insbesondere in der ersten Generation. Sie sind häufiger von Armut betroffen, haben doppelt so oft finanzielle Schwierigkeiten und leiden vermehrt unter Wohnproblemen wie Lärmbelästigung. Auch bei der politischen Teilnahme gibt es Unterschiede, da die einheimische Bevölkerung deutlich häufiger an Abstimmungen teilnimmt. Menschen mit Migrationshintergrund erleben dreimal häufiger rassistische Diskriminierung als die einheimische Bevölkerung. Seit 2016 ist der Anteil an Diskriminierungserfahrungen sowohl bei Menschen mit als auch solchen ohne Migrationshintergrund gestiegen.6
Ausländerkriminalität: Über Ursachen und Missverständnisse
Ausländische Personen tauchen häufiger in Strafstatistiken auf. In der polizeilichen Kriminalstatistik der Schweiz für das Jahr 2023 sind 44% der wegen Straftaten beschuldigten Personen Schweizer und 56% Ausländer. Von den Ausländern haben 31% eine Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung, 6,6% sind Teil der Asylbevölkerung und 18% gehören zur nichtständigen Wohnbevölkerung (darunter Personen mit Kurzaufenthalts- oder Grenzgängerbewilligungen sowie solche mit unsicherem Aufenthaltsstatus).7 8 von 10 Personen in Untersuchungs- und Sicherheitshaft sind ausländischer Herkunft, über die Hälfte hat keine dauerhafte Aufenthaltsbewilligung.8 Die Anzahl der Straftaten korreliert nicht mit dem Bevölkerungswachstum: Die Zahl der Straftaten hat zwischen 2012 und der Corona-Pandemie kontinuierlich abgenommen.9
Sind Ausländer krimineller als Schweizer?
Nein. Die Behauptung, dass «Ausländer krimineller sind», greift bedeutend zu kurz, da der Begriff «Ausländerkriminalität» sehr unterschiedliche Gruppen umfasst – von Asylsuchenden über Arbeitsmigranten bis hin zu Touristen. Die Kriminalitätsrate unter verschiedenen Migrantengruppen variiert zudem stark.10 In der Kriminalitätsforschung sind Experten uneinig darüber, wie stark die Herkunft und kulturelle Prägungen oder eher sozioökonomische Faktoren kriminelles Verhalten beeinflussen.11 Einige Fachleute sehen kulturelle und gesellschaftliche Prägungen sowie Normen und Rollenverständnisse in bestimmten Herkunftsländern als wesentliche Faktoren für die Unterschiede in den Kriminalitätsraten zwischen Schweizern und Ausländern.12 Andere Experten führen die unterschiedlichen Kriminalitätsraten eher auf sozioökonomische Faktoren, den Integrationsgrad, demografische Unterschiede sowie auf «Gewalt legitimierende Männlichkeitsnormen», zurück.13 Einigkeit besteht darin, dass die Fragestellung differenziert betrachtet werden muss, Ausländer nicht «per se» krimineller als Einheimische sind und Integration ein erfolgreiches Mittel zur Verringerung der Delinquenzraten ist.
1 Universität Neuenburg (2018)
2 BFS (2023, c)
3 EKM (2020)
4 Zur zweiten Generation gehören in der Schweiz Geborene, folgende Personen zählen dazu: eingebürgerte Schweizer Staatsangehörige; Ausländerinnen und Ausländer mit mindestens einem im Ausland geborenen Elternteil; gebürtige Schweizerinnen und Schweizer, deren Eltern beide im Ausland geboren wurden.
5 BFS (2022, b)
6 BFS (2022, b)
7 Polizeiliche Kriminalstatistik (2023)
8 BFS (20224, r)
9 BFS (2022, a)
10 Polizeiliche Kriminalstatistik (2023)
11 Maurer und Kälin (2024)
11 Urbaniok (2021)
12 Baier (2022)